Transsexualität

Transsexuelle Nürnbergerin: "Die Natur hat entschieden: Ich soll so sein"

Anette Röckl

NN-Redaktion Gesellschaft

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4.6.2021, 07:51 Uhr
Transsexuelle Nürnbergerin:

© Hassan Taheri / Verlag C.H. Beck

Nora Eckert, Sie wurden als Sohn einer Damenschneiderin in Nürnberg geboren und leben heute schon lange als Frau in Berlin. Wann haben Sie gemerkt, dass Sie anders sind als andere?

Nora Eckert: Gewusst habe ich es mit 22. Aber geahnt, dass bei mir etwas anders ist, habe ich schon als Kind, aber es war nicht zu benennen. Es kam mir nicht als Problem vor. Ich hatte eine glückliche Kindheit. Auch weil meine Mutter mich nicht in die Jungs-Rolle gesteckt hat. Sie hat mich gewähren lassen. Als die Kindergärtnerin sagte "Er spielt wie ein Mädchen", war das ein Kompliment für mich.

Von Franken in die Glitzerwelt: Sie gingen 1973 dann nach West-Berlin. Dort arbeiteten sie tags als Buchhändler und nachts als Frau in dem berühmten Travestieclub "Chez Romy Haag". Den frequentierten Stars wie David Bowie. Wie war das?

Eckert: Das hatte natürlich etwas Erregendes. Es war ja nicht nur mein Arbeitsplatz, sondern auch ein Ort, an dem ich mich selbst verwirklichen konnte und mich in dieses Frausein hineinleben konnte. Das ging ja nicht von heute auf morgen, sondern war ein Prozess. Da war das natürlich der ideale Ort. Und es war damals eine absolute In-Adresse. Wenn man da arbeitete, war man eine Größe in der Stadt. Die Stars kamen ja, um uns zu sehen.

Transsexuelle Nürnbergerin:

© Verlag C.H. Beck/ Copyright bei Nora Eckert

Wer hat Sie am meisten beeindruckt?

Eckert: Eines Abends stand plötzlich Tina Turner vor mir. Da habe ich schon schlucken müssen. Wenn David Bowie zu uns kam - und er war etliche Male da, weil er eine Beziehung zu Romy Haag hatte - war der ganz unscheinbar. Er trug einfache Jeans und T-Shirt. Udo Lindenberg kam auch sehr oft und brachte gleich eine ganze Truppe mit. Das war immer ein großes Remmidemmi.

Stammgast David Bowie

Apropos Kleidung: Sie haben ein Doppelleben gelebt. In ihrem Schrank gab’s eine Abteilung für Herren und eine für Damen...

Eckert: Ja. Zunächst gab es ja immer diesen Wechsel zwischen männlich und weiblich: Ich habe nachts schon im Travestiekabarett gearbeitet, bin im Fummel da hingefahren und tagsüber gab es eine Rückverwandlung in ein immer weniger männlich wirkendes Wesen. Bis ich diesen Punkt erreichte, an dem ich meine äußere Erscheinung so feminisiert hatte, dass ich das Gefühl hatte: So kannst du auch am Tag auf die Straße. Ich wollte die Sicherheit, dass ich für die anderen nicht als Freak herumlaufe. Mir war das "Passing" wichtig. Also, in der Rolle durchzugehen und sozial anerkannt zu sein, die ich nun lebte.

Transsexuelle Nürnbergerin:

© Verlag C.H. Beck/ Copyright bei Nora Eckert

An dem Punkt haben Sie dann Ihre Familie angerufen und angekündigt: "Ich komme nach Hause. Aber als Frau..."

Eckert: Ich dachte, jetzt musst du deiner Familie reinen Wein einschenken. Wir haben regelmäßig telefoniert, aber ich hatte bis dahin nichts erzählt. Auf die Fragen "Wie geht’s, was machst du so?" musste ich nie direkt lügen.

Wie hat Ihre Familie reagiert?

Eckert: Es herrschte erst mal absolute Ratlosigkeit. Keine Ablehnung, aber totale Verunsicherung. Die wussten nicht: Müssen sie jetzt mit mir anders reden?


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Ihre Mutter sagte dann: "Du, das wird hier nix!" — und ist mit Ihnen nach Berlin gefahren. Das war sicher hilfreich...

Eckert: Ja, sie hat dann gesehen, dass meine Lebensverhältnisse ganz normal sind: Ich habe eine Wohnung, Freunde, mein Einkommen. Als sie zurückfuhr, hat sie Entwarnung gegeben: "Alles in Ordnung". Meine Familie hatte dann auch Zeit, sich damit zu befassen. Als ich das nächste Mal kam, war es sozusagen erledigt.

Wie sollte die Familie oder das Umfeld mit Transmenschen umgehen?

