Prozess in Nürnberg: Deckten LKA-Beamte Bandidos?
7.11.2017, 05:45 UhrOb er vor den Rockern der Bandidos oder den Beamten des Landeskriminalamtes (LKA) mehr Angst haben sollte – Mario F. war wohl hin und her gerissen, als er vor dem Landgericht Würzburg saß. Keine neue Situation für ihn, er hat viel auf dem Kerbholz, denn in seinem Leben geriet der mittlerweile 50-Jährige immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt, mehrfach saß er hinter Gittern. So verwundert es kaum, dass ihm, dem zigfach vorbestraften Mann, keiner so recht die Räuberpistole abnehmen wollte, die er, angeklagt wegen Drogenhandels, im September 2012 zum Besten gab: Seine Straftaten habe er mit Billigung der Behörden begangen.
Die Vorwürfe, die der Angeklagte Mario F. in der damaligen Verhandlung erhob, waren von enormer Wucht: Offiziell verdiente er seine Brötchen zwar mit einem Nachtclub in Amberg, doch dank seiner guten Kontakte ins Rotlicht- und Drogenmilieu und weil er es geschafft hatte, das Vertrauen der Regensburger Bandidos zu gewinnen, habe ihn das LKA im Jahr 2009 als Spitzel angeheuert und ihn für seine Dienste fürstlich bezahlt. Selbst seine Strafzettel sollen übernommen worden sein. Und so habe er als Spitzel des LKA, als Vertrauensmann, eben auch ungehindert mit Drogen gehandelt.
LKA kaufte für Mario F. eine Harley
Die Bandidos gelten neben den Hells Angels als kriminellste Rocker-Gang der Welt, einige ihrer Mitglieder handeln mit Drogen und Waffen, sie verkaufen Frauen an Bordelle. Um einen Blick hinter die Kulissen der organisierten Kriminalität werfen zu können, sind die Ermittler auf V-Leute angewiesen – durch derartige Ermittlungsmethoden begeben sich die LKA-Leute nicht automatisch ins strafrechtliche Zwielicht.
So kaufte das LKA für Mario F. sogar eine Harley-Davidson – und er brauste nun im Auftrag des Staates quasi als kostümierter Kuttenträger durch die Lande. Mit seinen Rocker-Kumpels will er viel herumgekommen sein, beispielsweise nach Dänemark. So gehörte zu der irren Geschichte auch, dass die Beamten des LKA das illegale Treiben ihres Verbindungsmannes im Rockermilieu nicht nur deckten, sondern ihn sogar zu Straftaten anstifteten.
Beamte sollen Straftaten beauftragt haben
In der fraglichen Verhandlung stellten LKA-Leute im Zeugenstand Mario F. als Lügner dar, Humbug befand die Staatsanwaltschaft, ein Gutachter erkannte "wahnhafte" Züge. F. kassierte fast sieben Jahre Freiheitsstrafe und weil er selbst den Drogenabhängigen gab, zudem unterstellt wurde, dass die Gefahr hoch sei, dass er aufgrund seines Hangs zu Drogen auch künftig erhebliche Straftaten begehen würde, wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Doch heute sieht es so aus, als wäre Mario F.s Geschichte recht nah an der Wahrheit – im Februar 2017 erhob die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth Anklage gegen sechs LKA-Beamte. Die sechs Männer, darunter auch zwei Führungskräfte, sind vom Dienst freigestellt. Einer der suspendierten Kommissare arbeitete in der Nürnberger Außenstelle des LKA und betreute den Spitzel der Rocker-Gang.
Als Kontaktmann des Mario F. sollen er und einer seiner Kollegen im September 2011 von dem beabsichtigen Plan der Rockerbande, in Dänemark auf Diebestour zu gehen, gewusst haben, mit der Fahrt in den Norden wurde Mario F. dennoch beauftragt. Weil dort Minibagger und weitere Kleinbaumaschinen (Gesamtwert 55.000 Euro) gestohlen wurden – wird beiden Beamten Diebstahl in mittelbarer Täterschaft vorgeworfen. Einem der Polizisten wird zusätzlich uneidliche Falschaussage und einem anderen zusätzlich Betrug und uneidliche Falschaussage in drei Fällen zur Last gelegt. Den weiteren vier Beamten wird der Vorwurf der Strafvereitelung im Amt gemacht, einem davon obendrein uneidliche Falschaussage unterstellt.
Kollegen an der Verfolgung gehindert?
All die Anklagevorwürfe zur uneidlichen Falschaussage beziehen sich freilich auf den Würzburger Prozess – die damaligen Auftritte der LKA-Zeugen sollen auffällig merkwürdig gewesen sein. Angeblich verstrickten sich die Polizisten in zahlreiche Widersprüche. Dass die Würzburger Strafkammer die Vorwürfe des V-Manns Mario F. in dem ersten Prozess nicht näher durchleuchten konnte, lag nicht am Unwillen der Richter, vielmehr verhinderte das Innenministerium damals die Herausgabe der V-Mann-Akte. So stellt sich noch immer die Frage, was die Politik damals von den Machenschaften der LKA-Beamten wusste.
Folge des Prozesses waren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth von Amts wegen – zunächst gegen drei LKA-Mitarbeiter. Dazu legte ein Ermittlungsbericht Ende 2014 den Verdacht nahe, dass Polizisten ihre Kollegen an der Verfolgung von Verbrechen gehindert haben könnten. Die Nürnberger Kripo konnte offenbar rekonstruieren, dass die LKA-Beamten ihr Wissen um die bevorstehende Straftat (Bagger-Diebstahl) später verschleierten.
Bereits 2014 und Anfang 2015 gab es erste Razzien, dabei wurden nicht nur die Büros, sondern auch die Privatwohnungen der Beschuldigten in München, Nürnberg und Augsburg durchsucht. Der nächste unangemeldete Besuch, diesmal im den Räumen des LKA in der Münchner Barbarastraße, folgte im November 2016.
Im Mai 2016 stand Mario F. in der Neuauflage seines Prozesses wieder vor dem Landgericht Würzburg: Der Bundesgerichtshof hatte aufgrund von Rechtsfehlern einen Teil des Verfahrens zur erneuten Überprüfung an das Landgericht in Würzburg zurückverwiesen. In diesen Prozess platzten die Ermittlungen gegen Mario F.s V-Mann-Führer und andere LKA-Leute.
Acht Monate lang sorgte die Verhandlung für Wirbel – Fragen, was das LKA von den illegalen Aktivitäten seines Spitzels wusste, ob und warum Politiker Akten sperren und unter Verschluss nehmen ließen, dominierten das Verfahren. Fragen, die nun wohl wieder aufgeworfen werden: Die 13. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth hat die Anklage gegen die LKA-Beamten unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen – der Prozessauftakt ist heute. 30 Termine sind geplant.