Weltrekord im Steinheben

Sie kann über 300 Kilo tragen: Sandra Bradley aus Nürnberg ist die stärkste Frau Deutschlands

Erika Balzer

Redakteurin

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11.1.2025, 05:00 Uhr
Sandra Bradley aus Nürnberg ist die stärkste Frau Deutschlands.

© Erika Balzer Sandra Bradley aus Nürnberg ist die stärkste Frau Deutschlands.

Sonntag, 14 Uhr: Trainingszeit für Sandra Bradley. Sie ist geschminkt und hat ihre Haare zu geflochtenen Knoten frisiert. Gerade trainiert die 36-Jährige für einen Wettkampf in Japan. Dorthin geht es bald in den Urlaub und außerdem hat das Land eine lange Tradition im Steinheben - und Steinheben, das kann Sandra Bradley. Genauso wie 106 Kilogramm Baumstammstemmen, 250 Kilogramm Kreuzheben und 300 Kilogramm Jochtragen. Bei gerade einmal 73 Kilogramm Körpergewicht. Bradley ist nämlich Strongwoman, um genau zu sein, ist sie viermal stärkste Frau Deutschlands, einmal stärkste Frau Europas und Weltrekordhalterin im Steinheben.

Essstörung war Beginn ihrer sportlichen Laufbahn

Geboren ist Sandra Bradley eigentlich in Tyroldsberg im Landkreis Neumarkt, seit über zehn Jahren lebt und trainiert sie nun in Nürnberg. Strongwoman wollte sie nicht immer schon werden, sie kam über Umwege zu der Sportart. Als sie sich im Alter von 16 Jahren im Fitnessstudio angemeldet hat, hatte sie eigentlich ein anderes Ziel: Bradley wollte nicht Muskeln aufbauen, sondern abnehmen, denn als Jugendliche litt sie an einer Essstörung.

Der Gewichtsverlust stand irgendwann aber nicht mehr im Vordergrund. Sie hat trainiert, weil es ihr Spaß gemacht hat, vor allem das Starksein. "Als Jugendliche habe ich bei ‚DSF‘ und ‚Eurosport‘ immer diese Strongman-Wettkämpfe gesehen. Ich dachte mir, es wäre so cool, wenn ich auch mal einen Lkw ziehen könnte", erzählt die 36-Jährige. Also hat sie immer weiter trainiert - für den Test bei der Bereitschaftspolizei, bei der Bradley jahrelang gearbeitet hat, oder für den Crossfit-Trainerschein. 2013 lernt sie schließlich die damals stärkste Frau Deutschlands kennen, nur wenig Zeit später nahm sie an ihrem ersten internationalen Wettkampf teil.

Das Studio ihres Vertrauens

Beim Trainingsbesuch ist, bis auf den Besitzer, heute sonst niemand anzutreffen. Im Studio im Nürnberger Westen gibt es direkt am Eingang einen Box-Bereich, es gibt mehrere kleinere Räume und eine große Crossfit-Halle mit meterhohen Decken. Die Bilder an der Wand strotzen nur so vor muskulösen Frauen und Männern, kraftvollen Graffiti und motivierenden Sprüchen. Aber die sind nicht unangenehm und unnötig dramatisch, sondern irgendwie ehrlich. Das ist kein Fitnessstudio, in dem sich die Leute aus einer Laune heraus anmelden, das merkt man. Menschen, die hier trainieren, meinen es ernst. Eben so, wie Sandra Bradley. In der alten Industriehalle ist es eigentlich zu kalt, um die Jacke auszuziehen, aber die Strongwoman kommt beim Training schon bald ins Schwitzen.

Maximalkraft, Explosivkraft und Kraftausdauer

Die Sportart "Strongman" besteht im Grunde aus den drei Disziplinen Maximalkraft, Explosivkraft und Kraftausdauer. Dafür trainiert die Sportlerin drei bis sechs Mal die Woche, je nachdem, welcher Wettkampf als Nächstes bevorsteht. Dafür braucht es Disziplin und Willensstärke. "Wir Sportler sind auch nicht immer motiviert", sagt Bradley und wirkt trotzdem sehr sortiert und entschlossen. Sie versteht ihre Disziplin eher als Versprechen an sich selbst und als Neugier, herauszufinden, wie weit sie mit ihrem Körper gehen kann.

Die 36-Jährige ist bei ihrem Training hochkonzentriert, man sieht ihr an, dass sie ganz genau weiß, was sie macht. Bevor es an die Gewichte geht, wärmt sie sich auf. Kurz aufs Laufband, Dehnen im Ausfallschritt, die Beine und Knie aufwärmen, Gleichgewichtsübungen mit kleineren Gewichten. Dann aber heißt es Knieschoner anziehen, Gürtel um die Taille schnallen und Magnesium auf den Rücken klatschen. Beim Training heute trägt sie schwere Gewichte von dem einen Ende des Raums zum anderen: zuerst jeweils 65 Kilogramm in jeder Hand, danach 150 Kilogramm auf dem Rücken - "Farmers Walk" und "Joch Carry" nennt sich das. Zwischen den Übungen ist sie ruhig, will den Puls wieder runterbringen, und guckt sich ihre Ausführung auf Video an. Danach noch eine Übung mit dem eigenen Körpergewicht und einem Widerstandsband, für die Beinrückseiten und die Körpermitte. Die Trainingseinheit heute ist relativ kurz.

Kraftsport ist ein Marathon, kein Sprint

Wer diese Art von Sport machen will, sollte laut Bradley Lust auf verrückte Disziplinen haben und vor allem bereit sein, die Komfortzone zu verlassen. Nur wer den Körper an seine Grenzen bringt und diese überschreiten kann, wird stärker. Das heißt aber nicht, dass Signale des Körpers ignoriert werden dürfen. Dafür muss sich aber zuerst ein Körpergefühl entwickeln, "irgendwann lernt man dann, die Schmerzen zu deuten - also, ob ich einfach an meine Belastungsgrenze gehe oder ob sich eine Verletzung anbahnt". Und auch, wann der Körper eine Pause braucht. "Manchmal gehen eben nur 40 Prozent, aber so lange ich diese auch wirklich abliefere, habe ich 100 Prozent gegeben."

Irgendwann ist sie nicht mehr die Stärkste

Sandra Bradley wird dieses Jahr 37 Jahre alt und wird irgendwann nicht mehr die stärkste Frau Deutschlands sein, dessen ist sie sich bewusst. Ihr Ziel ist es trotzdem, ein Vorbild zu sein, Menschen zu motivieren und ein Netzwerk aufzubauen, das sich an Strongwomen in Deutschland richtet. Gemeinsam mit anderen ist sie gerade dabei, einen Verein zu gründen. Klar, wenn alles klappt, möchte sie nochmal die stärkste Frau Deutschlands werden. Aber noch viel wichtiger ist es ihr jetzt, ihr Wissen und ihre Erfahrungen an die nächste Generation weiterzugeben. Sie sagt: "Titel allein machen einen nicht zu einem besseren oder schlechteren Menschen."

Bradley räumt die Gewichte wieder auf, macht das Licht aus und sperrt das Studio ab. Sie verabschiedet sich und steigt in ihr Auto. Die Regenration danach ist genauso wichtig, wie das Training an sich. Morgen geht es weiter, dann wird sie wieder mit hunderten von Kilo trainieren.

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