Eckert: Eltern sollten das Besitzdenken in Bezug auf Kinder aufgeben. Sie sollten das Glück ihres Kindes im Auge haben und es darin unterstützen. Es ist kein Unglück, einen Sohn geboren zu haben, der dann eine Tochter wird, oder eine Tochter, die ein Sohn wird. Es bleibt das Kind.

Ihr Weg kostet viel Mut. Was hat Ihnen die Kraft gegeben, als Frau zu leben?

Eckert: Die Gewissheit, dass ich eine weibliche Identität habe. Wenn wir von Geschlecht reden, bezieht sich das immer auf die Genitalien. Es geht aber um die Identität. Das ist den wenigsten Menschen bewusst, weil bei ihnen Körper und Identität übereinstimmen. Der Körper ist für mich und alle, die ich als Transmenschen erlebt habe, zweitrangig. Der Körper ist nicht das, was wir in erster Linie leben. Wir leben unsere Identität.

"Ich hatte kein Problem mit meinem Körper"

Sie haben Hormone eingenommen, aber eine so genannte geschlechtsangleichende Operation wollten Sie nie. Warum?

Eckert: Ich wollte meine körperliche Intaktheit bewahren. Denn ich hatte ja nie Probleme mit meinem Körper. Eine Operation hätte bedeutet, meinen Körper auf eine radikale Art zu verändern, die ich nicht wollte. Das hatte einen ganz wesentlichen Grund: die Rolle der Sexualität. Sachlich betrachtet ist eine geschlechtsangleichende Operation zuerst einmal eine Kastration und Amputation und die Herstellung einer künstlichen Körperöffnung. Für mich wäre das nur eine körperliche Leerstelle geworden. Aber ich habe nie begriffen, wo da die Sexualität für mich bleibt. Und in jungen Jahren war ich ein sehr sexuell erlebender Mensch.


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Diese Rede von "im falschen Körper geboren" ist falsch, sagen Sie. Inwiefern?

Eckert: Es wird immer von einer Inkongruenz gesprochen. Aber mein Erlebnis ist ja genau das Gegenteil: Ich habe das männliche Körpergeschlecht und die weibliche Identität als das mir Eigene erlebt. Ich bin damit auf die Welt gekommen. Die Natur hat entschieden, ich soll so sein.

Sie beschreiben, dass Sie Diskriminierung eigentlich nur durch den Staat erfahren haben. Es war sehr schwer, den Namen und das Geschlecht zu ändern im Pass. Aber Sie erzählen keine Leidensgeschichte in ihrem Buch...

Eckert: Natürlich gab’s mal Sprüche. Aber ich habe die nie als schwerwiegend empfunden. Wenn irgendein Idiot ’nen Spruch ablässt, ist das halt ein Idiot. Probleme, die andere mit mir haben, habe ich nie zu meinen gemacht.

Sie haben dann vom Travestie-Glamour in ein bürgerliches Leben gewechselt. Und 36 Jahre lang als Schreibkraft in einer Firma gearbeitet — als Frau, ohne sich zu outen. Wie kam es dazu?

Transsexuelle Nürnbergerin:

© Beck Verlag/ copyright bei Nora Eckert

Eckert: Mit dem Transsexuellengesetz war es mir möglich, zum Arbeitsamt zu gehen und zu sagen, ich möchte wieder einen normalen Beruf haben. Es ging auch, weil ich überall als Frau durchging. Als ich 1984 in dem Betrieb anfing, wusste ich aber nicht, wie meine Kolleginnen reagieren würden, und habe es verschwiegen. Ich wollte die Deutungshoheit über mich behalten. Nicht die tolerierte Ausnahme sein, sondern einfach als Nora Eckert dort arbeiten.

"Ich wollte keine Ausnahme sein. Sondern Nora Eckert"

Bei der Verabschiedung in die Rente haben Sie sich dann aber doch geoutet, warum?

Eckert: Als der letzte Lebensabschnitt bevorstand, arbeitete es in mir. Musst du dich weiterhin verstecken? Es war auch eine Last. Ich wollte sichtbar sein in meinem Transsein. Ich habe bei der Abschiedsfeier dann gesagt, dass ich mich für den Verein "TransInterQueer" engagiere und das in eigener Sache. Ich habe dann gefragt "Bin ich in dem Moment für euch jemand anderes geworden?" Es gab großen Applaus und Bravos und plötzlich wollten mich so viele Menschen an ihre Brust drücken wie nie. Von der Werksleitung kam die ganz klare Ansage: "Nein, Sie sind für uns die Nora Eckert, die wir seit 36 Jahren kennen." Und das habe ich auch so abgenommen.

Sie haben sich nebenher als Opern-Kritikerin einen Namen gemacht und Sachbücher rund ums Theater verfasst. Woher kam jetzt das Bedürfnis, eine Autobiografie zu schreiben?

