Heftige Kritik

Schlägerei vor Disko in Nürnberg: Schlichtende Frau berichtet vor Gericht von Polizeigewalt

Elia Hupfer

Online-Redakteur

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11.04.2025, 05:00 Uhr
Die Angeklagte (links) vor der 15. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth. Auf dem Bild rechts liegt die Angeklagte auf dem Bauch, während zwei Polizisten auf ihr knien und sie fixieren.

© Elia Hupfer, privat Die Angeklagte (links) vor der 15. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth. Auf dem Bild rechts liegt die Angeklagte auf dem Bauch, während zwei Polizisten auf ihr knien und sie fixieren.

Die damals 23-jährige Tahira (Name geändert) will mit Freundinnen und Freunden sowie ihrem damaligen Verlobten einen Geburtstag in einer Nürnberger Diskothek feiern, doch am Einlass mündet ein verbaler Streit in einer körperlichen Auseinandersetzung. Tahira zieht sich nach eigener Aussage mit einer Freundin zurück, um nicht in den Konflikt verwickelt zu werden. Die Polizei wird verständigt: eine größere Schlägerei zwischen Gästen und Securitys. Als Tahira die erste eintreffende Streife bemerkt habe, sei sie auf einen Polizisten zugegangen, um ihn zu warnen: Ihr Freund sei betrunken und aggressiv.

Kurze Zeit später steht laut Tahira mindestens ein Polizist mit gezogener Waffe und ein weiterer mit Taser in der Hand vor dem Club. Ihnen gegenüber ihr damaliger Partner – bewaffnet mit einem abgebrochenen Flaschenhals. Die bedrohliche Situation habe nicht die Polizei gelöst, sondern sie, erzählt die heute 25-Jährige: Sie nahm ihrem Verlobten den Flaschenhals ab und warf ihn beiseite. Daraufhin drehte sich ihr Verlobter um, rannte davon und wird von den Polizisten verfolgt.

Tahira will nicht, dass die Situation eskaliert und sucht erneut das Gespräch mit dem Polizisten, den sie bereits zu Beginn warnte. Die Bitte: Die Einsatzkräfte sollten ihrem Verlobten nichts tun. Doch der Polizist will in diesem Moment ebenfalls dem Aggressor hinterher. Er interpretiert Tahrias Verhalten als Versuch, die Verfolgung zu verhindern. Tahira schildert, dass sie ohne Vorwarnung unmittelbar zu Boden gebracht und dort auf dem Bauch liegend fixiert wurde. Der Polizist habe ihr laut ihren Angaben zudem einmal ins Gesicht geschlagen.

Wenig später knien zwei Polizisten auf ihr. Tahira gibt an, keine Luft mehr bekommen zu haben und dies den Beamten auch mitgeteilt zu haben, doch sie sei weiter fixiert worden. Erst als sie auf ihre Asthmaerkrankung hinwies, wurde sie aufgesetzt. Tahiras Verlobter wird derweil gestoppt.

Fall landet vor Nürnberger Gericht

Knapp ein Jahr nach dem Vorfall, im August 2023, hat Tahira zu ihrer Überraschung eine Anklageschrift im Briefkasten: Sie soll polizeiliche Maßnahmen gegenüber ihrem Lebensgefährten behindert und einem Polizisten mit der Ferse gegen den Kopf getreten haben. Die Angeklagte bestreitet das, wird aber im Januar 2024 durch das Amtsgericht Nürnberg in erster Instanz verurteilt. Wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte und vorsätzlicher Körperverletzung erhält sie eine Freiheitsstrafe von acht Monaten. Die Vollstreckung ist zur Bewährung für drei Jahre ausgesetzt. Hinzu kommt als Bewährungsauflage eine Geldstrafe. Tahiras Verteidiger, Gero Loyens, legt Berufung ein und das Verfahren wird im September 2024 vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth fortgesetzt.

Grund für die Verhandlungen ist der Polizist, der Tahira zu Boden brachte und, wie er vor Gericht einräumt, in diesem Zusammenhang der damals 23-Jährigen auch einmal ins Gesicht geschlagen hat. Er behauptet, Tahira habe ihn mehrmals mit der Ferse gegen den Kopf getreten, als er sie fixierte. Er habe danach ein paar Tage Schmerzen gehabt, Kiefer und Schläfe hätten „saftig gezogen“ und er hätte 600er Ibu genommen. Außerdem spricht er von Schluckbeschwerden. Beim Arzt war der damals 24-jährige Polizist nicht. Auf den Fotografien, die in der Verhandlung gezeigt werden, sind keine Verletzungen erkennbar. Zeugen, die den Vorfall mit den Tritten beobachtet haben, gibt es nicht.

Verteidiger Loyens wirft in der Berufungsverhandlung die Frage auf, ob derartige Tritte überhaupt biomechanisch möglich seien, kniete der Polizist doch im Oberkörperbereich. Die Ferse könne gar nicht bis hoch zum Kopf kommen, betonen Angeklagte und Verteidigung. Die beiden bitten den Polizisten, die Szene im Gerichtssaal kurz nachzustellen. Der Polizist weigert sich: Die Schmerzen hätte er nicht von irgendwo her gehabt und er wisse nicht, wie eine Nachstellung zur Aufklärung beitragen könne.

