Unwirklich, aber wahr: Ein Jahr Corona in Nürnberg
25.1.2021, 05:52 UhrUnbedingt zu empfehlen seien Ticketbuchungen, stand am 28. Februar 2020 in der Zeitung. Es war ein Freitag, am Wochenende lud die beliebte Whisky-Messe "The Village" ins Messezentrum ein, wie immer würde es rappelvoll werden. Auf der selben Zeitungsseite wurden die wichtigsten Fragen zu diesem neuen Coronavirus beantwortet. Zum Beispiel diese: Ich war in Südtirol zum Skiurlaub, muss ich nun zum Arzt? Menschenmassen und eine beginnende Pandemie. Unbekümmerte Sorglosigkeit und ein leises Unbehagen. Das ging beides zusammen vor rund einem Jahr, als die Corona-Krise auch in Nürnberg ihren Lauf nahm.
Als hätte man im Krimi geschmökert
Damals wurde uns erklärt, was ein PCR-Test ist und wie häusliche Quarantäne funktioniert. Vorsorglich, denn in Nürnberg hatte das Gesundheitsamt Ende Februar 2020 noch keinen einzigen Menschen registriert, der an Corona erkrankt war. Beim Lesen der Maßnahmen, die in diesem Fall anlaufen würden, packte einen ein Schaudern, als hätte man in einem blutigen Krimi geschmökert.
Die erste Messe wurde abgesagt
Dann wurde die Waffenmesse IWA abgesagt, die Anfang März im Messezentrum stattfinden sollte. Weil sich dort, so hieß es, traditionell viele Besucher aus China und der Lombardei tummeln. Und am ersten März 2020 war es amtlich: Auch in der Frankenmetropole gibt es einen Menschen, der an diesem Coronavirus erkrankt war – die Ehefrau eines Nürnberger Pastors, der auf einer Geschäftsreise in Baden-Württemberg Symptome gezeigt hatte und in ein Krankenhaus in Karlsruhe eingeliefert worden war. Seine Frau, Nürnbergs erste Corona-Patientin, kam auf die Isolierstation des Klinikums. Auch ihre Kinder und ihre Mutter wurden eingeliefert, diese Tests fielen aber negativ aus. Rund einen Monat vorher, am 28. Januar 2020, hatte das Robert-Koch-Institut veröffentlicht, dass der erste Fall "mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Deutschland laborbestätigt" wurde. Die Aufregung war riesig. Zu recht. Am 5. März 2020 erklärt Gesundheitsreferent Peter Pluschke, dass vier Nürnberger infiziert sind. Drei Wochen später, am 28. März, wird das Gesundheitsamt 230 positiv getestete Personen registrieren.
Wie in einem Film
Bisher wurde abgewogen, gestritten, im Einzelfall entschieden. Dann, am 16. März, ruft Ministerpräsident Markus Söder für Bayern den Katastrophenfall aus. Alle Veranstaltungen werden gestrichen. Das Frühlingsfest fällt aus, die Spiele des 1. FC Nürnberg sind ausgesetzt, das Staatstheater schließt. Manch einer fühlt sich wie in einem Film, der böse Realität geworden ist. Bis zum 19. April, also bis zum Ende der Osterferien, gelten nun in ganz Bayern Ausgangsbeschränkungen. Die Wohnung darf nur noch aus einem "triftigen Grund" verlassen werden. Es ist auch nicht mehr erlaubt, bei zufälligen Begegnungen mit "Nachbarn/Freunden/Bekannten/Verwandten/Dienstleistern" ins Gespräch zu kommen.
Hotspot statt Krisenende
Nürnbergs Bevölkerung ächzt und beißt die Zähne zusammen. Man ist solidarisch, will diese Zeit überstehen, so gut wie möglich. Undenkbar, dass diese Krise nicht bald überstanden sein sollte. Doch Nürnberg entwickelt sich sogar zum Corona-Hotspot. Und ist es im Januar 2021 immer noch.
Wie war das, als Sie das erste Mal vom neuartigen Coronavirus gehört haben?
Peter Pluschke war bis 30. April 2020 Gesundheitsreferent in Nürnberg:
Ende Januar 2020 wurde deutlich, dass mit Erkrankungen durch das neuartige Coronavirus auch in unserer Heimatregion zu rechnen ist. Am 28. Januar 2020 wurde der erste Fall in Südbayern registriert. Schon die Absage eines Besuchs von technischen Experten aus der chinesischen Stadt Baotou, der uns in Nürnberg für den 23. Januar angekündigt war, machte deutlich, dass das Infektionsgeschehen eine internationale Dimension annahm. Mir wurde bewusst, dass meine letzten drei Monate im Dienst nicht zu den angenehmsten gehören würden. Seitens des Referats und des Gesundheitsamtes wurde die Entwicklung täglich verfolgt und am 27. Februar dann eine große Abstimmungsrunde mit zahlreichen betroffenen Institutionen zur Abstimmung des weiteren Vorgehens in Nürnberg zusammengerufen. Als ich mein Amt als Referent im Jahr 2008 antrat, gehörte zu meinen ersten großen Themen das Auftreten und die Verbreitung der "Schweinegrippe" – ab 25. April 2009 wurde dieses A/H1N1-Virus als "gesundheitliches Risiko von internationaler Bedeutung" eingeschätzt und entsprechend bekämpft. Insofern war mir und allen fachlich Beteiligten klar, welch große Herausforderungen sich nunmehr stellen.
