"Was man unbedingt braucht, das ist immer wieder Mut"

12.6.2012, 00:00 Uhr

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NZ: Frau Dörrie, „Schauspieler sein“ gehört vermutlich zu den Traumberufen der meisten Kinder. Wie haben Sie es geschafft, dass es bei Ihnen nicht beim Träumen geblieben ist?

Lena Dörrie: Schon als ich fünf Jahre alt war, stand ich regelmäßig auf der Bühne, damals habe ich Ballett getanzt. Das Bedürfnis, mich über meinen

Körper auszudrücken, hatte ich schon damals. Später war ich viele Jahre Mitglied der Theatergruppe meiner Schule und habe dort erfahren, dass Schauspielen eine neue und ergänzende Form des Ausdrucks bietet: Nämlich über die Sprache. Dabei wollte ich bleiben.

NZ: Das ist dann aber schon noch ein großer Schritt, von der Schulbühne auf die Schauspielschule. Ging das einfach so?

Dörrie: Nach dem Abitur habe ich mich zuerst an der Uni für Germanistik, Politikwissenschaften und Theater- und Medienwissenschaften eingeschrieben. Ich wollte das Uni-Leben kennenlernen und mich für das kommende Jahr auf Vorsprechen an staatlichen Schauspielschulen vorbereiten. Im Endeffekt bin ich auch an der Uni wieder in der dortigen Theatergruppe gelandet, habe da gespielt und fleißig auch das Sportangebot der Uni genutzt. Währenddessen begannen die Vorbereitungen auf die Aufnahmeprüfungen.

NZ: Haben Sie das von Anfang überblicken können, welche Art der Vorbereitung dabei nötig ist?

Dörrie: Nein, überhaupt nicht. Ich bin einfach unbedarft zu meinem ersten Vorsprechen nach Bochum gefahren und prompt durchgefallen. Das war hart. Dabei gehört genau das zum Beruf: Lernen durch Scheitern. In der Phase der Aufnahmeprüfungen habe ich insgesamt viel gelernt, vor allem durch die offene und direkte Kritik der Prüfer. Außerdem habe ich mir erfahrene Hilfe gesucht: mit der Nürnberger Dramaturgin Barbara Schatz konnte ich mich professionell vorbereiten. Sie hat mich in meiner Entwicklung unterstützt, indem sie mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden ist, ohne den Fokus auf sich zu lenken. Dafür bin ich ihr sehr dankbar. Dann ging die „Tour“ weiter...

NZ: Das bedeutet...?

Dörrie: ...der Reihe nach an den verschiedenen Schauspielschulen zu den jeweiligen Prüfungsterminen vorzusprechen. Die nötigen Informationen hierzu hatte ich aus dem Internet. Heute würde ich empfehlen, im Vorhinein zu überlegen, in welcher Stadt nach der Ausbildung auch eine gute Aussicht auf Arbeit vorhanden ist. In großen Städten wie Berlin oder München wird viel gedreht und dadurch auch gecastet, und es gibt viele Theater, an denen immer wieder Vakanzen zu besetzen sind. Solche Überlegungen habe ich zum damaligen Zeitpunkt allerdings noch nicht angestellt. Vom Berufsalltag eines Schauspielers hatte ich noch keine klare Vorstellung. Wo ich studieren würde, war für mich erst einmal nicht entscheidend. Ich dachte mir einfach: Das macht mir Spaß, das möchte ich lernen.

NZ: Und das hat geklappt?

Dörrie: Das hat es. Nach drei weiteren Versuchen habe ich als eine von 500 Bewerbern einen der elf Studienplätze an der Bayerischen Theaterakademie August Everding erhalten. Vor mir lagen vier Jahre Diplomstudiengang.

NZ: Und so lernt man schauspielern?

Dörrie: Was viele unterschiedliche Fächer umfasst. Unterrichtet wird nach einem festen Stundenplan: Improvisation, Szenenstudium, verschiedene Sportarten wie Fechten und Aikido, Körpertraining, Stimm-, Sprech- und Gesangsunterricht. Außerdem Theatertheorie und -betriebskunde. Dabei sorgte ein Schüler-Lehrer-Verhältnis von fast eins zu eins für ideale Lernbedingungen.

NZ: Man kann also tatsächlich all diese Dinge lernen: auf Kommando weinen oder herzhaft lachen?

