Warum Graffiti sehr wohl Kunst ist

8.3.2013, 00:00 Uhr
Warum Graffiti sehr wohl Kunst ist

© Roland Fengler

„Graffiti“, erklärt Kid Crow, „ist so ein Überbegriff wie ‚Sport‘.“ Beim einen wie beim anderen ästeln sich die Stile, Motivationen und Hintergründe vielfältig auf. Die erklären die beiden am Beispiel ihrer Königsdisziplin: dem Stylewriting. Eine Station der Tour ist das Stadtteilzentrum Desi. Hier befindet sich eine „Wall of Fame“. Bedeutet: Eine große Fläche, auf der ganz legal „gelackt“ werden darf.

Der Nachwuchs kann unbedarft üben, was, so Hombre, schon allein deswegen wichtig ist, weil dadurch die Notwendigkeit wie auch gewissermaßen der Reiz genommen wird, illegal zu malen. In Nürnberg gibt es neben diesem Ort lediglich noch einen weiteren in Gostenhof, an dem großformatige „Pieces“, also Bilder, oder „Styles“, die bekannten, verschnörkselten Buchstabenkombinationen, weithin leuchten.

Warum Graffiti sehr wohl Kunst ist

Quer durch Johannis geht es weiter auf der Tour, die im Rahmen des „Variété Liberté“-Projekts auf dem ehemaligen Quelle–Gelände stattfindet. Dem Sponsor der Kunstaktion, einem Zigarettenhersteller, muss und sollte man dabei nicht auf den Leim gehen.

Am Beispiel verschiedener „Tags“ erfährt man die jüngste Entstehungsgeschichte des Graffitis, die sich auf die frühen 70er Jahre zurückführen lässt: „Ein New Yorker Zeitungsbote namens Taki hat irgendwann begonnen, überall auf seinem Weg sein Kürzel zu hinterlassen.“ Medienberichte riefen zahlreiche Nachahmer auf den Plan, die sich durch immer größere, immer buntere Zeichen voneinander abzuheben versuchten.

„Irgendwann ist man dann darauf gekommen, Züge zu besprühen – das vergrößert nämlich das Publikum enorm.“ Warum dann eigentlich keine Autos besprühen? „Aus Respekt vor privatem Eigentum vermutlich“, überlegt Hombre. „Das hat was mit der Denkweise über öffentlichen Raum zu tun.“ Doch auch hier gibt es ungeschriebene Regeln: „Es ist absolut verpönt, auf alten Gebäuden, Kirchen oder Sandstein zu malen“, erklärt er. Dass es auch hierbei schwarze Schafe gibt, sei bedauerlich.

So beläuft sich der angezeigte Schaden durch Graffiti allein in Nürnberg im Jahr 2012 auf rund 270 000 Euro, was für Kid Crow und Hombre, beide renommierte und international anerkannte Künstler, „erstaunlich wenig“ ist. Sie malen Aufträge, geben Workshops für Jugendliche.

Sie erklären, woran man erkennt, ob es sich bei einem „Piece“ um das Werk eines Anfängers oder eines Profis handelt. Oder auch, dass es dahingeschmierte politische Parolen wie die am Jamnitzer Platz sind, die das Image der Szene negativ belasten. Laien rätseln vielleicht über die Bedeutung von Pfeilen („die zeigen eigentlich an, auf welcher Seite eines Zuges sich das Piece befindet“) oder Kronen („wer sich selbst krönt, ist ein Depp“). Große Gemeinschaftsarbeiten wie die im Hof der Musikzentrale das symbolisieren, was Graffiti so besonders macht: „Es ist eine hohe Kunst, wenn viele Menschen mit vielen Stilen so zusammenarbeiten, dass hinterher ein stimmiges Gesamtbild entsteht.“ Das, was heute als „Street Art“ bekannt ist, unterscheidet sich vor allem durch den vergleichsweise geringen Aufwand und die größere Anerkennung vom Stylewriting. Als ernstzunehmender Street Art-Künstler muss man Ideen haben, die man mit viel Arbeit und Talent realisiert, anstatt nur zu kopieren.

Ihre eigenen Ideen arbeiten die 31- und 34-Jährigen in ihrem Atelier aus. Hier dürfen die Teilnehmer der Tour auch selbst ran und erkennen schnell, dass es alles andere als leicht ist, wenigstens eine simple Linie aufs Papier zu bringen.

Noch bis Samstag führen die beiden Künstler durch Nürnberg – die Plätze sind jedoch ausgebucht. Aber man kann ja einfach mit offenen Augen durch die Straßen gehen – denn hier befindet sich „die größte Galerie der Stadt“. Bildergalerie unter der Adresse www.nordbayern.de
 

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