Ulman Stromer machte aus Lumpen Papier
11.1.2013, 12:00 Uhr„Solange ich atme, hoffe ich“: So lautet noch heute die lateinische Inschrift des Familienwappens der Stromers. Doch gegen die Pest half Hoffen im 15. Jahrhundert nichts. Der schwarze Tod raffte viele Menschen dahin. Unter ihnen den Mann, der in Nürnberg an der Pegnitz die erste deutsche Papiermühle errichtet hatte — und damit einen Industriesektor revolutionierte: Ulman Stromer.
22,7 Millionen Tonnen Papier, Karton und Pappe produzierte die deutsche Industrie im Jahr 2011 laut dem Verband Deutscher Papierfabriken (vdp). Ein Großteil davon war Verpackungspapier. Heute gibt es weltweit rund 3000 Papierarten. Der Jahresumsatz der Branche, den 43.000 Beschäftigte erwirtschaften, liegt bei etwa 15 Mrd. €. Damit belegt Deutschland aktuell hinter China, den USA und Japan Platz vier in der weltweiten Papierproduktion.
Im Mittelalter war man von solchen Zahlen noch weit entfernt. Dennoch legte Ulman Stromer, ein betuchter Großhandelskaufmann, um 1390 den Grundstein für die industrielle Massenproduktion von Papier. Trotz der zunehmenden Digitalisierung ein Rohstoff, ohne den zahlreiche Geschäftszweige auch heute nicht auskommen würden, nicht zuletzt die Zeitungsverlage. Stromer war jedoch nicht nur ein innovativer Geschäftsmann. Er mischte auch in der Politik mit, war ein gewiefter Stratege vor und hinter den Kulissen, und schrieb als einer der ersten Nürnberger über die Zeit, in der er lebte.
Nicht weit vom Sitz des Verlags Nürnberger Presse drehten sich im späten 14. Jahrhundert an der Wöhrder Wiese die Räder der ersten deutschen Papiermühle. Wo zuvor Tiere von Hand gehäutet werden mussten, um aus ihrer Haut Pergament herzustellen, wandte Stromer ein neues Verfahren an. Er nutzte die Wasserkraft der Pegnitz, um den Stoff für die Papierherstellung zu bearbeiten — eine kleine Sensation.
Stromers zweite Neuerung war der Rohstoff selbst: Statt Tierhäuten wurden die Zellfasern von Stofflumpen, auch „Hadern“ genannt, als Material verwendet. Sie wurden zu Fetzen zerkleinert, gekocht, zum Faulen liegengelassen und anschließend zerstampft, um die Fasern zu lösen. Alte Lumpen wurden dadurch zu einem wertvollen Rohstoff. Wasserräder trieben die Mühle und die 18 schweren Stampfer an. Wegen des Lärms und des Gestanks lag die Mühle außerhalb der Stadtmauer. Bis 1394 leitete Stromer die „Hadermühle“ selbst, danach verpachtete er sie. Der Unternehmer soll dabei seine Mitarbeiter verpflichtet haben, das Produktionsverfahren geheim zu halten. Stromer war damals ein einflussreiches Mitglied im Rat der Reichsstadt Nürnberg. Er wohnte mit seiner zweiten Frau und acht Kindern in der Obstgasse, nah am Puls des damaligen Stadtlebens, wo Wirtschaft und Politik sich kreuzten.
Reich wurde Stromer nicht mit der Hadermühle — das war er schon vorher. Er war das, was man heute als internationalen Unternehmer oder Exporteur bezeichnen würde. Das Handelsnetz seiner Familie erstreckte sich im 14. Jahrhundert durch halb Europa, von Barcelona bis Riga, Krakau und Mailand. Mit zwei Brüdern zog Stromer die Fäden dieses lukrativen Netzes. Seine Geschäftsreisen brachten ihn vermutlich auch mit der Papierherstellung in Berührung, am Bau der Hadermühle sollen unter anderem italienische Arbeiter beteiligt gewesen sein.
Nur noch ein Denkmal
Sein wirtschaftliches Schwergewicht bekam später die Politik zu spüren: Dem damaligen König Wenzel entzog er seine finanzielle Unterstützung, da ihm offenbar sein Führungsstil zu lasch erschien, und trug damit maßgeblich zu dessen Sturz bei. Die Ernennung des genehmeren Nachfolgers Ruprecht II. von der Pfalz dürfte ebenso auf Stromers Konto gehen.
Die Pest aber machte vor Geld und Einfluss keinen Halt. 1407 starb Stromer im Alter von 78 Jahren in Nürnberg, mehrere Familienmitglieder folgten ihm. Seine Frau Agnes leitete noch zwei Jahre die Papiermühle, bevor Kinder und später Enkel die Geschäfte übernahmen.
1434 ging das Handelshaus schließlich pleite. Stromers Nachfahren konnten mit List und mächtigen Gönnern die Papiermühle in Nürnberg retten. Im Städtekrieg, 15 Jahre später, ging dieses Vermächtnis in Flammen auf, wurde aber an gleicher Stelle neu aufgebaut.
Heute ist von der Hadermühle nichts mehr übrig. Geblieben ist nur ein Denkmal auf der Wöhrder Wiese: ein Stapel Papier, geschmiedet aus Metall. Der Name des Gründers lebt auf einem Straßenschild weiter, ein schmaler Weg zwischen Prinzregentenufer und Pegnitz wurde nach ihm benannt — dort, wo sich die mächtigen Wasserräder seines Werkes drehten, und wo ein Produkt gefertigt wurde, das nach Jahrhunderten immer noch nicht überflüssig geworden ist.
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