Aktion vor der Lorenzkirche

Protest gegen Verschwendung: Aktivisten verschenken Lebensmittel aus dem Müll in Nürnberg

Silke Roennefahrt

Lokalredaktion

E-Mail zur Autorenseite

21.2.2022, 15:50 Uhr
Bitte zugreifen: Der Tisch vor der Lorenzkirche ist reich gedeckt mit Lebensmitteln, die von Supermärkten weggeworfen wurden. 

© Michael Matejka, NNZ Bitte zugreifen: Der Tisch vor der Lorenzkirche ist reich gedeckt mit Lebensmitteln, die von Supermärkten weggeworfen wurden. 

Es ist angerichtet auf zwei Tischen vor der Lorenzkirche. Äpfel, Kartoffeln, Paprika und mehr liegen bereit, wer mag, der kann einfach zugreifen. Denn das Essen wird verschenkt, es stammt aus den Abfallbehältern mehrerer Supermärkte und wurde von den Aktivisten von "Extinction Rebellion" verbotenerweise aus dem Müll geholt. Und die Aktion trifft an diesem windigen Montagmittag bei den wenigen Passanten einen Nerv.

"Ich bin entsetzt, dass so etwas weggeschmissen wird", sagt eine ältere Dame und packt Eier, Grapefruit und einen Apfel in ihre Stofftasche. "Den Deutschen geht es wohl zu gut." Die 23-Jährige Selina ist sogar gezielt hergekommen, um ihren Kühlschrank zu füllen. Sie habe in den sozialen Netzwerken von der Aktion erfahren, sagt die Studentin, die selbst schon containern war. Einmal habe sie zehn Packungen Toastbrot im Abfall eines Lebensmittelladens entdeckt, sagt die junge Frau. "Die waren alle noch genießbar."

Salate, Paprikaschoten und mehr haben Aktivisten von "Extinction Rebellion" aus den Mülltonnen eines Supermarktes gefischt. Juristisch betrachtet, handelt es sich dabei um Diebstahl.

Salate, Paprikaschoten und mehr haben Aktivisten von "Extinction Rebellion" aus den Mülltonnen eines Supermarktes gefischt. Juristisch betrachtet, handelt es sich dabei um Diebstahl. © Michael Matejka, NNZ

Das gilt auch für die Ware, die Nadja, Anja und die anderen am Sonntag aus den Abfalltonnen mehrerer Supermärkte im Nürnberger Norden gefischt haben, um sie einen Tag später an prominenter Stelle in der Innenstadt zu verteilen. Die Bananen sind schon überreif, manche Paprikaschoten nicht mehr ganz knackig, doch andere wirken auf den ersten Blick noch völlig intakt, vor allem aber sind sie in jedem Fall aus Sicht der Beteiligten noch genießbar. Sogar eine Packung mit Eiern hat eine junge Frau im Müll entdeckt, ein Stempel verrät, dass ihr Mindesthaltbarkeitsdatum erst Anfang März ablaufen wird. Doch eines der Eier sei wohl kaputt gewesen, sagt die Aktivistin. "Und es ist offenbar billiger, die ganze Packung wegzuwerfen, als die Ware zu sortieren."

Unerträgliche Wegwerfmentalität

Es ist diese Wegwerfmentalität, die die jungen Leute wütend macht. "Ich finde es unerträglich, dass so viel im Abfall landet und gleichzeitig Menschen auf Lebensmittelspenden der Tafel angewiesen sind", sagt Nadja, 35, die sich zum ersten Mal an einer solchen Aktion beteiligt hat. Anja, 23, war schon öfter unterwegs, "um Lebensmittel zu holen", auch sie findet es schlimm, dass so viel noch Genießbares weggeworfen wird. "Total legitim, aber nicht legal" seien solche Aktionen, sagt die Studentin, die mit ihren Mitstreitern von "Extinction Rebellion" und dem "Aufstand der letzten Generation" auch die geltende Rechtslage anprangern will. Denn mit ihrer Aktion macht sich die Gruppe strafbar.

Während das Wegwerfen genießbarer Lebensmittel legal sei, sei das "Retten von Essen" verboten, kritisiert der Sprecher von Extinction Rebellion in Nürnberg, Florian Henig. Ähnliche Veranstaltungen gibt es in 13 weiteren Städten in Deutschland, sie alle prangern die gegenwärtige Praxis an. Wer beim sogenannten Containern erwischt wird, muss mit einer Anzeige wegen Diebstahls rechnen, auch der Vorwurf des Hausfriedensbruchs kann hinzu kommen. Der Jesuitenpater Jörg Alt nahm das kürzlich bewusst in Kauf.

Um gegen diesen aus seiner Sicht nicht hinnehmbaren Umgang mit Lebensmitteln zu protestieren, verteilte er im Dezember unter dem Motto "Essen retten, bis die Polizei kommt" die Ware aus den Abfallbehältern medienwirksam vor einem Supermarkt und sorgte damit bundesweit für Schlagzeilen. Er muss sich jetzt wegen schweren Diebstahls verantworten, doch wann er deswegen vor Gericht erscheinen soll, weiß er noch nicht. "Seitdem bekannt ist, dass ich eine öffentliche Verhandlung und keinen Deal will, tut sich nichts mehr."

Forderung nach Rettungsgesetz

Auf den Tag genau zwei Monate später steht er vor der Lorenzkirche, um seine Forderungen zu erneuern. Alt fordert ein Lebensmittelrettungsgesetz nach dem Vorbild mehrerer Nachbarländer, das die gesamte Lieferkette berücksichtigt. Denn ein Teil der produzierten Ware gelangt gar nicht erst in den Handel. Weil sie nicht der Norm entsprechen oder nicht die gewünschte Optik haben, werden Tomaten, Gurken und Co. tonnenweise direkt nach der Ernte entsorgt. Nach Schätzungen landen weltweit bis zu einem Drittel der produzierten Lebensmittel im Müll, während 800 Millionen Menschen Hunger leiden. In Deutschland sind es bis zu zwölf Millionen Tonnen jährlich.

Um das zu ändern, brauche es verpflichtende Regeln, sagt Alt und weist darauf hin, dass die Lebensmittelspenden an Bedürftige in Ländern mit entsprechenden Gesetzen wie Frankreich und Italien deutlich angestiegen seien. Um 100 Sekunden vor 12 Uhr hat die Aktion vor der Lorenzkirche begonnen, ein Hinweis auf die sogenannte Weltuntergangsuhr, mit der das "Bulletin of the Atomic Scientists" die Wahrscheinlichkeit menschlicher Selbstzerstörung veranschaulicht. "Wir haben nur noch wenige Jahre Zeit, um etwas gegen den Klimawandel zu tun", betont Henig, der auch deshalb etwas gegen die Überproduktion tun will. "Vier Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen gehen auf das Konto dieser Essensverschwendung."

3 Kommentare