Neben dem für den Verteidiger nicht realistischen Tritt-Szenario ist Loyens ein zweiter Punkt wichtig. Der unmittelbare Zwang, also das gewaltsame Zu-Boden-Bringen, hätte zuvor angedroht werden müssen. Bei einer rechtswidrigen polizeilichen Handlung hätten die Tritte gegen den Kopf keine strafrechtliche Relevanz. Doch auf diese Androhung kann bei einer Gefahrenlage verzichtet werden - und auf diesen Sofortvollzug beruft sich der Polizist.

Schwerer Vorwurf: Polizei soll Video gelöscht haben

Möglicherweise hätte zur Aufklärung ein Video dienen können, das ein Freund von Tahira gemacht haben soll, als er entdeckte, dass sie am Boden unter Polizisten lag. Der Freund, als Zeuge geladen, beschreibt vor Gericht, dass er von Polizisten in Handschellen genommen worden sei, ihm sein Handy aus der Tasche gezogen und vor das Gesicht gehalten wurde, um den Bildschirm per Face ID zu entsperren. Anschließend sei das Video aus dem Album und dem Gelöscht-Ordner gelöscht worden. Das Verhalten der Polizei gegenüber Tahira beschreibt er als sehr aggressiv.

Plädoyers und Urteil

Seine Mandantin hätte lediglich schlichten wollen und habe es geschafft, die Situation zu beruhigen, so Verteidiger Loyens. Das gewaltsame Niederbringen und Fixieren sei unnötig gewesen. Das Handeln des Polizisten war in den Augen des Verteidigers rechtswidrig. Er kritisiert die Verweigerungshaltung des Polizisten mit Blick auf eine Nachstellung der Situation im Gerichtssaal. Es steht Aussage gegen Aussage. Keine Zeugen haben die Tritte gesehen. Die Verteidigung fordert einen Freispruch.

Die Staatsanwältin hält es für erwiesen, dass die Angeklagte schlichtend wirkte und in keinem Fall dem Polizisten schwere Verletzungen hinzugefügt habe. Allerdings stellt sich für sie die Frage, aus welchem Grund der Polizist die Angeklagte zu Unrecht belasten sollte. Tahira hätte es billigend in Kauf genommen, mit ihren Tritten den Polizisten an der Schläfe zu treffen. Zudem seien die polizeilichen Maßnahmen in dieser Situation auch nicht rechtswidrig gewesen. Die Freiheitsstrafe von acht Monaten aus dem Urteil der ersten Instanz sei aufgrund Tahiras deeskalierenden Rolle zu hoch.

Die Kammer hält die Angaben des Polizisten für glaubhaft. Tahira sei sportlich und zur Tatzeit nur am Oberkörper fixiert gewesen, daher sei es für die Kammer nachvollziehbar, dass die Angeklagte in Bauchlage den Polizeibeamten mit der Ferse am Kopf traf. Der Richter folgt am Ende der Einschätzung der Staatsanwältin und verurteilt Tahira wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten. Die Vollstreckung ist ausgesetzt zur Bewährung.

Reaktionen auf das Urteil

Die Verteidigung hat für das Urteil wenig Verständnis, nennt es „höchst schwach“. Die mündliche Urteilsbegründung hätte sich mit den Hauptargumenten der Verteidigung nur sehr oberflächlich auseinandergesetzt. Dies sei in keinster Weise überzeugend gewesen, so Loyens.

Auf die Bitte von Tahira hat an der Verhandlung eine mitarbeitende Person vom B.U.D. Bayern teilgenommen. B.U.D. ist eine Anlaufstelle für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. B.U.D. kann das Urteil nicht nachvollziehen, die Kritik: Alles stütze sich auf die Aussage, des einen vermeintlich getretenen Polizisten. „Es zeigt sich, wie machtvoll die Position von Beamt:innen, in diesem Fall Polizist:innen, ist. Man geht davon aus, dass diese ‚rechtschaffenden‘ Personen nicht lügen könnten. Der Beamte wurde eher für glaubwürdig befunden als die angeklagte Beratungsnehmerin.“

Für das Verhalten des Polizisten vor Gericht hatte man bei B.U.D. auch kein Verständnis. „Aus unserer Sicht verweigerte sich der Polizist der gerichtlichen Wahrheitsfindung aus Gründen, die wir nicht nachvollziehen konnten. Es wirkte fast patzig und herablassend. Dabei scheint es doch nahezuliegen, die Tritte in Liegeposition biomechanisch nachstellen zu lassen und es ist allgemein nicht unüblich, dass Geschehnisse in Gerichtsprozessen nachgestellt werden“, sagt die für B.U.D. sprechende Person.

Revision abgelehnt

Die Verteidigung legte nach dem Berufungsurteil im September Revision ein, mit dem Ziel, eine Neuverhandlung an einer anderen Berufungskammer zu erwirken. Ende Februar wurde die Revision als unbegründet abgelehnt.


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