Rotlicht-Atmosphäre in der Elisenstraße

16.10.2011, 09:00 Uhr
Rotlicht-Atmosphäre in der Elisenstraße

© afp

Sindy (Name von der Redaktion geändert) hat nur wenig Zeit für ein Gespräch. Im Halbstundentakt geben sich die Freier, die zu ihr in die Wohnung kommen, die Klinke in die Hand. Dazwischen muss sie sich duschen, das Bett neu beziehen und frische Dessous aus dem Schrank holen, sich hübsch machen für den nächsten Mann.

Das Zimmer ist mit dem Nötigsten eingerichtet: Ein schwarzes Eisenbett mit Matratze, ein Nachttischchen daneben, darunter ein Abfalleimer für die benutzten Kondome. Die Schrankwand im 20 Quadratmeter großen Zimmer beherbergt Sindys spärliches Hab und Gut. Schwere dunkle Vorhänge schützen vor Nachbarsblicken.

Das kleine gelbe Schild mit der Bayerischen Hygieneverordnung ist auf Kopfhöhe neben dem Bett angebracht und hebt sich deutlich von der dunkelorangen Wand ab. „Bei mir nur mit Gummi“, sagt Sindy im gebrochenen Deutsch. Seit zwei Jahren macht sie in Nürnberg Männer glücklich.

40 bedient sie pro Woche, zwischen sechs und sieben pro Tag. Ihre Freier empfängt sie zwischen 10 und 21 Uhr. Samstag oder Sonntag hat sie frei. „Bei mir kostet es 50 Euro. Andere im Haus nehmen nur 20 oder 30 Euro.“ Fast wöchentlich wechselt Sindy die Wohnung. Mal zieht sie in ein anderes Viertel, mal nur einige Stockwerke höher.

Die Frauen wechseln wöchentlich das Appartement

Sonntag ist Bettenwechsel. Das weiß auch eine Anwohnerin zu berichten, die dem Treiben in der Elisenstraße seit Jahren mit Kopfschütteln zusieht. „Wenn wir am Sonntagvormittag in der Küche stehen, können wir zusehen, wie die Frauen mit ihren Trolleys ein- und ausziehen“, sagt die Frau, die namentlich nicht genannt werden will. „Und jeden Sonntag kommt ein glatzköpfiger Mann mit einem dicken BMW, der wahrscheinlich das Geld von ihnen abkassiert.“

Sindy bestätigt, dass dieser Mann auch bei ihr war. 500 Euro Miete kostet sie das 1-Zimmer-Appartement – pro Woche. Abzüglich der Kosten für Waschmittel, Schminke, Kondome, Dessous und Essen bleiben ihr trotzdem noch etwa 1400 Euro – das ist dreimal mehr, als sie in Ungarn pro Monat in ihrem eigentlichen Beruf als medizinisch-technische Assistentin verdienen würde.

In Nürnberg arbeiten rund 1500 Prostituierte

Rund 1500 Prostituierte arbeiten nach Schätzungen der Prostituiertenselbsthilfe und Beratungsstelle Kassandra in Nürnberg. „Die Nachfrage bestimmt das

Rotlicht-Atmosphäre in der Elisenstraße

Angebot“, sagt eine Mitarbeiterin. Der Großteil von ihnen gehe dem Geschäft in den eigenen vier Wänden nach - vor allem in den Stadtteilen Schweinau, St. Leonhard, Sündersbühl und Großreuth. „Solange es die Anwohner nicht stört, ist die eigene Wohnung ein guter Arbeitsplatz.“

Doch der Nachbarin in der Elisenstraße wurde das Treiben insbesondere in den vergangenen Monaten zu bunt. „Im Sommer können wir die Fenster nicht offen lassen. Das Gestöhne ist zu laut“, beschwert sich die Frau, die eigenen Angaben zufolge seit 20 Jahren in der Elisenstraße wohnt. Während des Gesprächs hält ein Kombi direkt vor dem Haus.

