Tabuthema: "Religiöses Mobbing wird totgeschwiegen"

5.4.2018, 05:55 Uhr
Tabuthema:

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Anton S. (Name geändert) wird seine Zeit an einer Würzburger Mittelschule wohl nicht so schnell vergessen. Im Schuljahr 2016/17 unterrichtete der 31-Jährige an dieser Brennpunktschule: "Für Würzburger Verhältnisse ein hoher Migrantenanteil und viele muslimische Kinder und Jugendliche", bilanziert der Lehrer, der anonym bleiben möchte, weil er Sanktionen befürchtet.

Religiös motiviertes Mobbing sei an der Tagesordnung gewesen. An der Schule habe es eine Clique junger Muslime gegeben, die für ihre Regelverstöße bekannt gewesen seien, erzählt Anton S. Christliche Mitschüler seien von ihnen als "Ungläubige" oder "Hunde" beschimpft und schwer bedroht worden. Etwa, weil sie im Ramadan nicht fasteten. Eine Schülerin handelte sich Schläge ein, weil sie ein belegtes Brot verzehrte. Für die Wurst darauf war Schweinefleisch verwendet worden.

"Mein Eindruck war, dass diese Jungs das zu Hause aufgeschnappt und nachgeplappert haben", erzählt der junge Pädagoge. Die besagte Clique sei irgendwann so dominant geworden, dass sie sich kaum mehr etwas sagen ließ. "Das wirkte auf die übrigen Schüler so cool, dass auch sie plötzlich Muslime sein wollten."

Überforderte Schulleitung

Die Schulleitung, erzählt der 31-Jährige, habe sich redlich bemüht, den Problemen zu begegnen, sei aber völlig überfordert gewesen. Trotzdem versuchte sie gegenzusteuern. Es wurde ein Elternabend speziell für muslimische Eltern eingerichtet, Klassen wurden geteilt, Verweise erteilt, Schulpsychologen eingesetzt. Keine der Maßnahmen griff allerdings. Und das, obwohl der Dienstherr über die Ereignisse informiert gewesen sei, erzählt Anton S. "Das Thema religiös motiviertes Mobbing in Schulen wird gern totgeschwiegen."

Diese Einschätzung teilt eine Kollegin, die an zwei staatlichen Gymnasien in München ganz Ähnliches erlebt hat. "Als blonde zierliche Frau bin ich von den muslimischen Schülern nicht ernst genommen worden", erzählt sie. Die Herabwürdigungen von Frauen, egal ob Schülerinnen oder Lehrerinnen, seien extrem gewesen. Im Referendariat sei ein muslimischer Schüler sogar mit einem Besen auf sie losgegangen und habe sie im Gesicht verletzt. "Ein Kollege hat mir dann abgeraten, die Schulleitung zu informieren, da sich das negativ auf meinen Werdegang auswirken könne."

Nürnberg im Fokus

Ausdrücke wie etwa "Du Judensau" hätten die Schüler sehr häufig als Schimpfwort verwendet, allerdings nicht nur die muslimischen unter ihnen. "Es war fast nicht möglich, mit den Schülern über ihre Einstellungen zu reden, ihre Überzeugungen sitzen tief", sagt die junge Pädagogin. Außerdem werde bei jeglicher Kritik sofort "die Nazikeule geschwungen", sprich ausländische Jugendliche unterstellten Lehrern, wenn sie kritisiert oder schlecht benotet wurden, rechte Motive. "Der Diskurs über diese Problematik fehlt in der Öffentlichkeit vollkommen", sagt die junge Lehrerin. Man könne diese vielen Fälle nicht weiter totschweigen, doch genau das passiere gerade.

Massives religiös motiviertes Mobbing soll sich unter anderem auch an einer Augsburger Realschule und an zwei Nürnberger Mittelschulen ereignet haben. Das berichten Lehrkräfte auf Anfrage. An der Wilhelm-Löhe-Gesamtschule in Nürnberg werden rund 35 jüdische Schüler unterrichtet. "Viele von ihnen sind zu uns gekommen, weil sie wegen ihrer Konfession an anderen Schulen Probleme hatten", sagt ein Lehrer der Schule.

Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverband (BLLV), sorgt sich darum, dass das Thema in den Medien zu einseitig behandelt werden könnte. Ihr selbst seien keine Fälle religiösen Mobbings an bayerischen Grund- und Mittelschulen bekannt, sagt Fleischmann. "Menschen, die anders sind, haben schon immer Ängste geschürt", gibt sie aber zu bedenken.

Deshalb sei es wichtig hinzuschauen und jegliche diskriminierende oder antidemokratische Tendenz umgehend aufzugreifen und mit den Schülern zu diskutieren. "Schule muss ein Gegengewicht zur Tendenz in der Gesellschaft bilden." Auch deshalb plädiert Fleischmann nach wie vor für flächendeckenden Islamunterricht an den bayerischen Schulen.

Präventiv handeln

Auch Michael Schwägerl, Vorsitzender der bayerischen Philologen, und Jürgen Böhm, Vorsitzender des Bayerischen Realschullehrerverbands, sind keine Fälle religiös motivierten Mobbings bekannt. Beide betonen, es gelte "Null Toleranz" gegen jede Form von Gewalt. Man müsse bei der kleinsten Tendenz präventiv dagegen angehen.

Das Bayerische Kultusministerium hat ebenfalls keine Meldungen über religiöses Mobbing an Schulen erhalten. Eine Sprecherin betont, es gebe 18 Regionalbeauftragte für Demokratie und Toleranz an den Schulen. "Diese berichten regelmäßig an das Ministerium – bisher unterscheiden ihre Rückmeldungen aber nicht zwischen extremistischen Tatbeständen und konkreten Mobbingvorfällen mit religiösen Motiven", erläutert die Ministeriumssprecherin.

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