Wie "Freude für alle" geholfen hat

Vor U-Bahn geschubst, Krebs zu Weihnachten: So geht es einem Nürnberger und einer Fürtherin heute

Max Söllner

Redaktion Neumarkt

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10.11.2023, 19:00 Uhr
Er ist willig zu leben, sagt die Partnerin von Jonathan B., der 2019 am Nürnberger Hauptbahnhof vor eine U-Bahn gestoßen wurde. Die zehnjährige Melissa kann inzwischen wieder selbst Treppen hinaufgehen (Symbolfotos).

© Roland Fengler, imago images/Cavan Images (Collage: VNP), NN Er ist willig zu leben, sagt die Partnerin von Jonathan B., der 2019 am Nürnberger Hauptbahnhof vor eine U-Bahn gestoßen wurde. Die zehnjährige Melissa kann inzwischen wieder selbst Treppen hinaufgehen (Symbolfotos).

Einen Tag vor dem Auftakt zur neuen Weihnachtsspendenaktion am 11. November blickt "Freude für alle" des Verlags Nürnberger Presse (VNP) zurück auf bewegende Schicksale aus dem Vorjahr. Wir haben zwei Familien noch einmal besucht.

"Ich würde alles dafür geben, dass sie wieder gesund wird", sagt Maria L. (alle Namen geändert). Sie sitzt auf ihrem Sofa und erzählt von ihrer Tochter Melissa. Am Vortag hat sie erfahren, dass die Zehnjährige eine Schiene braucht - oder operiert werden muss. Dabei trägt Melissa bereits ein Oberkörperkorsett. "Knochenmarködem im rechten Knie" lautet die neue Diagnose, das heißt: Flüssigkeit hat sich im Knochenmark angesammelt.

Es ist nicht die erste Schocknachricht für die kleine Familie der alleinerziehenden Mutter, der auch ein fünfjähriger Sohn angehört. 2021 wurde Melissa Leukämie diagnostiziert, am Tag vor Heiligabend. Acht Monate dauerte ihre Chemotherapie, der Krebs gilt derzeit als überwunden, doch sie wurde stark geschwächt.

Außerdem starben wahrscheinlich infolge der Therapie einige ihrer Knochensegmente im Oberschenkel und der Wirbelsäule ab. Knocheninfarkt oder Osteonekrose nennt man das. Melissa kann sich bis heute nur eingeschränkt bewegen. Treppensteigen zum Beispiel ging lange Zeit gar nicht. Inzwischen klappt es, indem sie sich am Geländer hochzieht.

"Sie fragt nach Schmerzmitteln"

Die Mutter L. hat Angst davor, dass nun alles wieder schlimmer wird. "Sie kommt psychisch nicht damit zurecht, dass sie körperlich beschränkt ist", sagt sie über die Wutanfälle ihrer Tochter. "Sie fragt nach Schmerzmitteln, dabei ist ihre Schmerzgrenze hoch. Wenn sie die will, dann hat sie sehr starke Schmerzen." In die Schule kann sie immerhin halbtags bis 13 Uhr gehen. Vor einem Jahr an Weihnachten waren maximal drei Stunden möglich.

Damals rief "Freude für alle" zu Spenden für die Familie auf, unter anderem um eine Spezialbehandlung zu finanzieren. "Ich habe mich sehr gefreut", sagt Maria L., "ich glaube schon, dass die etwas hilft". Bis jetzt jedenfalls seien Melissas Knochen nicht zerbröckelt.

Zudem hat die Mutter ihrer Tochter Wünsche und Reisen erfüllt, die sie von ihrem eigenen Einkommen nicht hätte bezahlen können. Sie macht eine Ausbildung zur Speditionskauffrau. Da bleibt bei der hohen Miete, die sie für ihre kleine Wohnung in Fürth zahlen muss, kaum etwa übrig. "Melissa soll jetzt glücklich sein, weil niemand weiß, was morgen ist", sagt Maria L.

Manchmal denkt er für eine Sekunde nicht an den Unfall

Auch Jonathan B. sitzt auf der Couch seiner Wohnung. "Manchmal denke ich für eine Sekunde nicht an den Unfall - und sofort erinnert mich der Schmerz", sagt er. Seine Partnerin übersetzt. Ihr gemeinsames elf Monate altes Baby ist hellwach, will immer wieder per Hand einklatschen.

An Heiligabend 2019 wurde B. von einem Mann am Nürnberger Hauptbahnhof aufs Gleis der U-Bahn geschubst, just in dem Moment, als ein Zug einfuhr. Er überlebte schwerstverletzt: mit Brüchen, einem durchtrennter Hauptnerv an seiner Schulter und einer halbseitigen Lähmung. Der Täter konnte dank Videokameras noch in der Nacht festgenommen worden. Er wurde des Totschlags schuldig gesprochen und zu neun Jahren Haft verurteilt.

B. ist seitdem schwerbehindert und im Alltag auf Hilfe angewiesen. Zunächst pflegte ihn seine Mutter, doch die schreckliche Tat setzte auch ihr zu, sie wurde selbst zum Pflegefall. Der Vater von B. ist inzwischen ebenfalls auf Hilfe angewiesen. Also übernahm die Partnerin, kümmerte sich fortan um alle drei.

"Er kämpft ohne Ende"

Eine große Hilfe ist ihr seit dem Sommer ein behindertengerechtes Auto; ohne die Spenden von "Freude für alle" wäre die Anschaffung nicht möglich gewesen. Das Fahrzeug ist höher als normal und hat eine Schiebetür sowie extra Beinfreiheit für B. und sein künstliches Knie.

Trotz seiner halbseitigen Lähmung arbeitet B. wieder am Paketfließband eines großen Logistikers - entgegen dem Rat seiner Ärzte. "Er ist willig zu leben", betont seine Partnerin, "er kämpft ohne Ende". Sie fährt ihn hin und holt ihn ab, manchmal auch vorzeitig, wenn er wieder eine Panikattacke hat. Nachts wacht er schreiend aus Träumen auf, in denen er sich auf dem Gleis unter einer U-Bahn liegen sieht. "Das ist sehr anstrengend für ihn, dann am nächsten Tag arbeiten zu gehen."

Alles ausgeschöpft

So hilfreich das Auto ist, so herausfordernd war es in finanzieller Hinsicht. "Wir haben alles ausgeschöpft, was wir ausschöpfen konnten", sagt die Partnerin. Neben "Freude für alle" und anderen Geldquellen ließ B. sich seine Rente nach dem Opferentschädigungsgesetz vorzeitig auszahlen.

Nun stehen weitere Anschaffung an, etwa ein erhöhtes Bett. Auch sucht die Familie mit Baby und zwei Kindern aus einer früheren Beziehung eine größere Wohnung. Aktuell haben sie nur drei Zimmer. "Wir hoffen, dass wir etwas finden", sagt die Partnerin.

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