Vortrag über Polyamorie
24.11.2011, 22:00 UhrHier geht es um eine Idee, hier wird geredet – und das nicht zu knapp. Reden scheint bei den Anhängern dieser Lebensform ohnehin eine der Hauptbeschäftigungen zu sein. Allein dies dürfte schon mal viele Männer abschrecken.
Was sind das für Leute, die sich für ein Leben mit mehreren Lieben interessieren? Man kann das Publikum nicht über einen Kamm scheren, wie schon die Frisuren zeigen: Das Spektrum reicht von Rastalocken bis zur Glatze. Auffällig ist jedoch, dass viele Besucher in der klassischen Zweier-Konstellation da sind – Mann plus Frau, fertig. Auch die Referenten treten in dieser Formation auf: Der Nürnberger Schauspieler Christopher Gottwald und die Tanzpädagogin Heike Pourian.
Ist sie seine Freundin? So simpel würde Gottwald es nicht ausdrücken. Sie ist nicht die einzige Frau in seinem Leben, aber mit ihr lebt er unter einem Dach zusammen und schläft im gleichen Bett. Da haben wir es wieder. Wo dem monogamen Menschen ein Wort genügt, braucht der Polyamorist mindestens einen Satz. Immerhin: Die Unterschiede zur Polygamie und zur freien Liebe der Hippies lassen sich recht einfach erklären.
Kein Harem, keine Hippies – was dann?
„Polygamie ist die Vielehe“, erklärt Heike Pourian: „Meist ist es ein Mann, der mehrere Frauen hat – aber diese haben nur den einen Mann.“ Die Polyamorie hingegen geht in beide Richtungen, auch die Frauen lieben noch andere Partner. Das kommt der 68er-Idee von der freien Liebe recht nahe, doch es gibt Unterschiede. In der Kommune 1 entstand einst ein Gegenentwurf zur vorherigen Generation: „Das war sehr politisch“, betont Gottwald, „es ging um ein Konzept.“ Bei der Polyamorie geht es primär um Emotionen. Was nicht weniger kompliziert ist.
„Warum tut ihr euch das an?“ Und: „Wie macht ihr das?“ – Diese häufigen Fragen haben die beiden zu ihrem Vortrag bewogen. „Das große ABER ist die Eifersucht“, bekennt Christopher Gottwald. Denn Affären sollen nicht verschwiegen werden, obwohl das Erzählen wehtun kann. Ein nicht schöner, aber deutlicher Vergleich: „Das ist, als ob man im Zimmer furzt – und dann nicht schnell lüftet, sondern sogar noch die Freundin herbeiruft“, so beschreibt Heike Pourian ein Bild, das mal eine Kritikerin von der Situation gemacht hat. Sie hingegen macht sich ein ganz anderes Bild, wenn sie ihrem Christopher von einem schönen Liebeserlebnis berichtet: „Ich sehe aus dem Zimmerfenster einen Regenbogen und rufe meinen Schatz herbei!“
Dieses Bild ist zwar schön, aber schief. Denn nur sie hat diesen Regenbogen gesehen, von einem anderen Zimmer aus und mit einem anderen Mann. „Mitfreude“ soll nun die Zauberformel sein, um aus einem Furz einen Regenbogen zu machen. Dazu passt aber nicht, dass Heike Pourian das gemeinsam Haus zur regenbogenfreien Zone erklärt hatte: Gottwald sollte sich nur außer Haus mit anderen Frauen vergnügen dürfen. „Ich habe viel ausgehalten, aber eines Tages habe ich ihm meine Eifersucht gestanden“, erzählt sie. „Unser Haus soll ein sicherer Ort sein, ein Schutzraum. Heute brauche ich das nicht mehr unbedingt.“
Gottwald gibt zu, dass er auch heute noch „Anwandlungen von Eifersucht“ hat. Sie ist also noch zumindest latent vorhanden, obwohl die beiden seit zehn Jahren dagegenarbeiten. Dies lässt vermuten, dass Eifersucht zu den grundlegenden Eigenschaften des Menschen gehört – und sich nicht so leicht wegdiskutieren lässt. Logische Konsequenz: Wer in Polyamorie lebt, nimmt es in Kauf, andere Menschen zu verletzen.
Heike Pourian sieht das im NZ-Gespräch anders: Sie würde sich vor allem dann verletzt fühlen, wenn sie permanent auf etwas verzichten müsste. Die Nähe zu anderen Menschen sei ihr eben so wichtig. Da stellt sich natürlich die Frage: Gibt es diese Nähe nur in Liebesbeziehungen, genügt nicht eine enge Freundschaft?
Die kleine Raupe Nimmersatt
Um es klarzustellen: Polyamoristen springen nicht mit jedem ins Bett. In vielen engen Beziehungen kommt es nie zu körperlichen Annährungen. Aber es gäbe eben die Möglichkeit – was bereits genügen kann, um sich weniger eingeschränkt zu fühlen.
„Du freust dich doch auch, wenn du beim Frühstück mehrere Marmeladen zur Auswahl hast“, meint Pourian. Klar. Und die kleine Raupe Nimmersatt ist auch begeistert losgezogen zum grenzenlosen Fressen – und hatte dann Bauchschmerzen. Es ist eine Frage der Perspektive, ob man Grenzen als Einschränkungen sieht oder als Orientierungshilfen. Oder beides. „Wir wollen ja niemanden missionieren“, betont Heike Pourian. „Wir wollen unsere Lebensform nicht als die beste darstellen. Sondern Erklärungen und Tipps geben – für Leute, die ähnlich denken und fühlen wie wir.“ So viele waren das am ersten der drei Info-Abende im Künstlerhaus nicht: Nur rund 20 Zuhörer kamen. Es gibt in Nürnberg aber sogar einen Verein von Polyamoristen, die sich regelmäßig zum Erfahrungsaustausch treffen. Das ist wohl nötig bei dieser Art des Zusammenlebens, der Gesprächsbedarf ist hoch.
„Ja, wir führen sehr viele Gespräche, und die kosten viel Zeit“, sagt Gottwald. „Aber dadurch spart man sich auch viel Streit“, ergänzt Pourian. Die beiden verstehen sich übrigens nicht als Experten, ihren Vortrag sehen sie als Zwischenbericht einer Forschungsreise. Nun denn: Wer aus seinem Leben ein Dauerexperiment machen möchte, wird vielleicht als Polyamorist glücklich. Allen anderen sei die Monogamie als entspannte Alternative empfohlen. Und auch hier zeigt sich Christopher Gottwald tolerant: „Monogamie ist völlig okay!“
Weitere Vorträge: 29. November und 1. Dezember um 20 Uhr im K4.
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