Terrorismus von Rechts
Offene Fragen zu NSU-Morden in Nürnberg: Kamen die Täter mit einem Firmenwagen?
3.11.2021, 06:44 UhrAls Ismail Yasar am 9. Juni 2005 kurz nach zehn Uhr in seinem Imbissstand in der Scharrerstraße erschossen gefunden wird, haben die Ermittler keine Ahnung, wer der oder die Mörder sein könnten. Sie nehmen Fingerabdrücke von seiner Frau und sogar von den drei Kindern, suchen nach den Tätern im privaten Umfeld.
Dabei hat Yasars damals 15 Jahre alter Sohn längst eine Beobachtung gemacht, die der Polizei hätte weiterhelfen können. Die Yasars wohnten im Stadtteil Gleißhammer, ganz in der Nähe des Standes, und so sah der Junge, wie immer wieder Neonazis aufkreuzten und sich vor dem Jugendkulturzentrum "Luise" tummelten. Genau gegenüber verkaufte sein Vater Döner Kebab und andere Speisen.
"Da war auch einer, ein Glatzkopf, der hieß Frank. Das war auch ein bekannter Nazi", berichtete der Sohn Jahre später der Nürnberger Rechtsextremismusforscherin Birgit Mair. Doch die Polizei ging damals den Vermutungen der Familie nicht nach: "Die haben uns gar nicht wahr genommen", erinnert sich der Sohn.
Heute, zehn Jahre nach dem Auffliegen der rechtsextremen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU), die neben Ismail Yasar acht weitere Migranten und eine deutsche Polizistin umgebracht hat, ist immer noch nicht geklärt, wer die Opfer ausgespäht hat. Die Ermittlungen kommen keinen Schritt voran.
Dabei habe es auch in den vergangenen Jahren immer wieder neonazistische Umtriebe in der Scharrerstraße gegeben, betonte Birgit Mair jetzt bei einer Podiumsdiskussion in der "Cultfactory Luise" in direkter Tatortnähe.
Der Kulturladen Zeltnerschloss, das Jugendkulturzentrum Luise und der interkulturelle Verein Junge Stimme hatten im Rahmen der bundesweiten Veranstaltungsreihe "Kein Schlussstrich" den Mord an Yasar in den Mittelpunkt gerück.
Jonas Miller, Journalist des Bayerischen Rundfunks und Mitglied im gemeinsamen Rechercheteam von Nürnberger Nachrichten und BR, sagte, die fränkische Neonaziszene habe von der Existenz des NSU gewusst.
Als Beleg zeigte er Ausschnitte eines Szeneheftes. In einer Ausgabe aus dem Jahr 2002, die erschien, als der NSU bereits vier Menschen getötet hatte, heißt es: "Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen... Der Kampf geht weiter."
Die Polizei hatte hingegen immer wieder betont, von einem "Nationalsozialistischen Untergrund" erst im Bekennervideo der Terroristen erfahren zu haben. Beate Zschäpe hatte die DVD mit dem Film erst nach dem Selbstmord von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im November 2011 verschickt.
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Im Brandschutt ihrer gemeinsamen Wohnung in Zwickau fanden die Ermittler auch Notizen über 10.000 ausgespähte Objekte. Diese Arbeit hätte das Trio ohne Hilfe aus Unterstützerkreisen nicht leisten können, sagte Miller.
Dennoch habe das Gericht im fünf Jahre dauernden NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe hartnäckig an der These festgehalten, die Morde habe ein von der Rechtsextremen-Szene isoliertes Trio begangen, sagte Rechtsanwalt Sebastian Scharmer, der als Nebenkläger Gamze Kubasik, die Tochter des Dortmunder Opfers Mehmet Kubasik, vertreten hatte.
"Wir haben alles in unserer Macht stehende getan, das Netzwerk aufzuklären", versicherte Scharmer. Angeklagt wurden aber die Hinterleute nicht. Zwar führt der Generalbundesanwalt immer noch Ermittlungen gegen neun namentlich bekannte Unterstützer, "aber da ist nie wirklich was ermittelt worden", klagte Scharmer.
V-Mann "Primus" beschäftigte Uwe Böhnhardt
Der Verfassungsschutz habe mindestens zwei Dutzend Neonazis als sogenannte V-Leute, als Vertrauenspersonen, die gegen Geld Informationen liefern, um das Kerntrio herum gehabt. So zum Beispiel auch den sächsischen Bauunternehmer Ralf M. (V-Mann "Primus"). Auf einer seiner Baustellen soll auch Uwe Böhnhardt unter falschem Namen gearbeitet haben.
Ralf M. hatte, wie die Ermittlungen ergaben, die Wohnmobile angemietet, mit den die Mörder zu den Tatorten fuhren. Nur für die Verbrechen in Nürnberg gibt es keine korrespondierenden Mietautos: "Hatte M. hier vielleicht seine Firmenfahrzeuge zur Verfügung gestellt?", überlegte Scharmer. Dieser Frage sei die Polizei nie nachgegangen.
Warum habe der Verfassungsschutz zugelassen, dass die Terroristen zehn Menschen töten konnten?, wollte Ali Toy wissen. Er hat durch den NSU seinen Chef verloren: Enver Simsek hatte am 9. November 2000 die Arbeit an seinem Nürnberger Blumenstand für seinen Angestellten Ali Toy übernommen, weil der noch im Urlaub weilte.
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