Ötzi: Ein später Sieg für die beiden Finder

9.9.2011, 15:57 Uhr
Ötzi: Ein später Sieg für die beiden Finder

© Südtiroler Archäologiemuseum

Grüne Wiesen, gold-braune Blätter, in kleinen Seen spiegeln sich erst Laubwald, weiter oben Lärchen und Fichten. Eine romantische Kulisse führt Kletterer und Wanderer auf den ersten Höhenmetern den Berg hinauf. Vor dem Gipfel wird es karg, mit der Höhe dominiert der kalte Stein. Eis und Schnee spitzen zwischen dem Geröll hervor. Eine solche Umgebung findet man an vielen Berggruppen in Südtirol. Trotzdem ist fast keine so berühmt wie diese. Wie die Ötztaler Alpen.

Diese Berühmtheit haben die Berge, die genau an der Grenze zwischen Österreich und Italien liegen, ihrem bekanntesten Bewohner zu verdanken: dem Ötzi, dem Mann aus der Steinzeit. Und seinen Nürnberger Findern Helmut und Erika Simon.

Im September vor 20 Jahren haben die Eheleute aus Ziegelstein die Entdeckung ihres Lebens gemacht. Eine Leiche im Eis, die zunächst auf 200 bis 500 Jahre, später auf 4000 Jahre geschätzt wird. Heute ist klar: Der Ötzi ist 5300 Jahre alt. Und er hat das Leben der Simons völlig verändert.

Riesiger Zufall

Noch immer ist Erika Simon schleierhaft, wie es überhaupt so weit kommen konnte. „Das Ganze ist eigentlich ein riesiger Zufall.“ Eine Reihe von Zufällen.

Ötzi: Ein später Sieg für die beiden Finder

© afp

Gar nicht überraschend allerdings führt ihre Reise im Herbst 1991 nach Südtirol. „Wir sind damals fast jedes Jahr dorthin zum Bergsteigen gefahren, allerdings ins Schnalstal“, sagt Simon, während sie in ihrem gepflegten blühenden Garten sitzt. Notizen benötigt sie keine, „die Geschichte habe ich oft erzählt“.

Die 71-Jährige berichtet von ihrer Besteigung des Similaun, einem 3606 Meter hohen Berg in den Ötztaler Alpen. Schon drei Jahre zuvor, 1988, stand der Similaun auf der Liste der beiden Simons. „Aber da haben uns Regen und Wind einen Strich durch die Rechnung gemacht.“ Auch drei Jahre später, am Donnerstag, 18. September, ist das Wetter schlecht. Trotzdem erreichen sie die Spitze, müssen aber – ungeplant, zufällig – in der Similaunhütte einkehren statt ins Tal abzusteigen. Beim Umtrunk mit einem Pärchen aus Österreich ändern die Simons – spontan – ihre Pläne. Helmut Simon überredet seine Frau, am nächsten Tag noch mal aufzusteigen. Er will die Finailspitze erklimmen.

Gesagt, getan. Beim Abstieg am 19. September wiederum zeigen die beiden Österreicher den Nürnbergern am Hauslabjoch eine Abkürzung zurück zur Hütte – und schicken sie direkt in Ötzis Arme. Helmut Simon entdeckt die Leiche, die mit dem Kopf nach unten noch zur Hälfte im Eis steckt, als Erster. „Schau’ was da liegt, das ist ein Mensch“, sagt er zu seiner Frau und hat sofort den Fotoapparat in der Hand: „Das glaubt uns sonst niemand.“ Ihre Antwort: „Du wirst jetzt doch keinen Toten fotografieren?“ Und doch: Gesagt, getan.

Was dann passiert, ahnen Erika und Helmut Simon nicht im geringsten. Noch am selben Abend steigt der Besitzer der Hütte – nach dem Bericht der Simons – zur Fundstelle auf, und entdeckt bei der Leiche ein altes Beil. Gendarmerie (aus Österreich) und Carabinieri (aus Italien) werden informiert, die Österreicher kümmern sich letztlich um die Untersuchung.

