Polizeieinsatz eskaliert: Jetzt sprechen die Schüler
1.6.2017, 16:42 UhrRohrleitungsbauer Erich D. hatte sich an der Sitzblockade vor dem Polizeiauto beteiligt, in dem der Flüchtling weggefahren werden sollte. Der 19-Jährige wollte nur seine Solidarität mit dem afghanischen Mitschüler bekunden und bekam dabei Pfefferspray von einem Polizisten ins Gesicht gesprüht. "Ich konnte zunächst nichts mehr sehen, es hat eine halbe Stunde total gebrannt. Meinem Nachbarn hat die Polizei mit dem Schlagstock auf den Arm geschlagen, obwohl wir nichts gemacht haben", berichtet der 19-Jährige, "Freunde haben mich dann weggeführt und mir beim Abwaschen des Gesichts geholfen." Insgesamt sechs Stunden habe das Pfefferspray am Körper gebrannt.
Mitschülerin Vanessa Cario meint, dass der Protest der Schüler durchaus etwas gebracht habe. "Wir wollen, dass in der Schule kein Flüchtling mehr von der Polizei abgeholt wird. Die Schule muss ein sicherer Raum sein." Die Schreinerin hat sich wie auch ihre Freundin Aline Schiller schon öfter an Aktionen für junge Flüchtlinge beteiligt. Erst vor einer Woche hatten Schüler und Lehrer der Berufsschule 11 öffentlich dagegen protestiert, dass Mitschüler aus ihrer Ausbildung herausgerissen und abgeschoben werden.
Im Unterricht habe man sehr kontrovers diskutiert, berichtet Fliesenleger Elias Müller. Die Argumente Pro und Contra flogen hin und her, danach ging der Unterricht ganz normal weiter, so der Jugendliche.
"Ich habe blutende junge Menschen gesehen"
"Der Einsatz der Jugendlichen am Mittwoch verdient wirklich Respekt", meint ein Berufsschullehrer. Auch Ulrich Ziegenthaler, Leiter des Amts für berufliche Schulen in Nürnberg, lobt das Engagement der Jugendlichen: „Das solidarische Verhalten mit ihrem Mitschüler ist grundsätzlich positiv. Es darf aber auf keinen Fall als pauschaler Freispruch gelten.“ Damit setzt sich der 65-Jährige ganz deutlich von einem eventuellen gewalttätigen Vorgehen seitens der Schüler ab.
Was den altgedienten Pädagogen besonders schmerzt, ist das Eindringen der Polizei ins Klassenzimmer: "Das ist eine höchst problematische Situation. Denn es konterkariert unsere Bemühungen, zu integrieren statt abzuschieben." Ziegenthaler hat vor einiger Zeit bereits eine Expertise beim städtischen Rechtsamt erstellen lassen. Darin hieß es, dass die Abschiebung aus der Schule legal ist. Dennoch habe man sich im Austausch mit der Polizei darauf geeinigt, dass dies nur die "ultima ratio" sein könne. Hierüber müsse man mit den Ordnungshütern noch einmal reden. Eine gemeinsame Auswertung ist bereits vereinbart.
Eine Sozialarbeiterin aus der Berufsschule sieht die Auswirkungen des Polizeieinsatzes als dramatisch: "Ich fühle mich in meiner Arbeit mit den Flüchtlingen verraten. Was sollen wir sie denn noch beraten, wenn sie uns nicht vertrauen können?“" Ihre Lehrer-Kollegen hätten teilweise sehr betroffen und verärgert auf den Polizeieinsatz reagiert.
"Ich habe blutende junge Menschen gesehen." Hörbar beeindruckt berichtet Martina Mittenhuber, die Leiterin des Nürnberger Menschenrechtsbüros, von den Ereignissen am Vortag. Eine "derartige Eskalation" haben sie das letzte Mal bei den Wackersdorf-Demonstrationen Mitte der 1980er Jahre erlebt, so Mittenhuber. Sie hätte sich von Seiten der Polizei mehr Deeskalation gewünscht, sagt sie. Der Einsatz hätte abgebrochen werden müssen. Doch so sei die "tolle Arbeit an der B 11" völlig konterkariert und ein Stück weit kaputtgemacht worden.
Ein Gutes habe der Eklat, meint die Menschenrechtsexpertin. Jetzt müsse umgedacht werden, was Abschiebungen aus Schulen heraus angehe. Mittenhuber: "Das darf es kein zweites Mal geben."
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