Eckert: Schreiben war von Anfang an eine große Leidenschaft. Die Autobiografie kam in den Blick, als ich mein Leben Revue passieren habe lassen und überlegte: Wie wurdest du denn, was du bist? Ich wollte mir damit auch selbst Klarheit verschaffen.

Die Entscheidung, nach Berlin zu gehen, sei die beste Ihres Lebens gewesen, schreiben Sie. Warum mussten Sie weg und wie wäre Ihr Leben hier verlaufen? Könnten Sie sich heute in Nürnberg finden?

Eckert: Die Frage ist hypothetisch. Für mich war es gut, wegzukommen, denn ich brauchte mein eigenes Leben, um von der Stelle zu kommen. Heute ist es eine andere Situation. Es hat sich vieles verändert, so wie sich die Stadt überhaupt verändert hat im Vergleich zu den 60er Jahren, die ich kenne. Damals gab es vielleicht zwei schwule Lokale, es war alles sehr versteckt. Heute ist es sicher offener. Auch kulturell hat Nürnberg vielmehr zu bieten als damals. Und natürlich gibt es inzwischen auch eine Gruppe für Transmenschen.

Haben es Menschen wie Sie heute leichter?

Eckert: Es gibt mehr Möglichkeiten heute. Zum einen ist unser Leben verrechtlicht. Und es gibt Therapiepläne: Leute, die sich damit befassen, dass Menschen wie ich dorthin kommen, wo sie hinmüssen. Wir suchen uns das Transsein ja nicht aus. Wir entdecken’s und dann hat man kaum die Alternative, zu sagen: "Ach nein, ich lass’ es lieber."

"Fränkisch, des ko i scho no!"

Haben Sie noch Kontakt in die alte Heimat Nürnberg?

Eckert: Ja, den habe ich immer behalten durch die Familie. Mein Bruder lebt in Stein und dann gibt es noch eine Cousine, mit der ich mich gut verstehe. Ich bin außerdem seit über 30 Jahren im Freundeskreis des Germanischen Nationalmuseums. Da war ich als Kind Stammgast. Ich fand die Atmosphäre toll und all die Kunst um mich herum.

Können Sie noch Fränkisch?

Eckert: Natürlich! Wenn ich jemandem erkläre, wie sich Nürnbergerisch anhört, dann sage ich immer den schönen Satz: "Nämberch lichd do, wo die Hasen Hoosen haßen und die Hosen Huusn haßen." Ich ko des scho noch!

Einwandfrei! Sie haben Ihrer Mutter gern beim Kochen geholfen. Gibt es ein fränkisches Leibgericht, das Sie ab und an machen?

Eckert: Bei Eckerts gab es immer handgemachte rohe Klöße. Das ist sehr aufwändig, deshalb mach ich es nicht nach. Kartäuserklöße, das war auch immer was ganz Tolles.

Stullen schmieren in der Meisengeige

Sie haben mal in der Meisengeige gearbeitet...
Eckert: Ja, das war eigentlich illegal. Ich war ja noch nicht 16 (lacht). Die brauchten jemanden am Ausschank und um Schmalzstullen zu schmieren. Das war damals was ganz Tolles, als es aufmacht hat. Weil es Nürnberg ein bisschen Szene verschafft hat. Und Kino interessierte mich, auch durch meinen Deutschlehrer. Vor Jahren und bin ich in der Peter-Vischer-Schule einfach durch die Gänge gelaufen. Ein Lehrer hat mich gefragt: "Suchen Sie etwas?" Ich habe gesagt: "Nein, nichts Bestimmtes. Ich suche nur alte Erinnerung."

Mit Ihrer starken Geschichte können Sie auch ein Vorbild sein. Was würden Sie einem jungen Menschen, dem es ähnlich geht, raten?
Eckert: Auf dem Weg zu bleiben. Die Gewissheit, die man irgendwann erlangt, sollte einem auch den Mut geben. Dort, wo es erkannt ist, will es gelebt werden. Vorbilder brauchen wir schon. Positive Beispiele: Leben, die funktionieren und Erfolgsgeschichten sind. Als so eine würde ich mein Leben schon sehen. Und wenn das ein Vorbild für jemanden sein kann, würde ich mich wahnsinnig freuen.

Zur Person: Nora Eckert (67) wurde 1954 in Nürnberg/Altenfurt als Junge geboren. Im berühmten Travestieclub "Chez Romy Haag" in Berlin fand sie zu ihrer Transidentität und in ihre Rolle als Frau. 36 Jahre lang arbeite sie ganz bürgerlich als Schreibkraft in einer Firma und machte sich nebenher als Kritikerin etwa für "Opernwelt", "Theater der Zeit" oder "Tagesspiegel" einen Namen.
Autobiografie: "Wie alle, nur anders. Ein transsexuelles Leben in Berlin", C.H.Beck Verlag.

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