Tagelang in Quarantäne: Zwei Betroffene der Corona-Panne erzählen
13.8.2020, 15:07 UhrDonnerstagnacht um 23.45 Uhr klingelte das Handy, die SMS mit dem erlösenden Code. Schon am Freitag hatte Ulla D., die anonym bleiben will, ihren Abstrich am Dürer-Flughafen gemacht - ein Pflichttest auf das Coronavirus, wie die Fürtherin betont. Mit einer Freundin reiste sie zuvor durch Katalonien, das seit einigen Tagen vom Robert-Koch-Institut als Risikogebiet definiert wird. Dort, so die Experten, sei die Ansteckung wahrscheinlicher als anderswo auf der Welt, das Risiko größer. Am Flughafen ließen sich D. und ihre Freundin deshalb testen. Auf das Ergebnis warteten sie Stunde um Stunde, Tag um Tag. Bis zu eben jener SMS in der Nacht auf Donnerstag.
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Die Fürtherin und ihre Freundin sind zwei von 44.000 Menschen, die viel zu lange auf die Ergebnisse ihrer Abstriche warten mussten - wegen einer Panne. Das System sei nicht auf die Masse an Tests ausgelegt gewesen, räumte die Staatsregierung am Mittwoch ein. Ehrenamtliche Helfer gaben die Daten der Getesteten per Hand in Tablets und Excel-Tabellen ein, bis die Menge nicht mehr zu bewältigen war. Bis zum Stillstand. Unter den Zehntausenden, die ihre Ergebnisse nicht übermittelt bekamen, waren mindestens 900 Infizierte. "Einen ärgerlichen Fehler" nennt das Ministerpräsident Markus Söder, "Regierungsversagen" und Schlamperei die Opposition.
"Blöd war, dass man nicht zwischen Pflichttests und freiwilligen Abstrichen getrennt hat", sagt D., die von Anfang an überzeugt war, nicht infiziert zu sein. Auch ihre Freundin, eine Nürnberger Ärztin, sieht das kritisch. Sie habe sich bereits am Flughafen erkundigt, ob sie ihr Ergebnis als Medizinerin nicht früher bekommen könne. "Sonst hätte ich meine Patiententermine absagen müssen", sagt die Psychotherapeutin. "Aber die wussten nichts von einem beschleunigten Verfahren. Uns wurde gesagt, wir bekommen das Ergebnis spätestens nach drei bis vier Tagen." Die Proben, so das Personal am Flughafen, gehen noch am selben Abend ins Labor.
Verdienstausfall und Freiheitsentzug: "Quarantäne war eine Belastung"
Für die beiden Reiserückkehrerinnen ging es in Quarantäne - eine Vorschrift bei Urlaubern, die in einem Risikogebieten unterwegs waren. Gut 20 Termine musste die Ärztin deshalb streichen. "Am Montag für den Dienstag, am Dienstag für den Mittwoch, am Mittwoch für den Donnerstag." Absagen auf Raten, keine Planungssicherheit. Wann die Ergebnisse kommen? Ungewiss.
"Auf dem Verdienstausfall bleibe ich sitzen", sagt die Psychotherapeutin. "Aber auch sonst war das eine erhebliche Belastung, das Gefühl des Freiheitsentzuges." Ihre Tochter kaufte während der Quarantäne vor und nach der Arbeit ein, versorgte sie mit lebensnotwendigen Dingen des Alltags. "Offensichtlich", sagt die Medizinerin, "war der Massenansturm auf die Tests von politischer Seite nicht durchdacht."
BRK: Ehrenamtliche nicht zum Sündenbock machen
Durchgeführt wurden die insgesamt fast 60.000 Tests von 2300 ehrenamtlichen Helfern unter Federführung des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK), das die Teststationen im Freistaat binnen weniger Tage aus dem Boden gestampft hatte. "Wir haben zusammen sicherlich Fehler gemacht", sagte Gesundheitsministerin Melanie Huml am Mittwoch – ein Affront für viele BRK-Kräfte.
Die Organisation weist jede Mitverantwortung an der Panne von sich. "Wir haben kurzfristig einen Dienst für den Freistaat übernommen", sagt der stellvertretende Landesgeschäftsführer Wolfgang Obermair. "Die Art und Weise der Dokumentation wurde von der Gesundheitsbehörde vorgegeben." Die Ehrenamtlichen jetzt zum Sündenbock der Affäre zu machen, sei ein Unding. Auch BRK-Sprecher Sohrab Taheri-Sohi, reagiert auf Nachfrage deutlich: "Wir stecken den ganzen Tag in Vollschutz-Anzügen und schwitzen - und das ist nun der Dank.“
Man habe an den Raststätten, Flughäfen und Hauptbahnhöfen in Bayern nur "Dienst nach Vorschrift" gemacht, sagt Taheri-Sohi. Vorschriften, die vom LGL kamen. Selbst die Formulare, die per Hand ausgefüllt wurden, habe die Behörde zur Verfügung gestellt. "Dementsprechend irritierend waren die Äußerungen." Auch auf Drängen der Organisationen, eine geeignete Software zur Verfügung zu stellen, passierte nichts - aus Zeitgründen.
Neue technische Probleme am Donnerstag?
Wer am Tag nach dem Debakel bei der Corona-Hotline des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) anrufen wollte, der hatte keine Chance. "Aus organisatorischen Gründen", hieß es vom Band, sei das Telefon derzeit unbesetzt. Ein Problem für viele, die ihre Ergebnisse nicht aufrufen konnten. In mehreren Fällen gab es Komplikationen mit den Mails, über die Getestete erfahren, ob sie negativ oder positiv auf das Virus getestet wurden. "Ich habe eine SMS mit dem Sicherheitscode bekommen", sagte etwa eine Fürtherin gegenüber den Nürnberger Nachrichten. "Aber keine Mail." Erst durch die Verbindung beider Komponenten wird das Ergebnis sichtbar.
"Seit Stunden telefoniere ich, mit dem Landesamt für Gesundheit und dem Ministerium, doch keiner kann helfen", sagte die Frau. Erst am frühen Nachmittag war die Hotline wieder besetzt. "Hintergrund war, dass das LGL alle vorhandenen personellen Ressourcen für die Befundübermittlung an die positiv Getesteten aufwenden wollte", sagte ein Sprecher. "Denn diese hat oberste Priorität." In wie vielen Fällen es Probleme mit den Mails gab, blieb unklar.
Das bange Warten hat zumindest für die zwei Rückkehrerinnen aus Katalonien ein Ende. Mehr als fünf volle Tage harrten sie in Quarantäne, die bei besserer technischer Ausstattung deutlich früher hätte aufgelöst werden können. "Das ist schon ärgerlich", sagt Ulla D., auch, weil die Urlauber Risikogebiete eigentlich meiden wollten. Dass ihr Ziel Katalonien nun aber genau ein solches sei, "haben wir aus der Presse erfahren". Die beiden Testergebnisse fielen übrigens negativ aus.