Der Mann telefoniert, wenig später steigt er aus, klingelt an der Tür. Eine halbe Stunde später verlässt er das Haus wieder und fährt davon – am Heck ein Aufkleber mit den Worten: „Ich habe ein Herz für Kinder“. Beischlaf im Wohnviertel ist diskret und anonym.

Die Stadtverwaltung ist wenig begeistert von der Entwicklung

Die Stadt ist von dieser Entwicklung nicht begeistert. „Prostitution hat in Wohngebieten nichts verloren“, macht Robert Pollack, stellvertretender Leiter des Ordnungsamtes, deutlich. Doch solange Wohnungsprostitution in einem Haus nicht überhand nimmt und sich niemand gestört fühlt, kann die Stadt nichts unternehmen.

Seit 2002 ist Prostitution gesetzlich als Dienstleistung anerkannt und ist damit nicht mehr sittenwidrig. „Nachbarn sollten sich an die Polizei oder die Stadt wenden. Zudem haben die Mieter einen Mietminderungsanspruch, so dass die Vermieter reagieren müssen“, sagt Pollack.

Rotlicht-Atmosphäre in der Elisenstraße

© Harald Sippel

Im Studentenwohnheim in der Elisenstraße 18 wohnen nur noch wenige, die nicht dem horizontalen Gewerbe nachgehen. Das bestätigt auch der Hausverwalter. Vor vier Monaten hätten viele Wohnungen die Eigentümer gewechselt. Seitdem wohnten dort ausschließlich Prostituierte.

„Ich habe die Eigentümer darauf hingewiesen, dass sie bis 31. Oktober die Prostituierten aus den Appartements entfernen sollen. Ansonsten wende ich mich an die Behörden“, droht Günter Mulzer von der IBH Chemnitz. Von rund 1200 Wohnungen, die er betreue, sei dies das einzige Objekt in Nürnberg, das von Prostituierten bewohnt sei.

Drei Bordelle wurden in diesem Jahr bereits geschlossen

In solch einem Fall kann die Stadt durchgreifen. Sobald in Wohnhäusern Bordelle oder bordellartige Betriebe eingerichtet werden, kann das Bauordnungsamt diese schließen. Im vergangenen Jahr hat die Stadt ähnliche Betriebe, unter anderem in der Frankenstraße und in der Adolf-Braun-Straße, dicht gemacht. Doch wenig später entstehen neue Bordelle – wie in der Elisenstraße 18.

Bei der Polizei ist die Straße keine unbekannte Adresse. Vergangenen Donnerstag rückte die Kriminalpolizei mit einem Großaufgebot an und durchsuchte die Wohnungen. „Das war eine routinemäßige Kontrolle. Es gab weder Festnahmen noch wurde Anzeige erstattet“, sagt Polizeisprecher Peter Schnellinger. Die Anwohnerin verfolgte die Durchsuchung interessiert vom Küchenfenster aus mit. „Das war wie im Film.“

Die Elisenstraße ist Vergangenheit

Sindy fährt am Sonntag wieder nach Ungarn zu ihren drei Kindern. Die wissen, wie ihre Mutter das Geld verdient, von dem sie sich Essen, Kleidung und vielleicht mal einen Kinobesuch leisten können. Sindys Mann ist vor fünf Jahren gestorben, die Banken haben in der Krise ihr ganzes Vermögen verschlungen.

Ein Jahr will sie diese Arbeit noch machen. Dann soll Schluss sein damit. Sie gibt vor, 40 zu sein, ist aber wesentlich älter. Mit Fitness und Karate hält sie sich jung – damit sie den Freiern was bieten kann. „Ich bin lieb zu den Männern. Das gefällt ihnen.“

Am 30. Oktober kommt Sindy wieder zurück nach Nürnberg. Die Elisenstraße 18 ist dann Vergangenheit. Der Mann mit der Glatze hat ihr gesagt, dass etwas Professionelles aufgemacht wird. Wo, will sie nicht sagen. Diskretion ist alles in ihrem Beruf.
 

Keine Kommentare