Wenn das Herz nicht mehr schlägt, zählt jede Minute
7.9.2018, 18:55 UhrEin Familienvater kommt nach der Arbeit nach Hause. Der 49-Jährige setzt sich an den Tisch und isst zu Abend. Plötzlich schwitzt er stark. Bei der langen Hitzewelle dieses Sommers eigentlich kein Wunder, denkt er sich. Und sein Abendessen hat er auch mal wieder viel zu schnell gegessen. Dazu der ganze Stress im Büro.
Plötzlich fasst sich der Vater von zwei Kindern an die Brust und sinkt bewusstlos auf den Boden. Er reagiert nicht mehr auf die Ansprache seiner Angehörigen. Die Ehefrau wählt sofort den Notruf 112. Ein Mitarbeiter in der Integrierten Leitstelle in Nürnberg nimmt den Anruf entgegen und erkennt nach ein paar kurzen Fragen die Lage.
Er schickt sofort den Rettungsdienst los, steht aber bis zum Eintreffen der Profis der Ehefrau zur Seite. Er sagt ihr genau, wie sie helfen kann. "Auch wenn sich der Anrufer sicherlich in einer Ausnahmesituation befindet, ist es in diesem Moment extrem wichtig, genau zuzuhören und den Anweisungen des Telefonretters zu folgen", erklärt Dr. Boris Singler, Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes in Nürnberg und Oberarzt an der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin an der Klinik Hallerwiese.
Die Mitarbeiter der Leitstelle sind geschult, per Telefon eine genaue Anleitung zur Wiederbelebung zu geben. Und so macht die Ehefrau schnell den Brustkorb ihres Ehemannes frei und beginnt mit der Herzdruckmassage. Sie presst die Handballen ihrer beiden übereinandergelegten Hände auf den Brustkorb ihres Mannes und drückt immer wieder das Brustbein kräftig nach unten — möglichst 100 Mal pro Minute. Und zwar bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes.
Im Durchschnitt sind die Profis nach acht Minuten vor Ort — für die Laien-Ersthelfer trotzdem wahrscheinlich eine gefühlte Ewigkeit. Aber mit ihrem schnellen, beherzten Einsatz können Angehörige oder Passanten Leben retten. "Es zählt tatsächlich jede Minute. Denn das Gehirn beginnt bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand bereits nach nur drei bis fünf Minuten ohne Blutfluss unwiederbringlich zu sterben", verdeutlicht Singler.
Inzwischen ist der Rettungsdienst bei der Nürnberger Familie eingetroffen. Sofort wird ein EKG geschrieben, die Kreislaufsituation erfasst und die Sauerstoffaufnahme des Patienten bestimmt. "Lucas", ein Gerät, kann mechanisch die Kompressionen auf dem Brustkorb übernehmen, während die Retter mit der Beatmung beginnen. Danach geht es mit dem Rettungswagen in die Klinik.
Die Ehefrau hat alles richtig gemacht und damit ihrem Mann nicht nur eine Überlebenschance gesichert. "Drei von vier Patienten, die die ersten 30 Tage nach einer Reanimation überlebt haben, können im Schnitt nach einem halben Jahr wieder arbeiten", meint Singler. Immerhin sind 40 Prozent der reanimierten Patienten im erwerbsfähigen Alter.
Der Herz-Kreislauf-Stillstand ist die mit Abstand häufigste Todesursache in Deutschland. Ausgelöst zum Beispiel durch einen Infarkt oder eine Lungenembolie, kommt es dabei zu einem Stopp der Pumpfunktion des Herzens und zum Stillstand des Blutkreislaufs. Wichtige Organe wie eben das Gehirn werden nicht mehr mit Sauerstoff versorgt und sterben ab.
Auf 100 000 Einwohner kommen jedes Jahr rund 50 bis 80 Fälle eines Herzstillstandes — das sind mindestens 50 000 Menschen, die außerhalb eines Krankenhauses zusammenbrechen. Auf Nürnberg bezogen, sind dies 250 bis 400 Fälle. "Nur zehn Prozent der Betroffenen überleben. Wenn mehr Menschen unverzüglich Wiederbelebungsmaßnahmen einleiten, könnten sich die Überlebenschancen der Patienten verdoppeln bis verdreifachen", sagt Singler. 60 Prozent der Herz-Kreislauf-Stillstände ereignen sich übrigens zu Hause. Es kann also schnell passieren, dass ein Angehöriger einen Lebensretter braucht.
Wer also ohnehin schon lange vorhat, seine Erste-Hilfe-Kenntnisse mit einem Kurs wieder aufzufrischen, sollte sich endlich einen Ruck geben. Aber auch ohne Kurs kann jeder eine Herzdruckmassage wagen. Die Angst, dem Bewusstlosen als Laienhelfer zu schaden, ist unbegründet. Singler: "Man kann nur eines falsch machen: nämlich nichts tun." Im schlimmsten Fall bricht eine Rippe — eine Bagatelle im Vergleich zu den Folgen eines Herz-Kreislauf-Stillstandes, der ohne schnelle Hilfe bleibt.
Wer seine Reanimationskenntnisse überprüfen möchte, hat am 18. September dazu die Gelegenheit. Die DRF-Luftrettung, das Klinikum Nürnberg und die Integrierte Leitstelle sind von 9 bis 16 Uhr in der Pfannenschmiedsgasse vor Ort. Passanten können zum Beispiel unter fachkundiger Anleitung die Herzdruckmassage trainieren oder sich die Telefonreanimation erklären lassen.
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