Dörrie: Eine wesentliche Grundlage des Unterrichts sind sogenannte Wahrnehmungsübungen. Hierbei lernt man, die Sinne umfassend zu schärfen, dadurch Kanäle zu öffnen und „durchlässiger“ zu werden. Emotionen finden so eher im Körper als im Kopf statt. Und man kann man sich viel leichter auf beispielsweise traurige oder lustige Situationen einlassen. Generell haben wir in der ersten Zeit vor allem uns selbst kennengelernt – was durchaus schmerzhaft sein kann. Sich so intensiv mit dem eigenen Ich auseinander zu setzen ist eine große Herausforderung, aber wichtig, um anschließend professionell arbeiten zu können, um der Rollenpersönlichkeit ein reiches emotionales Eigenleben zu geben, das unbeeinflusst von meinen privaten Gefühlen bleibt. Wenn eine Rolle beispielsweise verlangt, in einen Mitspieler „verliebt zu sein“, der im „wirklichen Leben“ fremd oder sogar unsympathisch ist, kann man dadurch trotzdem produktiv und konzentriert arbeiten.

NZ: Und professionell arbeiten durften Sie dann ja recht schnell, richtig?

Dörrie: Ja, da hatte ich großes Glück. Gleich im zweiten Jahr bekam ich die Chance, am Bayerischen Staatsschauspiel unter dem Intendanten Dieter Dorn mit so hochkarätigen Schauspielkollegen wie Juliane Köhler und Rainer Bock zu arbeiten. Bei einer Feier an der Hochschule für Film und Fernsehen wurde ich gebeten, bei einem Abschlussfilm mitzuspielen – der dann später bei den schönen Hofer Filmtagen Premiere hatte. Dadurch wurde meine jetzige Agentur auf mich aufmerksam. Das Spiel vor der Kamera eröffnete mir neue Ausdrucksmöglichkeiten und war eine neue reizvolle Erfahrung. So klappte es dann nach kleineren Auftritten bei „Der Alte“ oder „Soko München“ 2008 mit der ersten Kinohauptrolle, im Spielfilm „Im Sog der Nacht“ an der Seite von Stipe Erceg. Im selben Jahr wurde ich Mitglied des Ensembles von „Ladykracher“ und durfte im „Tatort“ die Tochter von Christoph Waltz spielen.

NZ: Was kann es denn bei einem Leben zwischen Preisverleihungen, Premierenfeiern und roten Teppichen für Kehrseiten geben?

Dörrie: Das ist ja wirklich nicht der Berufsalltag. Für Erfolg muss man hart arbeiten, und wenn er sich einstellt, muss man lernen, auch damit umzugehen. Erst einmal heißt es Ausdauer beweisen. Ich kann mich bisher glücklich schätzen, von meinem Beruf leben zu können, das ist für viele oft genug nicht der Fall. Erfahrungsgemäß arbeiten zehn Jahre nach Abschluss ihres Studiums nur noch die Hälfte der Absolventen einer staatlichen Schauspielschule hauptberuflich als Schauspieler. Und auch für diese gibt es immer wieder Phasen der Unsicherheit, der Zukunftsangst und Arbeitslosigkeit. Auch spürt man deutlich, dass im kulturellen Feld ständig Etats gekürzt und Gelder gestrichen werden. Gagen werden gedrückt, vielversprechende Projekte scheitern an der Finanzierung, Theater kämpfen um ihre Existenz.

NZ: Warum macht man das dann?

Dörrie: Als Schauspielerin lerne ich nicht nur viele interessante Menschen kennen, ich darf auch mit ihnen zusammen Geschichten lebendig machen, „kollektive Kunst“ schaffen, was ein wunderbares Gefühl ist. Das hat viel mit Hingabe zu tun. In diesem Beruf, von dem gerne gesagt wird, es drehe sich alles um das eigene Ego, geht es ja eigentlich darum, genau dieses Ego in den Hintergrund zu stellen. Mitbringen sollte man Empathie und den Willen, Menschen und ihre innersten Beweggründe zu verstehen, um jeder Rolle Leben und eine umfassende Persönlichkeit zu verleihen. Dadurch entsteht in mir eine positive Grundeinstellung dem Menschen und dem Leben gegenüber. Ich lerne, Abläufe und Kausalitäten wirklich zu begreifen. Und mit jeder Rolle, jedem Team, mit dem man arbeitet, gilt es, sich immer neuen Herausforderungen zu stellen. Dafür braucht man auch viel Mut! Was man unbedingt braucht, ist immer wieder Mut.
 

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