Achim Bergmann, Deskchef von nordbayern.de:
Corona hat in unserem Medienhaus sehr viel verändert. Statt 50 Personen arbeiten an unserem Newsdesk nur noch ganz wenige in Präsenz. Die Themen haben sich natürlich auch stark in eine Richtung verschoben. Normalerweise regen sich Leser wie User im Januar über nicht geräumte Straßen auf und wir fragen beim Klinikum nach, wie viele Bürger sich denn bei Glätteunfällen das Handgelenk gebrochen haben. Das interessiert jetzt auch das Klinikum nur noch am Rande. Vor einem Jahr war die Kassenbon-Pflicht ein großer Aufreger - jetzt gehen Unternehmen reihenweise in die Insolvenz. Die Probleme und Sorgen sind viel elementarer geworden. Die Menschen wollen zur Pandemie verlässliche Informationen aus ihrer Stadt, aus ihrem Landkreis und natürlich eine Einordnung dessen. Das sind Inhalte, die sie bei Youtube und Co. nicht bekommen. Derzeit haben wir jeden Tag deutlich über tausend Kommentare, Anfragen, Hinweise von Usern, fast alles dreht sich um Corona. Das zeigt, wie wichtig ein Medienhaus vor Ort ist. Dem Auftrag versuchen wir nachzukommen, aber natürlich muss man auch aufpassen: Wir wollen keine monothematische Berichterstattung. Ehrlich gesagt, bin ich inzwischen über jedes Thema froh, das nichts mit Corona zu tun hat.
Peter Harasim vom "Concertbüro Franken":
Die ersten Meldungen über eine neue "Lungenentzündung" las ich, als ich im Januar noch durch Indien reiste. Bereits zwei Monate später mussten wir den "Hirsch" schließen und alle anderen Veranstaltungen zunächst und dann bis auf Weiteres aussetzen. Keiner konnte sich damals vorstellen, dass die Menschheit, die es angeblich geschafft hat, sich die Erde und Teile des Weltraums untertan zu machen, global sich von einem Virus in die Knie zwingen lassen konnte. Eigentlich waren wir zunächst sicher, dass es ein paar Wochen später wieder weitergehen könnte. Anfangs war es für mich nicht denkbar, unser ganzes Veranstaltungsjahr zu verlieren. Wir hatten uns auf Hunderte Konzerte mit legendären Künstlern gefreut und vorbereitet, darunter Deep Purple, Beth Hart, The Sisters of Mercy, Johannes Oerding und Brian Fallon. Inzwischen haben wir gelernt, auch die Erfüllungen der schlechtesten Prognosen als denkbar anzusehen.
Prof. Dr. Jörg Steinman, Chefarzt des Instituts für Klinikhygiene am Klinikum Nürnberg:
Ich habe die Meldungen von einem neuartigen Virus, welches in Zusammenhang mit dem Seafood-Markt in Wuhan beschrieben wurde und Lungenentzündungen auslösen sollte, aus den Online-Medien mitbekommen. Mir sind dann direkt Parallelen zu SARS-CoV-1 aus 2002/2003 oder MERS in den Sinn gekommen. Ich hatte anfangs nicht direkt damit gerechnet, dass dieses neuartige Virus so schnell eine weltweite Pandemie auslöst. Für mich gab es zum damaligen Zeitpunkt natürlich viele offene Fragen wie zum Beispiel die Übertragbarkeit von Mensch-zu-Mensch, Inkubationszeiten, Symptomatik, Diagnostik und Therapie. Diese Punkte sind für den Ablauf einer potenziellen Pandemie von zentraler Bedeutung. Als mehr Informationen vorlagen und weitere Fälle außerhalb von Wuhan beschrieben wurden, haben wir am 21. Januar 2020 erste Vorgaben im Intranet des Klinikums veröffentlicht, in denen beschrieben wird, wie bei Patienten aus dem Risikogebiet mit dem neuartigen Virus hygienisch (FFP2-Maske, Schutzkittel etc.) umgegangen werden soll.
Hier können Sie Ihre Meinung zur Corona-Krise kundtun oder sich mit anderen Usern zum Thema austauschen. Alle Artikel zu Corona haben wir zudem für Sie auf einer Themenseite gesammelt.