Bahn-Projekt auf dem Gelände
Wagenplatz in Nürnberg vor dem Aus: Menschen verlieren Zuhause - dringende Suche nach Alternative
3.1.2025, 09:10 UhrEigentlich ist es ein Ort voller Musik, Kultur und wilder Freiheit: Mitten im Nürnberger Westen, an der Regelsbacher Straße, steht hinter Büschen ein kleines, buntes Dorf in der Stadt – voll mit umgebauten Bauwagen, Wohnwagen, Campern und Gärtchen. Bevor sich David dort zusammen mit rund 18 anderen Menschen ein kleines, alternatives Zuhause geschaffen hat, war hier eine Brache. Mittlerweile ist der Ort voller Farbe, auch ein paar Hühner und Hunde leben hier. "Kristallpalast", so nennen die Bewohnerinnen und Bewohner des bislang einzigen Nürnberger Wagenplatzes ihr Zuhause.
Doch für die Gruppe sind es derzeit alles andere als rosige Zeiten. "Der anstehende Winter und die Stimmung im Allgemeinen stellt uns auf eine harte Probe", erzählt Bewohner David, der gerade bei Temperaturen um die Null Grad Tee in seinem Wohnwagen kocht. Mit "die Stimmung", meint David die Ungewissheit und das "Gefühl von Unsicherheit". Denn: Das Projekt "Wagenplatz" steht vor dem Aus - und der Verein Mobile Architektur Nürnberg bald wieder ohne ein Zuhause da.
Riesiges Bahn-Projekt in Planung - Verein muss Gelände räumen
Der Pachtvertrag beim SGV Viktoria 1883 läuft bis Ende Februar 2025 aus. Als der Sportverein das Grundstück vor Jahrzehnten von der Deutschen Bahn erworben hat, ließ sich die Bahn zusichern, dass sie diesen Teil des Vereinsgeländes beim Bau des schon lange geplanten Güterzugtunnels nutzen darf. Der Tunnel ist das zentrale Bauwerk einer neuen, 15 Kilometer langen Güterverkehrsstrecke zwischen Nürnberg und Eltersdorf, wie die DB näher erläutert. Es handelt sich um das größte Bahnprojekt der 2020er Jahre in Mittelfranken. Ziel sei es laut Bahn, den Eisenbahnbetrieb rund um die Stadt Fürth nachhaltig zu entlasten. Lange wurde das Projekt aufgeschoben, doch nun baut die Bahn ab 2026 tatsächlich. Bereits 2024 habe sie mit den vorbereitenden Maßnahmen begonnen. "Eine genaue Terminschiene zum Bauablauf befindet sich derzeit in Abstimmung", so eine Bahn-Sprecherin.
Für David und seine Nachbarinnen und Nachbarn eilt es. Händeringend suchen sie nach einem alternativen Standort für ihre Bauwagen-Kolonie in Nürnberg – bisher jedoch ohne Erfolg. "Nun zum Ende des Jahres ist die Aussichtslosigkeit präsent, das ist besonders auch zwischenmenschlich spürbar", erzählt er. "Ich hoffe, wir müssen nicht bis zur letzten Sekunde bangen."
"Da muss sich die Stadt auch drum kümmern"
Für die Wagenplatz-Bewohnerinnen und -Bewohner ist die Politbande eine erste vertrauensvolle Anlaufstelle. Man kennt sich über die Kulturbranche, sagt Ernesto Buholzer Sepúlveda, Vertreter der Partei im Nürnberger Stadtrat. In der Branche sind sowohl die Bewohnerinnen und Bewohner des Wagenplatzes als auch die Politbande selbst aktiv. Was den Wagenplatz angeht, leistet die Politbande laut Buholzer Sepúlveda vor allem beratende Arbeit, "wir gehen dann gemeinsam mit den Menschen diesen Weg".
In diesem Fall den Weg zu einem neuen Zuhause. Und der ist hart, weil auch gerade von der Stadt Nürnberg wenig Unterstützung komme. Man müsse unterstreichen, dass die Stadt hier eine super wichtige Rolle einnehmen müsste, das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen, sagt Buholzer Sepúlveda. "Diese Menschen sind auch Bürger:innen dieser Stadt, da muss sich die Stadt auch drum kümmern."
Die Wagenplatz-Gemeinschaft hat zusammen mit der Politbande nach möglichen Alternativorten gesucht. Laut Buholzer Sepúlveda entstehen mit Lichtenreuth und Tiefes Feld zwei neue Stadtteile in Nürnberg, in denen jeweils kein Kulturraum vorhanden ist. Eine Idee könnte es sein, in Tiefes Feld eine Art Kulturfläche zu schaffen, wo die Wagenplatz-Gemeinschaft unterkommen und weiter Konzerte, Flohmärkte und mehr veranstalten könne. Gerade diese lokalen niederschwelligen und günstigen Angebote würden einen Wagenplatz so wichtig auch für die Stadt machen.
"Jede Großstadt braucht einen Wagenplatz"
Die Stadtverwaltung habe Buholzer Sepúlveda sehr offen erlebt, in der Politik würden vor allem die konservativen Kräfte keine große Notwendigkeit für einen Wagenplatz sehen. Dabei wäre gar nicht viel Geld nötig. "Deswegen wünsche ich mir eigentlich auch noch mehr politischen Willen", sagt Buholzer Sepúlveda. Letztendlich dinge es darum, Flächen zu finden. Dafür könne die Stadt noch intensiver in die Vermittlung gehen.
