Regenbogen an der Steintribüne entfernt: Viel Kritik an der Stadt

Maria Segat

Nürnberger Nachrichten

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1.11.2020, 15:54 Uhr
Auf das über Nacht entstandene Kunstwerk an der Zeppelintribüne gab es viele positive Reaktionen - trotzdem wurde es wenig später entfernt. Dafür muss die Stadt Nürnberg jetzt viel Kritik einstecken. 

© Stefan Hippel Auf das über Nacht entstandene Kunstwerk an der Zeppelintribüne gab es viele positive Reaktionen - trotzdem wurde es wenig später entfernt. Dafür muss die Stadt Nürnberg jetzt viel Kritik einstecken. 

Am Morgen des Tages, der die Neuigkeit bringen sollte, dass Nürnberg nicht Kulturhauptstadt 2025 werden wird, fand sich auf der Zeppelintribüne am Nürnberger Reichsparteitagsgelände ein künstlerisches Statement: Die Tribüne war mit bunten Streifen in Regenbogenfarben bemalt.

Die Aktion eines anonymen Künstlerkollektivs, das sich der freien Kunstszene in Nürnberg zugehörig fühlt, sorgte für viel Aufmerksamkeit. Vor allem in Sozialen Netzwerken waren die Reaktionen auf den Regenbogen als Zeichen für Vielfalt überwiegend positiv. Trotzdem ist das Kunstwerk wenig später wieder verschwunden: Die Stadt Nürnberg hatte es entfernen lassen.

Der Regenbogen als Symbol, das jedes Kind verstehe, stehe für den "maximale(n) Kontrast zu dem, was dieser Ort mal war", erklärte ein Vertreter der anonymen Künstlergruppe im Interview zu den Hintergründen. Die Aktion sei ein Diskursbeitrag gewesen, ein Vorschlag für die Auseinandersetzung mit dem historischen Erbe des Täterortes Reichsparteitagsgelände, die in Nürnberg bis heute eine zentrale Frage ist.

"Statement, das wir unterstützen"

Auch bei der Bewerbung um den Titel der Kulturhauptstadt war der Umgang mit der NS-Vergangenheit von vorneherein ein Schwerpunkt. Die Aktion aus der Szene heraus habe ein wichtiges Zeichen gesetzt und sei ein "Statement, das wir unterstützen", hieß es vom Kulturhauptstadt-Bewerbungsbüro zu der illegalen Aktion.

Hans-Joachim Wagner, Leiter des Bewerbungsbüros, kritisiert die Entscheidung der Stadt, das Kunstwerk entfernen zu lassen, in einem Beitrag auf Facebook. Ein "sensationelles Werk aktionistischer Kunst" sei dort entstanden und dass das Statement so schnell entfernt worden sei, schmerze ihn sehr.

"Es schmerzt mich deshalb, weil der Denkmalschutz hier absolut gesetzt wurde, ohne eine Debatte zu führen. Der auf breiten öffentlichen Diskurs gründende Umgang mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände ist aber zwingend notwendig. Hier liegt eine große drängende Aufgabe für die Zukunft der Stadt", schreibt Wagner weiter.


Hans-Joachim Wagner im Interview: "Man hat sich gescheut, den Ort der Kunst zu übergeben"


Auch Michael Ziegler, kulturpolitischer Sprecher der SPD-Stadtratsfraktion, meldet sich kritisch zu Wort. Er fordert, dass die Anzeige, die auf Grund des Kunstwerks auf dem Denkmal gegen Unbekannt gestellt wurde, zurückgezogen wird.

Die Stadtratsfraktion von Bündnis 90/Grüne und die stellvertretende Vorsitzende der bayerischen Landtagsfraktion Verena Osgyan kritisieren die Entfernung des Kunstwerks als eine verpasste Chance, die Erinnerungskultur in Nürnberg voranzubringen. Gerade die Anbringung der Regenbogenfarben sei ein geeignetes Symbol um an die Unterdrückung, Verfolgung und Ermordung Homosexueller durch das Nazi-Regime zu erinnern.

"Die Nazizeit hat nämlich Nürnberg mehr als sachbeschädigt für alle Zeiten. Das Künstlerkollektiv hatte auch gar keine Sachbeschädigung vor, sondern eine kurzfristige Intervention, die der Regen wieder abwäscht", schreibt der SPD-Politiker dazu in einer Mitteilung. Es sei die Aufgabe von Kulturpolitik, sich für mutige Künstlerinnen und Künstler einzusetzen, schreibt Ziegler. Den Verantwortlichen für das "Regenbogen-Präludium" dankte er für ihren Diskussionsanstoß zum richtigen Zeitpunkt.

Farbe hätte den Stein beschädigen können

Kulturbürgermeisterin Julia Lehner (CSU) hatte zwar grundsätzlich auch temporäre künstlerische Aktionen in der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit begrüßt, aber betont, dass diese "Absprache" benötigten und denkmalschutzkonform sein müssten. Nachdem das Hochbauamt der Stadt die Aktion vor Ort begutachtet hatte, war schnell gehandelt worden: Die Farbpigmente hätten trotz ihrer Wasserlöslichkeit den Stein beschädigen können, hieß es dazu.

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