Unkreativ, altbacken: So wirken Nürnbergs Wahlplakate
6.3.2014, 09:03 UhrBritta Heidemann und Werner Zahel, Geschäftsführende Gesellschafter der Kommunikationsagentur „Schultze.Walther.Zahel“, stehen vor einer riesigen Magnetwand. Konzentriert betrachten sie eine zufällige Auswahl an Wahlplakaten. SPD, CSU, Bündnis 90 / Die Grünen, FDP, ödp, Die Guten, Linke Liste, Freie Wähler und die Piraten ergeben ein buntes Bild – offenbar ein allzu buntes. Werner Zahel atmet hörbar ein: „Zum großen Teil ist die Machart sehr gewöhnlich, beinah alle sind nach demselben Muster gestrickt, grafisch und stilistisch oft extrem altbacken.“ Bedenkliche Pause. Dann macht Zahel erst einmal Grundlagenarbeit . . .
Was ist die Aufgabe eines Wahlplakats?
Es muss einen Kandidaten promoten und dessen Botschaft, beziehungsweise die der Partei, rüberbringen, erklärt Zahel. „Und bei all diesen Beispielen drängt sich spontan die Frage auf: Was soll eigentlich im Vordergrund stehen? Es können nicht alle neben dem Busfahrer sitzen! Das heißt: Im Grunde werden nur maximal zwei Botschaften vom Betrachter erfasst, das sollte man bedenken.“ Insbesondere, wenn die Plakate an einer größeren Straße positioniert sind. „Die Verweildauer des Auges liegt hier im homöopathischen Bereich. Kein Autofahrer haut die Bremse rein und sagt: Das muss ich mir jetzt mal genau ansehen.“ Kollegin Britta Heidemann fasst zusammen: „Wenn alles wichtig ist, ist am Ende nichts mehr wichtig. Weniger ist also immer mehr.“
„Die Machart der Plakate ist ziemlich austauschbar“, beschreiben die PR-Profis den visuellen Einheitsbrei. Ein Gesicht, ein Name, die Partei, eine Botschaft, oft noch der Listenplatz: Insgesamt zu unruhig, zu verwirrend, um beim Betrachter hängen zu bleiben. Ein Plakat der Guten voll kleiner Köpfe zeigt die Masse und will den Wir-Gedanken promoten, vermutet Heidemann. „Die Botschaft aber“, meint Zahel kopfschüttelnd, „steht ganz unten, wo der Hund hinpinkelt!“
Positiv seien die QR-Codes bei CSU und ödp: „Für Standplakate, an denen besonders viele Fußgänger vorbeikommen, ist das heute Standard und eine adäquate Sache, um vor Ort über das Handy mehr Infos zu bekommen – in diesem Fall über die Partei“, so Zahel anerkennend. „Alle anderen Parteien haben das offenbar nicht.“
Auch hier verschenken die meisten Parteien Möglichkeiten, nachhaltig zu wirken: Die ödp, so Heidemann, verwende zum Beispiel Kursiv-Schrift, die im Vorbeifahren nicht lesbar sei, „und was bedeutet die Brille bei den Guten? Man kann es sich eventuell erschließen, doch klar ist es nicht!“ Die Werbung der Freien Wähler komme „grafisch wie stilistisch ganz altbacken daher“, und bei den Piraten und der CSU bestehe Verwechslungsgefahr: „Beide werben mit der Farbe Blau.“
Die SPD verwende ein dunkleres Rot mit Farbverlauf im Druck, was eher edel wirke – im Gegensatz zum Rot der Linken: „Diese Farbe ist wenig vertrauenserweckend, dafür aggressiv und in der Erscheinung platt wie die Werbung für ein Angebot im Supermarkt“, lautet das Urteil der Profis.
Das Bild:
„Je unbekannter ein Politiker ist, desto unsinniger ist es, sein Gesicht zu promoten“, betont Zahel und deutet auf Plakate fast aller Parteien; schließlich gebe es auf dem Wahlzettel kein Foto als Wiedererkennungshilfe. „Stattdessen müsste man den jeweiligen Namen in Verbindung mit einer einprägsamen Botschaft setzen.“
Ausnahmen bilden lediglich SPD und CSU: „Den amtierenden OB Ulrich Maly kennt jeder; und so kann er auf großflächigen Plakaten zudem seine Stadtrats-Kandidaten promoten – werbetechnisch gut gelöst, finde ich. Sebastian Brehm dagegen ist als Person in den Köpfen der Leute zwar weniger präsent, muss es als direkter Herausforderer aber werden, insofern ist es sinnvoll, ihn abzubilden“, erläutert Zahel. „Zudem sieht man recht deutlich, dass die Bilder von Brehm und Maly Profi-Fotos sind“, verweist Heidemann auf die Bildqualität: „Die Augen sind gut ausgeleuchtet und strahlen. Alle anderen Bilder muten an, als wären sie im Vorbeigehen aufgenommen.“
Wen man als Gesicht auf eine Werbefläche bannt, sollte gut überlegt sein, sagt Heidemann mit Blick auf Plakate von ödp, FDP, den Piraten oder auch den Freien Wählern: „Die Person sollte zumindest gepflegt aussehen und auch nicht den Eindruck vermitteln, als wolle sie mir ein Auto verkaufen.“ Generell lasse man mit dieser Personen-Aufmachung dem Betrachter „viel zu viel Macht, ein Gesicht sympathisch zu finden oder nicht“.
