Stille Gefahr: In Nürnberg lauern noch Tausende Blindgänger
21.8.2020, 05:34 UhrDoch noch immer finden sich Fliegerbomben im Nürnberger Untergrund. Erst Anfang Mai wurden bei Bauarbeiten nahe der Ingolstädter Straße gleich zwei Blindgänger hintereinander entdeckt. Und in Langwasser hat die WBG gerade das ehemalige Freibad-Gelände auf Sprengkörper untersuchen lassen. Das Problem wird Nürnberg wohl noch lange beschäftigen.
Bomben-Überbleibsel entdeckt: So geht ein Sprengmeister vor
Im Luftkrieg leisteten die Alliierten ab 1942 ganze Arbeit. Flächenbombardements wurden zunehmend die Regel. Dresden und die östlichen Stadtteile Hamburgs gingen im Feuersturm unter. Würzburg wurde weitgehend verwüstet, aber auch Aschaffenburg und Augsburg erlebten erhebliche Zerstörungen.
In Nürnberg waren zunächst vor allem Fabriken und Bahnanlagen Ziel der todbringenden Luftfracht, die über dem Stadtgebiet abgeworfen wurde – in Form abertausender Fliegerbomben, Benzinbrandbomben und vor allem Stabbrandbomben. Letztere schütteten die Alliierten nicht nur über der "Stadt der Reichsparteitage" als "Massenware" aus, um die Moral der Zivilbevölkerung zu schwächen und damit der Wehrmacht jeden Rückhalt zu nehmen.
Unbekanntes Risiko
Die Blindgängerrate war hoch. Fachleute schätzen, dass statistisch zehn bis 15 Prozent der Sprengsätze nicht explodierten. In solchen Fällen konnten sich vor allem die bis zu 500 Kilo schweren Fliegerbomben je nach Bodenbeschaffenheit tief ins Erdreich eingraben oder unter der Erdoberfläche wandern. Nach dem Krieg wurden dann Bombenkrater und Splitterschutzgräben verfüllt, neue Häuser und Verkehrsanlagen auf diesem Boden errichtet. Wie viele dieser Altlasten heute noch in Nürnbergs Untergrund schlummern, weiß kein Mensch. Schätzungen gehen von etlichen Tausend Sprengkörpern aus.
Allein im Umfeld der beiden Hafenbrücken, die ja bekanntlich generalsaniert werden müssen, gibt es mehrere Hundert Verdachtsfälle, die auf Spezialkarten mit roten und gelben Pünktchen markiert sind. Dass solche Kartierungen erstellt werden können, verdanken wir ebenfalls den Alliierten, die ab 1940 nach jedem Luftangriff systematisch Luftbilder erstellten, um den Erfolg ihrer Bombardements zu überprüfen. Die US-Amerikaner setzten dafür auch Stereoskopie-Kameras ein, deren Schwarzweiß-Bilder – in einem Spezialgerät zusammengeführt – dem Betrachter einen dreidimensionalen Eindruck des fotografierten Raums vermitteln.
Luftbildauswertung spielt eine Rolle
Fachleute können heute auf solchen Aufnahmen aus kleinsten Schatten und Wellen, Verwerfungen oder Kanälen im Erdreich Rückschlüsse auf vorhandene Blindgänger ziehen. Bis vor einigen Jahren nahm sich der städtische Servicebetrieb öffentlicher Raum (SÖR) entsprechender Voruntersuchungen für städtische Bauprojekte an. Rund 2500 Luftbilder wurden dafür über die Jahre digitalisiert.
Doch inzwischen hat die Stadt diese Aufgabe ausgelagert und beauftragt heute Firmen, die auf die Luftbildauswertung spezialisiert sind. Deren Experten können entsprechendes Bildmaterial beispielsweise beim Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung kaufen, dessen Luftbildarchiv mehr als eine Million Aufnahmen umfasst.
Keine 100-prozentige Garantie
Entdecken die Spezialisten während der Auswertung Verdachtsfälle, dann muss das betreffende Gelände von einer sprengstoffrechtlich zugelassenen Fachfirma sondiert werden, bevor der erste Bagger anrollen darf. Werden dabei Fliegerbomben oder andere Sprengkörper entdeckt, muss der Kampfmittel-Räumdienst ran – in Nürnberg ist dies das Sprengkommando Feucht. Aber auch eine abgeschlossene Sondierung garantiert nicht zu 100 Prozent, dass in dem untersuchten Areal keinerlei Sprengmittel mehr lagern.
Zu den besonders belasteten Bereichen gehört die Nürnberger Altstadt, die bei dem massiven Luftangriff vom 2. Januar 1945 fast völlig zerstört wurde. Innerhalb von nur 30 Minuten warfen 521 Bomber der britischen Royal Air Force rund 6000 Sprengbomben und etwa eine Million Brandbomben – zumeist über dem historischen Stadtzentrum – ab. Insgesamt flogen Briten und US Amerikaner in den letzten Kriegsjahren 22 schwere und mittelschwere Luftangriffe auf Nürnberg, bei denen insgesamt mehr als 7800 Bomber eingesetzt wurden.
Bei Bauvorhaben in der Innenstadt sind Vorab-Sondierungen daher Pflicht. Aber auch in anderen Bereichen des Stadtgebiets ist die Wahrscheinlichkeit, auf Blindgänger zu stoßen, besonders hoch. Im Südfriedhof etwa liegen – wegen der Nähe zum Rangierbahnhof – viele Fliegerbomben. Das Areal des heutigen Wöhrder Sees ist übersät von Bombentrichtern. Erst im vergangenen Jahr wurde bei Sondierungsarbeiten ein Blindgänger ans Tageslicht befördert. Nicht zuletzt sind einige der heutigen Kleingarten-Kolonien auf Verdachtsfall-Gelände errichtet. Sie liegen im Umfeld von Bahnanlagen, die ja zu den wichtigsten Zielen der Bomberpiloten gehörten.
Abwürfe im Südwesten
Schließlich werden in den Waldabschnitten um das heutige Hafen-Areal noch zahlreiche Blindgänger vermutet. Auch vor 1945 gab es dort lediglich Wald, aber keine strategischen Ziele. Eine mögliche Erklärung könnte in dem Umstand liegen, dass die amerikanischen Bomber-Piloten Nürnberg immer vom Südwesten aus anflogen, um eine Schleife über der Stadt zu ziehen und dann wieder Richtung Südwest abzudrehen. Wurden sie beim Anflug von Abfangjägern attackiert, dann mussten die Bomber ihre Todesfracht loswerden, um schneller gen Heimatstützpunkt fliehen zu können.
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