Radler-Demo "Critical Mass" gestoppt: Ließ Polizei Luft aus den Reifen?

Tobi Lang

Online-Redakteur

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2.8.2020, 15:26 Uhr

Eigentlich war das Verhältnis zwischen der "Critical Mass", der Stadt und der Polizei harmonisch. In regelmäßigen Abständen radeln die Aktivisten durch Nürnberg, oft unangekündigt, immer zu Dutzenden im Pulk. Die Behörden ließen die Aktivisten passieren, duldeten die Demonstrationen - denn von der Spontanität lebt die Protestform. Die Teilnehmer wollen, zumindest in Maßen, Chaos auf vielbefahrenen Straßen Nürnbergs schaffen. Für ein paar Minuten.

Doch wie bei so vielen Dingen dieser Tage hat sich durch die Corona-Pandemie etwas verändert. Es knirscht zwischen der Stadt, der Polizei und den Aktivisten. Zu viele Fragezeichen stünden hinter den Touren der Radler, sagt das Ordnungsamt. Wann, wie viele Teilnehmer, welche Strecke? Erst kürzlich appellierte die Stadt an die "Critical Mass", ihre Aktionen "in geregelte Bahnen" zu lenken.

Die Stadt drohte, eine für Freitag geplante Demonstration aufzulösen, sollten die Veranstalter die geforderten Auflagen nicht einhalten. Doch die Initiatoren blieben dabei: Man sei keine Demonstration und brauche deshalb "keine Veranstalter, keine Leitung, keine hierarchische Organisation und keine geplante Strecke", wie es auf ihrer Facebook-Seite heißt. "Selbstorganisation und Schwarmintelligenz schaffen die 'Critical Mass'."

Teilnehmer: Polizei sei "sehr aggressiv" gewesen

Am vergangenen Freitag trafen sich deshalb in - aus Sicht der Aktivisten - altbewährter Manier gut 150 Radler. "An anderen Orten der Stadt waren anfangs sicherlich ähnlich viele Menschen am Start", sagt ein Teilnehmer gegenüber nordbayern.de. Die Polizei sei "sehr aggressiv" gegen die Radler vorgegangen, schildert der Augenzeuge. Mehrere Beamten seien vor Fahrräder gesprungen "um sie so zu stoppen oder rannten ihnen hinterher, um sie herunter zu ziehen".

In mehreren Fällen wurde den "Critical Mass"-Aktivisten auch die Luft aus den Reifen gelassen. Ein Video, das nordbayern.de vorliegt, zeigt, wie ein Polizist das Ventil eines Reifens öffnet. "Ich habe von dem Video gehört, es aber noch nicht gesehen", sagt Rainer Seebauer, Sprecher des Präsidiums Mittelfranken. "Wir müssen den Clip erst verifizieren und mit den zuständigen Beamten sprechen." Erst am Montag könnte man eine Stellungnahme zu den Vorwürfen der Radler abgeben - und erklären, inwieweit das Vorgehen der Polizisten gerechtfertigt gewesen sei.

"Maximaler Konfrontationskurs"

"Das war maximaler Konfrontationskurs unter dem Deckmantel des Infektionsschutzes", sagt ein Teilnehmer. Besonders grotesk findet der Aktivist, dass nur wenige hundert Meter das dezentrale Volksfest in der Innenstadt eröffnet wurde. "Heuchelei?", so der Teilnehmer. "Beim Fahrradfahren im öffentlichen Raum ist es schwer möglich, geeignete Abstände nicht einzuhalten." Genau hier aber griff die Polizei ein.


Kommentar: Critical Mass muss Verantwortung übernehmen


"Wenn man sich abspricht, könnte man das problemlos durchführen", sagte Hermann Guth, Leitender Polizeidirektor des Polizeipräsidiums, bei einer Pressekonferenz unter der Woche. "Beim ersten Unfall würde die ganze Aktion Schaden nehmen." Es brauche, und dabei bleiben die Behörden, klare Zuständigkeiten und mehr Planung. Andernfalls, das zumindest ist die Befürchtung, wird die Polizei auch bei künftigen Aktionen der "Critical Mass" durchgreifen.

Am Freitag schob die Polizei einen Riegel vor. Die Polizisten drohten den Teilnehmern mit Bußgeldern in Höhe von 500 Euro und stoppten das Treffen. "Wir haben 'Critical Mass' jahrelang begleitet", sagt Seebauer vom Polizeipräsidium. "Wir haben in Sachen Corona wieder steigende Fallzahlen. Ein Entgegenkommen von den Teilnehmern wäre jetzt mal angebracht."

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