"Sorge um die Türkei“"

12.12.2016, 18:00 Uhr

© Roland Englisch

Sie kennen ihn. Und sie schätzen ihn. Kaum hat Arif Taşdelen die Tür zum Restaurant Istanbul aufgedrückt, eilen alle herbei, der Kellner, der Chef, der Koch. Händeschütteln, kurzes Palaver auf Türkisch, fröhliches Lachen. Dann führen sie Taşdelen und seinen Gast an einen Tisch hinten im Restaurant — der einzige, der weiß eingedeckt ist.

Eher zufällig sei er auf das Lokal gestoßen, erzählt der 42-Jährige. Nach einer SPD-Veranstaltung im nahe gelegenen DGB-Haus waren er und der Europa-Abgeordnete Ismail Ertuğ auf der Suche nach einem Restaurant gewesen und im Istanbul gelandet. Das Viertel rund um die Münchener Landwehrstraße südlich des Hauptbahnhofs ist fest in türkischer Hand, türkische Gemüseläden, Im- und Export-Shops, Bars und Restaurants bestimmen das Bild. Früher hat Taşdelen in der Nähe des Landtags sogar ein Zimmer gehabt. Er habe es gekündigt. „Ich verbringe so viel Zeit wie möglich zu Hause mit meiner Familie“, das sei ihm wichtig. So wichtig, dass er auch spätabends nach dem Plenum lieber noch in den Zug steigt und nach Nürnberg fährt, statt sich mit seinen Kollegen in einem der Lokale rund um den Landtag zu treffen. Zu Hause, sagt er, treffe er Freunde, die nichts mit Politik am Hut haben, Menschen, die ihm sagen könnten, was die Leute bewege.

Der Kellner schleppt unermüdlich Essen heran: Linsensuppe mit Zitrone, Salat mit kräftigen Tomaten, Gurken und Peperoni, Hummus mit Olivenöl, eingelegtes Gemüse, Brot in vielen Varianten. Taşdelen probiert, murmelt, da sei ihm zu viel Knoblauch dran, und etwas scharf seien die Peperoni auch. Dabei kennt er das aus seiner Heimat anders.

Er ist in Savur geboren, einer Stadt im Südosten Anatoliens, in der Provinz Mardin, nahe der syrischen Grenze. Dort ist die Küche schwer von Knoblauch und Zwiebeln, scharf von den Gewürzen, üppig in den Aromen. Als er acht Jahre alt war, sind seine Eltern nach Deutschland gezogen, genauer nach Bayern, noch genauer nach Bayreuth. Er sei in der Schule ständig gehänselt und verspottet worden als Knoblauch- und als Zwiebelfresser; irgendwann habe er sich die Gewürze abgewöhnt, weil er den Hohn nicht mehr ertragen hat.

Er weiß, wie hart das Leben sein kann. Seine Eltern wollten ihn nicht wirklich auf die Schule schicken; sie hatten auf seine Arbeitskraft gesetzt, damit das Geld zum Leben reicht für die Eltern und seine sechs Geschwister. Bis heute sind seine Eltern Analphabeten und des Deutschen kaum mächtig. Er hat sich dennoch durchgekämpft, die Realschule besucht, ist Zollinspektor geworden, Personalrat, Gewerkschafter, SPD-Mitglied, Stadtrat und Landtagsabgeordneter.

Der Koch erscheint, ein kleiner, drahtiger Mann unbestimmbaren Alters. Er werde etwas zurechtmachen, sagt er, eine Art Überraschungsmenü. Der Mann, so Taşdelen, verstehe sein Handwerk. Bevor er nach Deutschland gekommen war, hatte er als Leibkoch für türkische Präsidenten gearbeitet. „Die Türkei“, sagt er später, während die Lammkoteletts, die Rindfleischstückchen, das Huhn und die Lammhackbällchen auf dem Tisch dampfen, eingerahmt von scharfen Soßen, „die Türkei macht mir Sorgen.“ Er fürchte um die Demokratie in seinem Heimatland, berichtet der SPD-Politiker, der dennoch nichts davon hält, dass Europa den türkischen Staatspräsidenten Erdoğan zum Feindbild aufbaue. „Da machen es sich viele zu einfach.“

Seit 34 Jahren in Deutschland

Einfach ist es für ihn nicht, auf keinen Fall. Jeder frage ihn um Rat, um seine Meinung zur Türkei, sagt er. Dabei ist er längst deutscher Staatsbürger, er lebt seit 34 Jahren in der Bundesrepublik. Wenn er nach Anatolien reist, fühlt er sich dort zwar daheim; doch zu Hause, sagt er, ist er in Nürnberg. Dass trotzdem viele noch immer in ihm den Türken sehen, den Fachmann für sein Geburtsland — er nimmt es hin, wenn auch mit gedämpfter Begeisterung, beantwortet gleichwohl höflich jede Frage.

Er wisse um das Besondere seiner Rolle als Landtagsabgeordneter. Für ihn, der aus einfachsten Verhältnissen kommt, ist der Job das Größte. „Eine Riesengeschichte“ nennt er ihn, und dass er jetzt die Enquete-Kommission des Landtags leiten darf, die Empfehlungen für ein Gelingen der Integration ausländischer Mitbürger erarbeiten soll, das macht ihn mehr als stolz. „Ich bin protokollarisch aufgestiegen“, so der 42-Jährige. Und dass nun alle Abgeordneten in der Kommission auf sein Kommando hörten, „das kenne ich eigentlich gar nicht“.

Dann kommt der Nachtisch. Künefe. Anatolischer Käse in Engelshaar. Das sind zwar in Wahrheit nur dünne Teigfäden. Doch da muss selbst Taşdelen passen. So sehr er die Nachspeise auch mag, er schafft sie nicht ganz. Aber versucht hat er es natürlich, Weil er nichts unversucht lässt.