Sie kommen in Häuser: Spinnen verlieren Angst vor Licht
24.2.2019, 19:38 UhrEigentlich ist Tomer Czaczkes Ameisenforscher. Doch bei einem Spaziergang durch Regensburg fällt ihm auf: An Straßenlaternen sitzen verdächtig viele fette Spinnen in ihren Netzen. "Ich dachte, die sind clever, schließlich fliegen Fliegen besonders gerne zum Licht." Essenslieferung frei Haus also.
Mit einem Verdacht begnügt sich ein Wissenschaftler jedoch nicht. Zu Hause liest der Biologe nach. "Vielleicht haben sie im Laufe ihres Lebens gelernt, dass es in der Nähe von Licht viel zu fressen gibt", sagt Czaczkes. "Oder Spinnen, die keine Angst vor Licht haben, setzen sich durch und haben so einen Vorteil in der Evolution."
Verhalten ist angeboren
Tatsächlich findet Czaczkes keine Informationen dazu. Bislang hat sich niemand mit dem Phänomen beschäftigt. Lediglich bei Motten ist das Gegenteil bekannt: "Sie fliegen in der Stadt weniger zum Licht als auf dem Land", erklärt der Biologe. Nicht nur, weil sie gelernt haben, dass das wehtut, sondern: "Hier hat Evolution stattgefunden – das Verhalten ist angeboren!" Motten, die künstlichem Licht weniger zugeneigt waren, haben überlebt, während ihre lichtliebenden Artgenossen zu Tausenden an heißen Lampen verbrannt sind.
Diese Anpassung an die Stadt will Czaczkes auch bei den Spinnen prüfen. Zunächst müssen er und seine Kollegen dafür ein Tier finden, das sowohl in der Stadt als auch auf dem Land häufig vorkommt: die Webspinne "Steatoda triangulosa". Sie baut ihr Netz am liebsten in Zimmerecken oder Fensterrahmen, aber auch im Freien unter Steinen und herabgefallenen Ästen. "Ich habe sofort eine unter meinem Schreibtisch gefunden", erzählt der Biologe.
"Das war einfach und deutlich"
In Gebäuden pflanzt sich "Steatoda" das ganze Jahr über fort. In der Natur legt sie im Frühling und Frühsommer ihre Eier. Die Wissenschaftler sammeln 80 Kokons ein und bringen sie ins Labor. Alle Versuchstiere sollen in der gleichen Umgebung schlüpfen, um Lerneffekte auszuschließen. "Wir wollten zeigen, dass die Angst vor Licht wirklich angeboren ist oder eben nicht", erklärt der Czaczkes. Seit 2013 arbeitet er an der Universität in Regensburg. Geboren ist Czaczkes in Israel und aufgewachsen in England. Er hat Biologie an der renommierten Oxford-Universität studiert und kam dann der Liebe wegen nach Deutschland.
Für die Spinnen teilen er und seine Kollegen kleine Pappschachteln in eine helle und eine dunkle Seite auf. Nach dem Schlüpfen lassen sie die Tiere 24 Stunden in Ruhe. "Dann haben wir nachgesehen, für welche Seite sie sich entschieden hat", erklärt Czaczkes. "Das war einfach und deutlich."
Stadtspinnen haben die Angst vor Licht verloren
Die ausgesuchte Spinnenart lebt auch bei den meisten Leuten daheim im Keller oder auf dem Dachboden. Wer dort eine Kiste hochhebt, sieht sie oft weglaufen. "Man darf aber nicht das normale Fluchtverhalten mit der generellen Angst vor Licht verwechseln", sagt der Biologe. Jedes Tier, das erschrickt, versucht sich zunächst zu verstecken. Wenn die Spinnen aber gezielt im Licht jagen, ist das etwas anderes.
Das Spinnenexperiment in der Kiste liefert ein eindeutiges Ergebnis: Die Exemplare, die die Wissenschaftler in der Natur gefangen haben, mögen kein Licht. "Wenn wir sie auf die dunkle Seite stecken, bleiben sie da. Wenn wir sie auf die helle Seite stecken, gehen sie und bauen ihr Netz im Dunklen." Den Stadt-Spinnen ist das egal. "Völlig wurscht, auf welcher Seite sie waren, sie bauen ein Netz – sie haben die Angst vor dem Licht verloren."
Blöd für Menschen, die Angst vor Spinnen haben. "Viele finden Spinnen unheimlich, weil sie sich mit ihren Beinen für uns so ungewohnt bewegen", erklärt Czaczkes. "Aber in Europa kann man so gut wie sicher sein, dass jede Spinne, die man trifft, absolut harmlos ist." Als Insektenforscher hat er natürlich keine Angst: "Nur ein bisschen vor Wespen." Die stechen schließlich.
Ans Licht gewöhnt
Dafür, dass sich Spinnen in der Stadt ans Licht gewöhnen, hat der Biologe drei mögliche Erklärungen. "Die könnten alle stimmen oder zusammenspielen." Erstens: In der Nähe von Licht gibt es oft mehr Futter. "Steatoda triangulosa" frisst vor allem Ameisen, Käfer und Fliegen. Zweitens: Licht schützt vor Feinden. "Spinnen ohne Licht-Angst gehen eher in Gebäude und dorthin können ihnen ihre Feinde wie Vögel oder Igel nicht folgen." Drittens: Licht schützt vor Kälte und Nässe. "Das ist, meiner Meinung nach, der wichtigste Aspekt", sagt der Experte. Denn in der Natur überlebt "Steatoda triangulosa" nur in Südeuropa. "Nördlich der Alpen übersteht sie den Winter nur in Gebäuden." Exemplare, die das Licht scheuen, haben verloren.
Sie bleiben im Freien und sterben aus. "Spinnen mit weniger Angst sind geschützt, leben länger und pflanzen sich häufiger fort – sie setzen sich in der Evolution durch." Vor allem deswegen sind die Erkenntnisse der Wissenschaftler interessant. "Das ist eines der seltenen Beispiele, mit dem wir direkt zeigen können, dass der Mensch die Evolution in eine neue Richtung schiebt", sagt Tomer Czaczkes. "Dadurch, dass wir die Welt verändern, überleben nur die Tiere, die sich anpassen." Der Mensch ist also schuld, wenn Spinnen eines Tages lieber im Wohnzimmer statt im Keller sitzen. "Ja, aber das finde ich auch gar nicht schlimm, das sind schließlich ganz süße Viecher und die tun nichts", sagt Czaczkes. "Ich hätte viel lieber eine Spinne im Wohnzimmer als so eine nervige, summende Fliegen." Die frisst die Spinne gerne auf.
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