Von der schwierigen Suche nach einem (neuen) Zuhause

12.4.2012, 00:00 Uhr
Von der schwierigen Suche nach einem (neuen) Zuhause

© privat

Meine Mutter hat die DDR nur um drei Tage überlebt. Ich glaube, es war gut,

dass sie nie die Wahrheit erfahren hat.

Sie starb glücklich. Sie wollte, dass wir

ihre Asche in den Wind streuen. Das ist in Deutschland verboten, im Osten wie

im Westen. Aber das war uns egal...

(Goodbye Lenin)

 

Vor einem Jahr bin ich nach Berlin umgezogen – nachdem sich mein Status vom „Writer in Exile“ und Ehrengast der Stadt Nürnberg in den eines „politischen Flüchtlings“ verwandelt hat, auf den in seinem Heimatland immer noch ein unfairer Gerichtsprozess wartet: Mein „Verbrechen“ sind meine Worte. Während der fast drei Jahre, die ich in Nürnberg gelebt habe, habe ich viele andere Städte besucht.  Doch keine – außer vielleicht noch New York und ein wenig San Francisco – hat mich so magisch angezogen wie Berlin. Von der Asche eines prominenten iranischen Journalisten, des Vaters meines Onkels, der in Friedrichshain beigesetzt wurde, über die Menschenmassen, den blauen Himmel über Berlin bis hin zur eigenen Situation des arbeitslosen Journalisten in dieser bankrotten Stadt – ich habe Berlin immer mit Szenen aus dem Film „Goodbye Lenin“ verbunden: die S-Bahn, die sich bei Sonnenuntergang unter den blauen Himmel schiebt und die Menschen, die umherschweifen, müde und angeheitert – aus der ganzen Welt. Ja, ich vermisse das Grün meines Balkons in Nürnberg, die kleinen Eichhörnchen, die vor meinem Fenster herumsprangen. Und ich vermisse meine Freunde – etwa den promovierten Pharmazeuten, der in dieser historischen Stadt so hart arbeitet.  Natürlich gibt es viele Unterschiede zwischen Nürnberg und Berlin. Berlin lässt sich überhaupt mit keiner anderen Stadt auf der Welt vergleichen...  Aber eigentlich ist es vor allem die eine Frage, die mich noch immer plagt: Wo ist mein Zuhause? Es gibt so viele Einzelschicksale von Einwanderern, von politischer Verfolgung, von der Suche nach Asyl irgendwo auf der Welt – und jede dieser Geschichten hat ihre eigene Bedeutung, und alle könnten Bücher füllen – aber nachdem ich das Land meiner Herkunft verlassen habe, frage ich mich immer wieder: Wo ist mein Zuhause? Wenn ich die Sprache eines Landes spreche, bin ich von dort? Ist Heimat nur da, wo ich geboren wurde? Gehöre ich zu einer bestimmten ethnischen Gruppe, weil ich dort das Licht der Welt erblickt habe oder so aussehe? Fragen über Fragen...  Nach all den Jahren im Exil suche ich immer noch nach meinem Zuhause – und hoffe, es irgendwann zu finden. Nachdem ich endlich eine kleine Wohnung in einem Berliner Arbeiterviertel gefunden hatte – bedeutete das, dass dies mein Zuhause ist? Vielleicht... Als politischer Flüchtling ohne Job ist es eine riesige Herausforderung, eine Wohnung zu finden, denn Vermieter verlangen ein gutes Einkommen. Natürlich haben es deutsche Empfänger von Sozialleistungen auch sehr schwer, aber Flüchtlinge haben es noch schwerer. Mein Beispiel steht exemplarisch für so viele andere Iraner, die verstreut auf der ganzen Welt leben, nicht aufgrund ihres eigenen Wunsches, sondern wegen ihrer massiven Probleme im Iran. Es ist die Geschichte davon, dass Menschen einen hohen Preis für ihren Widerstand bezahlen...  Aber gerade in der Stadt, in der ich jetzt lebe, kann ich immer wieder Zeichen dafür erkennen, die mir Hoffnung geben. Jahrzehntelang war Berlin durch eine Mauer geteilt: keine Chance, kein Entrinnen. Nun, da sie gefallen ist, kann ein Exil-Journalist aus dem Iran ungezwungen neben jungen Menschen aus Deutschland, Spanien, Griechenland, Israel und den USA am Alexanderplatz sitzen und den auf eine Wand gesprühten Slogan „Demokratie jetzt“ betrachten.  Ich sitze am Tisch mit einer Tasse persischen Tees und spreche mit einer meiner besten Berliner Freundinnen über das aktuelle Buch der Globalisierungskritikerin Naomi Klein. Die Bekannte ist eine starke Frau, eine Lehrerin mit Idealen, die mit einer schweren Krankheit kämpfte und diese besiegte. Dies ist für mich das andere gute Bild dieser Stadt: Das Leben geht weiter, auch wenn ich noch immer nicht weiß, wie es für mich weitergeht... Ich fühle mich noch nicht stabil in diesem Land, und eine Frage ist noch immer nicht beantwortet: Wo ist mein Zuhause? Das Gelb der Forsythien ist verblüht. Ich lebe allein in einer Nachbarschaft, die sich aus der Arbeiterklasse zusammensetzt. Mein Fenster ist geöffnet, eine Brise Wind weht herein... Und Freddy Mercury singt: „Ist dies das wahre Leben? Oder ist es nur Phantasie?“

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