„Wir agieren unabhängig“
Proteste in der Türkei: Nürnberger Cafés auf Boykottliste? Betreiber nimmt klare Haltung ein
25.03.2025, 19:08 Uhr
In der Türkei gehen gerade Zehntausende Menschen auf die Straße, es sind die größten Proteste seit zehn Jahren in der Türkei. Videos von den Demonstrationen und dem Vorgehen der Polizei kursieren in den Sozialen Netzwerken. Özgür Özel, der Vorsitzende der Republikanischen Volkspartei (CHP), also der Konkurrenzpartei von Erdogans „Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung“, Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP), spricht am Montagabend bei einem Protest in Istanbul und sagt: „Lass uns mit einem Kaffee beginnen. Trink, was du magst, aber trink keinen Espressolab.“ In seiner Rede nennt er noch weitere Unternehmen, denen er Erdoğan-Nähe vorwirft und die boykottiert werden sollten. Daraus entsteht eine Liste - die „Boykottliste“. Inzwischen ist sie überall auf Instagram und anderen Sozialen Netzwerken zu finden, in der türkischen Community wird sie haufenweise geteilt.
Aber gehen wir kurz zurück. Was ist passiert? Istanbuls Bürgermeister Ekrem İmamoğlu von der CHP gilt aktuell als aussichtsreicher Herausforderer des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Am Mittwoch war er nach bereits vorherigen Unruhen wegen Korruptions- und Terrorvorwürfen festgenommen und am Sonntag dann als Istanbuler Oberbürgermeister abgesetzt worden. Er selbst bestreitet die Vorwürfe und wirft der Regierung hingegen vor, ihn als politischen Konkurrenten ausschalten zu wollen. Seitdem gehen in Istanbul, Ankara, Izmir und weiteren Städten Menschen trotz Verboten auf die Straßen, Hunderte werden festgenommen.
Durch die Rede von Özel am Montagabend ist Teil des Widerstands nun auch der Boykott von bestimmten Unternehmen, die im Verdacht stehen, regierungsnah zu sein. Ganz oben auf dieser Liste steht die türkische Café-Kette EspressoLab. Ein Name, der auch Menschen in Nürnberg ein Begriff sein dürfte. Denn auch hier gibt es drei Cafés von EspressoLab.
Geschäftsführer distanziert sich klar
„Wir als Unternehmen haben keinerlei institutionelle oder organisatorische Verbindung zur Türkei. Wir sind ein unabhängiger Coffeeshop, der in Deutschland agiert“, betont Özgür Cam, Geschäftsführer und Mitbegründer von EspressoLab Germany, auf Anfrage unserer Redaktion. Es handle sich um ein fränkisches Unternehmen mit klarer regionaler Verankerung. Angesichts der aktuellen politischen Lage in der Türkei, die mit erheblichen Herausforderungen für Demokratie, Menschenrechte und Meinungsfreiheit verbunden sei, fühle sich EspressoLab Germany verpflichtet, eine klare Haltung einzunehmen und sich ausdrücklich von politischen Entwicklungen zu distanzieren, die diese grundlegenden Werte bedrohen würden.
Die Nähe zu Erdoğan wird dem türkischen Unternehmen EspressoLab auch deshalb vorgeworfen, weil Erdoğan und der MHP-Vorsitzende Devlet Bahçeli 2020 am Tag der Eröffnung der Hagia Sophia in Istanbul für den Gottesdienst nach dem Gebet mit Pressevertretern im EspressoLab Kaffee getrunken und EspressoLab das auf den Sozialen Medien gepostet hat, was zu heftigen Protesten geführt hat. Dem Unternehmen wurde vorgeworfen, den Besuch von Erdogan zu eigenen Werbezwecken zu nutzen und damit auch ihn zu unterstützen.
Cam von EspressoLab Germany betont, dass aber auch der inhaftierte Bürgermeister İmamoğlu bereits bei EspressoLab zu Besuch war. Er verweist außerdem deutlich darauf, dass sein Unternehmen mit Sitz in Deutschland „unerschütterlich für die Werte von Freiheit, Demokratie und Meinungsfreiheit“ steht. „Diese Prinzipien bilden das Fundament unserer Arbeit und die Basis unserer Partnerschaften und Geschäftsbeziehungen“, sagt der Geschäftsführer. „Wir verurteilen jede Form der politischen Unterdrückung und stehen fest an der Seite der Menschen, die in der Türkei für ihre Rechte und ihre Freiheit kämpfen. Es ist von entscheidender Bedeutung, in Zeiten wie diesen für die Wahrung dieser Werte einzutreten.“
EspressoLab Germany sehe sich auch in der Verantwortung, „sich in schwierigen Zeiten für eine Welt einzusetzen, in der Meinungsfreiheit, Menschenrechte und Demokratie geachtet und verteidigt werden“. Das Unternehmen wolle weiterhin eine Plattform bieten, auf der jeder seine Meinung frei äußern könne, so Cam. Das Unternehmen heiße mit seinem offenen, gastfreundlichen Konzept Menschen verschiedenster Herkunft und Meinung willkommen.