Die Präsentation der OB-Kandidaten:
Vergleiche man insbesondere die Darstellung der Protagonisten Maly und Brehm, sei die CSU-Präsentation eher bieder: „Ob das wirklich so ist, sei dahingestellt, aber Maly kommt lockerer, frischer rüber, macht einen modernen, souveränen Eindruck“, beschreibt Heidemann. „Brehm wirkt sympathisch, wird aber im klassischen Bewerbungsraster gezeigt. Die Frage ist: Wird ihm das gerecht? Wenn nicht, sollte man seiner Persönlichkeit mehr Rechnung tragen: So wird nicht deutlich, was ihn ausmacht – und es fehlt auch die Dynamik.“
Klarheit der Botschaft:
Häufig würden die verbalen Botschaften für den potenziellen Wähler nicht deutlich: „Neuer Schwung für Nürnberg – was soll man darunter verstehen? Das ist zu allgemeingültig!“, nimmt Heidemann FDP-Plakate ins Visier und Zahel ergänzt: „Je älter jemand ist, den man zu diesen Worten abbildet, umso unglaubwürdiger gerät die Botschaft. Gerade eine Partei, die bundesweit so verloren hat, müsste verstärkt regionale Ziele deutlich machen.“
Unkonkret seien ebenfalls Aussagen wie: „Ich hab’ was gegen Filz! Und ihr?“ (Piraten); „Wähl dich selbst!“ (Die Guten); „Für eine soziale Stadt“ (Die Linke) oder „Ehrliche Politik ist wählbar“ (ödp). Gut, weil konkret, seien Botschaften wie: „Für eine historische Altstadt“ (Freie Wähler); „Ein neuer Konzersaal am Augustinerhof . . .“ (CSU) oder „Bezahlbare Wohnungen“ und „Umweltfreundlich mobil“ (Bündnis 90 / Die Grünen).
Viele Parteien arbeiten zudem mit einer Plakatstrecke und / oder mit einem Zweitplakat. Bei Aufstellern zeige eine Seite die Person, die Rückseite dann erst die eigentliche Botschaft der Partei. „Das muss der Wähler erst einmal in Zusammenhang setzen“, sehen Heidemann und Zahel das Verfahren eher kritisch. SPD und CSU haben zusätzlich Slogans kreiert, die sich auf allen Plakaten wiederfinden. „Machen, was Nürnberg bewegt“ (SPD) sei reichlich unkonkret. „Nürnberg-ist-mehr-wert.de“ (CSU) erhält von den PR-Profis bessere Noten: „Die Botschaft ist klarer!“
Fazit:
„Unsere Agentur steht für Kreativität – deshalb ist das auch unser vorrangiger Kritikpunkt“, erläutert Zahel: „Es ist wirklich erschreckend, wie die lokalen Parteien um Wähler werben: Keine Kreativität, kein Esprit, das ist mehr als bedauerlich!“
Das Strickmuster sei seit Generationen tradiert: „Jeder schreibt vom anderen ab. Ich traue mich wetten, dass die Plakate der letzten Wahl fast genauso aussahen. Man hebt sich durch nichts voneinander ab“, sind sich Heidemann und Zahel einig. „Es gibt Druckkosten – die sollte man besser nutzen. Bei ,den Guten‘ gab es einen Ansatz, mit künstlerisch gestalteten Plakaten etwas anderes zu zeigen. Der Wille war gut, nur die Ausführung schlecht: Man versteht nicht, was das soll.“
Ein positives Beispiel? Zahel erinnert an die Kampagne der CDU im Bundestagswahlkampf 1994 mit dem Slogan: „Auf in die Zukunft . . . aber nicht auf roten Socken!“ Die Bebilderung: eine riesige, rote Socke an der Leine auf dunkelblauem Grund. „Das war kreativ, provozierte Reaktionen, sorgte für Gesprächsstoff und Aufmerksamkeit. Und das wäre, auch auf lokaler Ebene, eigentlich das Ziel!“
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