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Warum wir Impfstoff verschenken müssen
6.8.2021, 06:31 Uhr"Wir haben jetzt so viel Impfstoff, dass wir wahrscheinlich als Nächstes überlegen, ob wir die Hunde und Katzen auch noch impfen sollen", scherzte der Virologie-Professor Alexander Kekulé in seinem Podcast auf MDR aktuell.
Er sprach über die dritte Impfung und die himmlische Situation, in der sich Deutschland derzeit befindet: Die Risikogruppen sind geschützt. Wer sich heute impfen lassen möchte, hat für morgen einen Arzttermin in der Tasche. Wer nicht immunisiert ist, hat sich fast immer aus freien Stücken gegen die Spritze entschieden. Prioritätsgruppen, das Symbol der Mangelverwaltung, gibt es nicht mehr. In Bayern beginnen die Vorbereitungen für die dritte Impfung, eine Auffrischungsimpfung für Alte und Kranke. Es ist eine Situation, die uns in ein ethisches Dilemma zwingt. Scheinbar.
Impfquote: ein Prozent
Während im weltweiten Durchschnitt 15 Prozent aller Menschen zwei Corona-Impfungen erhalten haben, sind es in armen Ländern 1,1 Prozent. Das meldet das Statistikportal "Our World in Data". Zu diesen gehören vor allem Länder in Afrika. Hier erreicht die Quote, den vollständig Immunisierte an der Bevölkerung ausmachen, meist nur ein Prozent. Dazu gehören aber auch Länder wie Taiwan, die sich bisher mit äußerster Disziplin durch die Krise gekämpft haben und denen nun die Puste ausgeht – bei einer Impfquote von 1,8. In Tunesien, Pakistan, Libyen sind so wenige Einwohner vollständig geimpft, dass sie statistisch keine Rolle spielen. Diese Gegenden brauchen Impfstoff, weil sie kein Geld haben, ihn zu bezahlen. Mögen diese Regionen auch mit Korruption und mit einer erbärmlichen Infrastruktur zu kämpfen haben: Wir müssen helfen. Wir können Impfpatente schützen, aber wir müssen Vakzine abgeben. Allein schon aus Eigennutz.
Vakzin gegen Einfluss
Derzeit sichert sich China Einfluss und Sympathien, indem es seinen Impfstoff verschenkt. Das chinesische "Sinovac" wurde so zum weltweit am häufigsten eingesetzten Impfstoff, obwohl bekannt ist, dass er nur schlecht gegen die ursprünglich in Indien entdeckte Delta-Variante schützt.
Schon Mitte März haben die USA und Europa China eine "aggressive Impfdiplomatie" vorgeworfen. Doch erst im Juni haben die Vereinigten Staaten angekündigt, Hunderte Millionen Impfdosen an die internationale Hilfsinitiative Covax spenden zu wollen. Die EU zog im Juli nach. Deutschland will nun alle Lieferungen des Herstellers Astrazeneca an Covax verschenken.
Dazu kommt, dass sich die Varianten immer dort entwickeln, wo das Virus auf Menschen trifft, die es ohne Gegenmaßnahmen infizieren kann. So war es in Brasilien, so war es in Indien. Genau genommen befinden wir uns also in keinem ethischen Dilemma. Sondern in der himmlischen Situation, unser aller Schicksal zum Guten wenden zu können.
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