Die Wagenplatz-Gemeinschaft sei super autark, "sie brauchen so gut wie nichts". Nicht mal ein Wasseranschluss müsse unbedingt da sein, es brauche also eigentlich keine Infrastruktur, nur eine Wiese oder einen Platz. "Wenn man die nötigen Schritte mal gehen würde, sehe ich die Chance als gar nicht so schlecht an, dass da rechtzeitig etwas gefunden wird. In einer Metropole mit 550.000 Einwohner:innen und viel Fläche wird es irgendwo einen Ort mit 4000 Quadratmetern geben, wo diese Menschen unterkommen können", sagt Buholzer Sepúlveda. "Jede Großstadt braucht einen Wagenplatz."
Bislang nur Absagen
Um einen Ausweichort zu finden, ist der Bauwagen-Verein ist schon seit längerer Zeit im Austausch mit dem für Flächen in der Stadt zuständigen Liegenschaftsamt. Bisher jedoch eher erfolglos. Immer wieder sei man gemeinsam Standorte durchgegangen, "aber es wurde eigentlich für alles eine Absage erteilt", erzählt Bewohner David weiter. Meist weil die ins Auge gefassten Flächen "noch irgendwann mal bebaut werden sollen". Dass wir auch eine Zwischennutzung interessiert wären, ist so ein bisschen abgeprallt", sagt er. Generell wäre für die Gruppe eine Fläche im Stadtgebiet auch bereits ab einer Nutzungsdauer von einem Jahr interessant. Eine gute öffentliche Anbindung wäre allerdings wünschenswert.
Stadt weist Vorwurf zurück - Bahn sieht sich nicht verantwortlich
Andreas Franke, Pressesprecher der Stadt Nürnberg, betont, dass der Stadt die Schwierigkeiten des Wagenplatzes keineswegs egal seien. Er weist den Vorwurf, von Seiten der Stadt bestünde kein Interesse am Weiterbestehen des Wagenplatzes scharf zurück. Nürnberg könne aber eben nicht über die Flächen der Bahn verfügen.
Seit langer Zeit stehe die Stadt im Austausch mit dem Verein und bemühe sich um eine Fläche für die Wagen. Auf städtischer Fläche konnte allerdings kein passendes Grundstück gefunden werden. Dutzende Flächen seien bereits geprüft worden. "Aber Fakt ist auch, dass es aufgrund der hohen Nachfrage nach Flächen immer schwieriger wird, überhaupt noch freie zu finden", sagt Franke auf Anfrage unserer Redaktion. Das gelte besonders für geeignete Flächen für die Wagen. Die Stadt versuche aber weiter, eine Lösung zu finden.
Auch die Deutsche Bahn könne den Wunsch nach Ersatzflächen durchaus nachvollziehen. "Wir bitten um Verständnis dafür, dass die DB als Unternehmen diese Aufgabe nicht übernehmen kann", erklärt eine Bahn-Sprecherin allerdings auf Nachfrage. Die Flächen, auf denen sich die Bauwagen-Kolonie aktuell befindet, würden dabei teils dauerhaft benötigt, da sich die Lagen der Trasse sowie der Abstellanlagen überschneiden. Teils sollen sie als Baustelleneinrichtungsflächen dienen.
Unterstützung für Verein von der Grünen-Fraktion: "Frustrierend für alle"
Immer wieder ist das Wagenplatz-Problem in Nürnberg auch Thema im Ausschuss für Recht und Wirtschaft, gerade weil die Grünen-Fraktion das Thema auf den Plan gebracht hat. Schon zum dritten Mal haben die Grünen einen Antrag an die Verwaltung mit Bitte um Unterstützung gestellt, "und wir hören einfach nicht auf", sagt Natalie Keller, Sprecherin für Gleichstellung. "Dass es viele Menschen gibt, die einfach anders wohnen wollen, das findet halt relativ wenig Berücksichtigung", betont Andrea Bielmeier, Sprecherin für Kinder- und Jugendpolitik und Beauftragte für queerpolitische Themen. Gerade der Zusammenklang von Individualität und auch sozialem, verantwortungsvollen Miteinander sei bei Wagenplätzen so besonders. Keller betont, dass eine "Stadt in der Größe wie unsere auch einfach mit berücksichtigen muss, dass es Räume für diese vielfältigen Lebensentwürfe braucht".
Sie bezeichnet die Situation als "frustrierend für alle Beteiligten". Ihre Forderung an die Stadtverwaltung ist, dass diese Wohnform auch bei der Stadtentwicklung mitgedacht wird. Die Grünen-Stadträtinnen hoffen, dass die Verwaltung weiterhin Flächen mit den zuständigen Referaten überprüft und versucht, mit der Deutschen Bahn Gespräche aufzunehmen.
Standort im Norden wird noch geprüft
Ein Standort werde laut den Ausschuss-Unterlagen derzeit noch eingängig geprüft: eine Grünfläche im Nürnberger Norden an der Ecke Marienbergstraße und Flughafenstraße. Allerdings seien hier noch einige Hürden offen. Sollte sich dieser Plan zerschlagen, gebe es laut Bielmeier aktuell kaum Alternativen "außer es findet sich vielleicht noch ein privater Grundstückseigentümer".
Was private Flächen angeht, sei die Situation allerdings nicht einfacher, wie David erklärt. Oft seien diese zu klein oder es fehlt die Bereitschaft, an die Bauwagen-Bewohnerinnen und -Bewohner zu vermieten. David möchte die Hoffnung aber nicht aufgeben. "Trotzdem bin ich hoffnungsvoll, dass sich wie beim letzten Umzug kurzfristig noch irgendetwas für uns ergibt". Die Gruppe freue sich grundsätzlich über jede Mithilfe und jeden Hinweis. Erreichen kann man sie beispielsweise per Mail an mobilearchitekturnbg@riseup.net oder telefonisch unter 0176/24206103.
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