Corona-Management
Protest im Nürnberger Gesundheitsamt: Leitungsteam kämpft um Chefin
2.6.2021, 05:56 UhrDas Leitungsteam des Nürnberger Gesundheitsamtes kämpft um seine Chefin: In einem Brief an Oberbürgermeister Marcus König (CSU) fordern vier Führungskräfte, die Entscheidung, der Amtsleiterin Dr. Katja Günther einen Verwaltungsfachmann gleichberechtigt zur Seite zu stellen und sie so zu entmachten, noch einmal zu überdenken. Es könne in der jetzigen Pandemiephase "folgenschwer" sein, sie gar von ihrem Posten zu entfernen.
Kommentar: Das Gesundheitsamt braucht neue Strukturen
Es gärt gewaltig hinter den Kulissen der städtischen Behörde. Anlass ist die Strukturreform, die Gesundheitsreferentin Britta Walthelm (Grüne) nach diversen Pannen bei der Erhebung der Corona-Zahlen nun in ihrem gesamten Haus umsetzen will. Die durchgreifensten Änderungen soll das Gesundheitsamt erfahren, das wegen technischer Probleme bei der Datenübermittlung und zuletzt wegen der versehentlichen doppelten Erfassung von Inzidenzfällen für Schlagzeilen sorgte.
Im Amt fühlt man sich aber als Bauernopfer. Im öffentlichen Gesundheitsdienst sei über die letzten Jahrzehnte stark gespart worden. "Durch diese Mangelwirtschaft fehlt es an Digitalisierung, technischer wie personeller Ausstattung, Räumen, usw.", schreiben Vize-Amtschef Philipp Bornschlegl, die Leiterin des Infektionsschutzes, Dr. Susanne Lüdtke, die Leiterin für Organisation und IT, Dr. Ina Zimmermann und der von Referentin Walthelm gerade frisch installierte Notfallmanager Andreas Dommer, bisher Sicherheitschef des Nürnberger Flughafens.
"Souverän eingebracht"
In dem Brief mit dem Titel "Zur internen Behandlung", der auch Walthelm, dem Kämmerer Harald Riedel sowie dem Chef des Bürgermeisteramtes zuging und der unserer Redaktion vorliegt, heißt es weiter, in der schwierigen Pandemie-Situation habe das Gesundheitsamt "ausschließlich bestehen (können), weil es geführt wurde durch eine Leitung an der Spitze, die sich über alle Maßen in allen Bereichen sowohl fachlich wie auch disziplinarisch souverän einbrachte und über alle im Amt seit Jahrzehnten bestehenden Gräben hinweg ein völlig neues vereintes Arbeiten schuf". Man arbeite 60 bis 70 Stunden pro Woche daran, den sich ständig verändernden Anforderungen gerecht zu werden.
Auch Dr. Günther hatte sich in einem Schreiben an die Stadtspitze gewandt und mitgeteilt, dass sie sich eine Doppelspitze in der geplanten Form nicht vorstellen könne. Die Probleme beruhten nicht auf organisatorischem Defizit, sondern auf dem Mangel an qualifiziertem Personal. Zwar habe man in den vergangenen Monaten rund 900 Unterstützer für die Kontaktnachverfolgung geschult und eingearbeitet, doch sie seien ohne einschlägige Qualifikation. Zudem seien die Herausforderungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes auch in den kommenden Jahren fachlicher Natur.
Trotz mehrfacher Versuche wollte sich Katja Günther gegenüber unserer Redaktion nicht zu den Vorgängen und ihrer beruflichen Zukunft äußern.
Oberbürgermeister Marcus König, der sich ebenso wie Referentin Walthelm momentan im Urlaub befindet, bestätigte aber auf Anfrage, dass die Absetzung der Gesundheitsamtsleiterin "eine Option" gewesen sei. Jedoch werde man niemanden entlassen. "Die Entscheidung für eine Doppelspitze ist gefallen. Eine andere Lösung ist nicht angedacht", betonte König. Man habe großes Interesse daran, das Gesundheitsamt zukunftsfähig aufzustellen, auch für die Zeit nach der Pandemie.
So müsse sich Dr. Günther nicht mehr mit den umfassenden Verwaltungsaufgaben befassen. Dies übernehme die künftige Verwaltungsleitung. Weil erst noch der Personal- und Organisationsausschuss über die Personalie entscheiden muss, nannte König keine Namen. Nach Informationen unserer Redaktion soll es sich beim neuen Amtsleiter aber um Verwaltungsdirektor Stefan Sembritzki handeln, Leiter der Dienststelle "Zentralen Dienste" bei der Stadt. Auch ist offen, ob Dr. Günther finanzielle Einbußen akzeptieren wird.
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Jüngst hatte Fred-Jürgen Beier, bis 2019 Leiter des städtischen Gesundheitsamtes und Vorgänger der jetzigen Chefin, scharfe Kritik an den geplanten neuen Leitungsstrukturen geübt. Die Fehler bei der Übertragung von Daten Corona-infizierter Bürgerinnen und Bürger seien "bedauerlich". Sie rechtfertigten in seinen Augen aber nicht den "vollkommen falschen Schritt", eine Doppelspitze zu installieren. Dies sei nur der "panische Versuch politischer Schadensbegrenzung".