Rettungskräfte und Polizei: Der Respekt geht verloren

Johannes Handl

Lokalredaktion

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30.9.2019, 09:06 Uhr
Rettungskräfte und Polizei: Der Respekt geht verloren

© Daniel Karmann/dpa

Was ist mit unserer Gesellschaft passiert? Der weiße Kittel schützt heute ebenso wenig wie die Uniformen der Polizei. Davon ist Professor Dr. Günter Niklewski, Vorstandsmitglied am Klinikum Nürnberg, überzeugt. 1,2 Millionen Euro gibt das Klinikum pro Jahr aus, um die Intensiv- und Aufnahmestationen mit einem Sicherheitsdienst zu schützen.

Ein 2016 eingeführtes Dokumentationssystem belegt mehr als 400 gewalttätige Fehlhandlungen pro Jahr. Im Durchschnitt geht kein Tag ohne Zwischenfall ins Land. Und längst nicht alle Beschimpfungen und Vergehen werden gemeldet.

Vieles geschieht laut Niklewski aus Angst. Die Verängstigung beim Gegenüber rechtzeitig zu erkennen, ist Gegenstand von Deeskalationstrainings. Der erfahrene Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie unterscheidet zwischen krankheitsbedingtem Fehlverhalten, wenn Patienten ein gestörtes Verhältnis zur Realität haben, und Vorfällen, in denen ein ungeduldiger Patient eine Tasse Tee an die Wand feuert, deren Splitter eine Mitarbeiterin verletzen.

Kein Nürnberger Phänomen

Vieles von dem, was die Klinik inzwischen unternimmt, gleiche eher einem palliativen Herumdoktern als dem Bekämpfen der Ursachen. Niklewski ist wichtig, Dinge beim Namen zu nennen, auch wenn ihm anfangs intern vorgeworfen worden sei, dem Image einer Rabaukenklinik Vorschub zu leisten. Dabei sind Attacken kein Nürnberger Phänomen.

Angesichts bedrohter und mitunter lebensgefährlich verletzter Kollegen hat Niklewski den Eindruck, dass das Gewaltmonopol des Staates nicht mehr als solches wahrgenommen werde, Gewalt als mögliche zwischenmenschliche Interaktion dagegen schon. Der Respekt gehe verloren, wie Vorfälle in Schwimmbädern in diesem Sommer belegen.

Warum rasten viele Menschen so schnell aus? "Das Böse ist immer und überall", verweist Dekan i. R. Wolfgang Butz auf einen Klassiker der Ersten Allgemeinen Verunsicherung. Der Apostel Paulus bringt es für ihn auf den Punkt: "Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich." Butz rät daher, Menschen, die unreflektiert und aggressiv handeln, nicht von vornherein zu verteufeln.

Auch der Dekan kennt Situationen, in denen Gut und Böse plötzlich nichts mehr zählt. Wenn er unter Zeitdruck von einem Gottesdienst zu einer Beerdigung fahren möchte und ein Rettungswagen die Ausfahrt versperrt. In Stresssituationen ruhig zu bleiben, sei gar nicht so einfach.

"Feindbilder nehmen zu"

Oft gelingt es nicht. So berichtet Roman Fertiger, Polizeipräsident von Mittelfranken, von steigenden Zahlen von Beleidigungen und körperlicher Gewalt gegenüber Polizisten. 80 von 100 Bürgern geben laut Fertinger an, in einem "schwachen Staat" zu leben. Alkohol, Drogen und ein verändertes Freizeitverhalten sieht er mitverantwortlich, dass der Respekt gegenüber der Polizei schwinde. "Die Feindbilder nehmen eindeutig zu", sagt der Polizeipräsident mit Blick auf das Agitieren von Extremisten.

Ein großes Problem sei, dass die Beamten im Einsatz oft nicht wissen, mit wem sie es zu tun haben, ob ihnen ein gefährlicher Wiederholungstäter gegenübersteht. Er sei froh, wenn er am Jahresende keinen getöteten Kollegen zu beklagen habe.

 

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