Messners Schätzung

Die Nürnberger sind da bereits ins Tal abgestiegen. Reinhold Messner ist – ebenfalls zufällig – zwei Tage später in der Similaunhütte, steigt sofort zur Leiche auf und schätzt das Alter des Funds spontan auf über 2000 Jahre. Erst am 23. September kann die Leiche aus dem Eis befreit werden, zwei Tage später datiert Prähistoriker Konrad Spindler von der Universität in Innsbruck den Ötzi – international oft „Frozen Fritz“ genannt – auf mindestens 4000 Jahre. Es ist der Mittwoch nach dem Fund.

Ötzi: Ein später Sieg für die beiden Finder

© afp

Erika und Helmut Simon befinden sich zu dieser Zeit bereits wieder zu Hause. Ein Anruf ihrer neuen Freunde aus Österreich informiert sie über die neuesten Erkenntnisse. Das Telefon aber bleibt danach keine Minute mehr still. RTL, Sat. 1, BBC, Journalisten aus Russland, China und Frankreich reisen nach Ziegelstein, hoffen auf ein Interview. Die Simons landen auf der Couch – bei „Menschen ’91“ und bei „SternTV“.

Ein anderes Leben

„Ja, unser Leben war nicht mehr dasselbe“, sagt Erika Simon heute. Damals will sie das nicht so recht einsehen. Aber: Auch in den nächsten 20 Jahren landet sie immer wieder in der Presse. Es geht um die Anerkennung des Funds und einen entsprechenden Finderlohn (siehe Chronik). Auf der anderen Seite: die Landesregierung Südtirols. Der Nürnberger Anwalt Georg Rudolph kämpft für die Familie. „Es ging um einen angemessenen Vergleich“, sagt er. Während der langjährigen Verhandlungen vor Landgericht und Oberlandesgericht kommt Helmut Simon bei einem Unfall ums Leben. Erika Simon fällt es zunächst schwer, weiter zu prozessieren.

Ihr Nürnberger Anwalt bleibt aber zäh. „Ich habe keinen Augenblick daran gedacht, aufzugeben“, sagt er, während er hinter vier Ordnern voller Akten zum Thema Ötzi beinahe verloren geht. Denn: Anfangs habe man die Simons abspeisen wollen. Aber auch mit dem späteren Ergebnis ist er nicht ganz zufrieden: „Wir haben 175000 Euro für die Familie Simon bekommen. Allerdings werden in Südtirol Millionen mit dem Ötzi verdient.“

55000 Euro musste Erika Simon für ihre Anwälte bezahlen. Trotzdem ist sie persönlich sehr glücklich mit dem Urteil. Vor allem weil ihr Mann und sie somit als Finder des Ötzi gelten. Gram gegenüber Südtirol? Fehlanzeige. „Ich bin noch immer sehr gerne in der Gegend.“ Noch heute reist die 71 Jahre alte Rentnerin gerne in das Ötzi-Dorf in Umhausen im Ötztal, das dem 1,60 Meter großen und früher 50 Kilogramm leichten Mann aus der Steinzeit gewidmet wurde. Vor zehn Jahren haben sie und ihr Mann an der Eröffnung teilgenommen, gerne ist sie auch dieses Jahr wieder in dem künstlich angelegten kleinen Ort.

Dorf als Museum

Dort wird nachempfunden, wie der Ötzi vor 5300 Jahren gelebt haben könnte. In einer Hütte aus Holz, vor der er Urrinder (Auerochsen) und Gletscherziegen hält, einen Acker anlegt oder Brot backt. So wird das Bild des „Mannes im Eis“ gezeichnet.

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© Timo Schickler

Wie der Ötzi aber tatsächlich ausgesehen hat und wie er ums Leben gekommen ist, daran arbeiten noch immer zahlreiche Wissenschaftler. Neueste Erkenntnis: Als letzte Mahlzeit hatte der Steinzeitmensch vor 5300 Jahren: Steinbock. Das ergab die Analyse seines Mageninhalts.

Seit 20 Jahren erzählt seine Leiche Geschichten über sein Leben. Im Archäologiemuseum in Bozen liegen inzwischen die Überreste des Ötzi, der seinen gängigen Namen einem österreichischen Journalisten verdankt. Im selben Museum in einem weißen Raum ist eine Nachbildung des Mannes aus der Steinzeit ausgestellt. Eine Modellierung der beiden holländischen Künstler Adrie und Alfons Kennis. Der kleine Mann wirkt winzig. So klein, und doch eine der größten Entdeckungen der Welt.
 

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