Spät-, Früh- und dann Nachtschicht: Unmut bei der Polizei

14.06.2016, 06:00 Uhr
Spät-, Früh- und dann Nachtschicht: Unmut bei der Polizei

© Foto: Stefan Hippel

Das derzeitige Modell für Streifenbeamte und andere Schichtdienst-Bereiche der Polizei gilt seit Jahrzehnten: Nach dem Spätdienst (13 bis 20 Uhr) treten die Beamten in Nürnberg und anderen Ballungsräumen am nächsten Morgen zum Frühdienst (6 bis 13 Uhr) an und noch am selben Tag zur Nachtschicht (20 bis 6 Uhr) – der sogenannte Doppelschlag. Der nächste Dienst beginnt dann am übernächsten Tag wieder mit der Spätschicht. Auf dem Land sind die Dienstzeiten 13 bis 19 Uhr, 19 bis 7 Uhr und 7 bis 13 Uhr, was zwölf Stunden Nachtschicht bedeutet (in den einsatzintensiveren Ballungsräumen sind es lediglich zehn Stunden).

Junge Polizisten, die oft entfernt vom eigenen Wohnort eingesetzt werden, lieben dieses Modell. Weil es die Arbeitszeiten komprimiert und nach jedem Durchlauf mehr als zwei Tage Zeit für Heimfahrten, Freunde, Familie lässt. Nach 15, 20 Jahren Schichtdienst sieht die Beurteilung oft anders aus. Nicht von ungefähr gehört die Polizei zu den Berufsgruppen mit den höchsten Scheidungsraten.

Wenn es nach Joachim Herrmann geht, soll dieses Schichtsystem ab 2019 der Vergangenheit angehören. Das Modell stehe im Widerspruch zur EU-Arbeitszeitrichtlinie, meint der Innenminister. Diese zentrale Arbeitnehmer-Schutzvorschrift gilt für alle Beschäftigten in Europa und schreibt unter anderem vor, dass die tägliche Mindestruhezeit zwischen zwei Arbeitsblöcken elf Stunden umfassen muss. Beim Doppelschlag liegen aber nur sieben Stunden zwischen dem Ende der Früh- und dem beginn der Nachtschicht am selben Arbeitstag.

Elf Stunden Ruhezeit

38 Alternativmodelle hat das Ministerium in der jüngeren Vergangenheit erarbeitet. Deren Kerngedanke: Die elf Stunden Ruhezeit müssen immer eingehalten werden, es darf keine Zwölf-Stunden-Schichten mehr geben – und das Ganze muss ohne Personalmehrung umgesetzt werden. Doch schon auf den ersten Blick seien etliche dieser Modelle letztlich untauglich, konstatiert ein Positionspapier der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) von Juni 2015.

Sie sähen planmäßig erhebliche Minder- oder Mehrstunden-Leistungen vor – was im Widerspruch zum Obersten Rechnungshofes stünde, nach dessen Auffassung Arbeitszeitmodelle die jeweilige Sollzeit möglichst genau abzudecken haben. Bei einigen der ministeriellen Modelle kämen die Beamten auf bis zu 200 Minusstunden im Jahr, so das DPolG-Papier. Um dieses Soll ausgleichen zu können, müssten die Polizisten Zusatzdienste leisten, was wiederum die Mindestruhezeiten infrage stellen würde.

Jenseits dessen rumort es in vielen der rund 400 Polizeiinspektionen Bayerns. Sie sollen nach den Vorstellungen im Ministerium die neuen Schichtmodelle ein Jahr lang freiwillig testen. Nicht wenige Beamte befürchten aber, dass aus dem Test ein unfreiwilliger Dauerzustand werden könnte, wenn eine Inspektion erst einmal das etablierte Modell verlassen hat, berichten Insider.

In den Nürnberger Inspektionen Süd und West haben sich die Schichtbeamten bei Abstimmungen bereits gegen eine Testphase entschieden. Auf dem Tillygelände (PI West) mit gerade mal einer Stimme Mehrheit. In Langwasser (PI Süd) mit einem deutlichen 20:80-Votum. In der PI Mitte (Schlotfegergasse) wird ein möglicher Test gerade diskutiert.

Auch bayernweit wird der zwölfmonatige Testlauf eher verhalten angenommen, der spätestens Ende Juni dieses Jahres beginnen müsste. Etwa 40 der rund 400 Polizeiinspektionen haben sich bislang zu einer Teilnahme entschlossen, berichtet Rainer Nachtigall, der stellvertretende Landesvorsitzende der DPolG, auf Anfrage.

Begründete Zweifel

Obwohl die Dienstvereinbarung zwischen Hauptpersonalrat und Innenministerium Rückfallebenen umfasst. Dazu gehört zum Beispiel, dass sich alle Schichtbeamten einer Inspektion mehrheitlich für ein bestimmtes Testmodell entscheiden müssen. Dass sie während der einjährigen Testphase vierteljährlich anonym zu ihrer Bewertung des Modells befragt werden müssen. Und dass die Inspektion sofort zum alten Schichtsystem zurückkehren muss, wenn diese Befragungen zweimal hintereinander mehrheitlich negativ ausfallen sollten.

Ob es dazu in der einen oder anderen PI kommt oder nicht: Wie es nach der Testphase weitergeht, steht noch in den Sternen. Zwar werden die Ergebnisse bis Ende 2017 evaluiert. Doch sie können allenfalls Präferenzen zeigen. Schon deshalb halten Beobachter es für wenig wahrscheinlich, dass das Innenministerium am Ende – also im Wahljahr 2018 – den Schichtbeamten ein Zwangsmodell vor die Nase setzen wird.

Zumal offenbar begründete Zweifel an der ministeriellen These bestehen, das bisherige Schichtmodell sei nicht EU-konform: Zu diesem Schluss kommt jedenfalls ein 160-seitiges Gutachten von Prof. Heinrich Wolff, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Uni Bayreuth, das unter anderem auf die Ausnahmetatbestände in Art. 17 der EU-Arbeitszeitverordnung abstellt.

Grundsätzlich seien die elf Stunden Ruhezeit zwischen zwei Arbeitsblöcken einzuhalten. In bestimmten Fällen sei es aber möglich, die fehlenden Stunden einer Ruhezeit an die darauffolgenden Ruhezeit anzuhängen und so auszugleichen. Und genau das wird nach Ansicht der DPolG mit den gut zwei Tagen Pause zwischen der letzten Frühschicht und der folgenden Spätschicht erfüllt.

Vor diesem Hintergrund plädiert die Gewerkschaft dafür, die neuen Modelle des Ministeriums zu bewerben, aber das bisherige Schichtsystem als Wahlmöglichkeit beizubehalten. Zwang erzeuge Widerstand, Freiwilligkeit hingegen öffne die Tür für einen "Ansteckungseffekt", auf den die DPolG setzt.

Die Erfahrung zeige: Wenn eine Polizeiinspektion in einem andren Schichtmodell arbeite, entstehe mit der Zeit eine hohe Akzeptanz für dieses Modell, so Nachtigall, der auf die PI Fürth verweist. Gut vier Fünftel der rund 80 Schichtbeamten dort bewerteten dieses Modell positiv. Und diese Stimmung könnte am Ende zum Beispiel auf die Nürnberger Inspektionen überschwappen, die neuen Schichtmodelle bislang noch ablehnend gegenüber stehen.

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