Wenn der Muezzin fünfmal ruft
16.2.2011, 16:59 UhrIn der Kurfürstenstraße 16 in der Nürnberger Südstadt ist die Stimmung ruhig, andächtig, fast ehrfürchtig. Zeit scheint hier keine Bedeutung zu haben. Der Teppichboden ist weich und warm. Ein erster Gegensatz zu christlichen Gotteshäusern. Dort ist es meistens recht frisch und die Kirchenbänke hart. Und noch einen Unterschied gibt es, erklärt Ümit Canlı, Bildungsleiter und Dialogbeauftragter der DİTİB Nürnberg (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion): „Um die Moschee betreten zu können, muss man zuerst die Schuhe ausziehen.“
Wenn Ümit Canlı von seinem Glauben berichtet, spricht aus ihm ein stolzer und überzeugter Muslim. Fast vier Millionen Anhänger des Islam wohnen in Deutschland, knapp 40.000 in der unmittelbaren Region. Rund 900 Moscheegemeinden gibt es bundesweit. In Nürnberg stehen zehn eingetragene muslimische Gotteshäuser. „Jede ist anders, nicht nur vom Aussehen her“, erklärt Canlı. Albanische, pakistanische und bosnische Moscheen gibt es in der Stadt. Imame, die Vorbeter, predigen in der Muttersprache der jeweiligen Gemeinde.
Die Eyüp-Sultan-Moschee, seit 1991 in Nürnberg, ist türkisch geprägt und mit über 500 zahlenden Mitgliedern eine der größten Moscheen in Franken. Ein weiterer Gegensatz zum christlichen Glauben: Während etwa Katholiken, Protestanten oder Juden Kirchensteuern bezahlen, finanzieren sich muslimische Gemeinden nur durch Mitgliedsbeiträge und Spenden.
Ein Geschenk von Erzengel Gabriel
„Auch, wenn sie unterschiedlich aussehen, finden sich in allen Moscheen die gleichen Einrichtungsgegenstände“, sagt Canlı. So bietet fast jeder Gebetsraum eine Predigtkanzel (Minber) und einen Lehrstuhl (Kürsü).
Ebenso gibt es in nahezu jeder Mosche einen gesonderten Bereich für weibliche Moscheebesucher und die Gebetsnische (Mihrab), die immer Richtung Mekka zeigt. In Mekka, dem Dreh- und Angelpunkt des islamischen Glaubens, steht das Heiligtum des Islams: die Kaaba.
Der schwarze Würfel in Saudi-Arabien ist der wichtigste Wallfahrtsort des islamischen Glaubens. Eingemauert in das Bauwerk ist ein schwarzer Stein, der vermutlich ein Meteorsplitter ist. Die Muslime glauben jedoch, der Stein stamme direkt aus dem Paradies. „Er war eine Geschenk von Erzengel Gabriel an den Propheten Abraham“, sagt Canlı.
Propheten spielen im Glauben der Muslime eine entscheidende Rolle. Neben dem Koran (die heilige Schrift der Muslime) gibt es noch die Sunna. Sie ist eine umfangreiche Sammlung an Überlieferungen des historisch letzten Propheten sowie besonders nachahmenswerter Lehren, Praktiken und Handlungen Mohammeds. Wie Ümit Canlı sagt: „Ein Handbuch für das alltägliche Leben.“ Aus der Essenz beider Werke ergibt sich die Scharia, das unabänderlichen Gesetzbuch des Islam.
Fünfmal täglich, aber „rein“
Pünktlich um 17:17 Uhr ruft der Muezzin zum Abendgebet. Das Getuschel im Gebetsraum verstummt, es kehrt Ruhe ein. Minuten zuvor haben sich die Gläubigen bei einer rituellen Waschung noch vom Schmutz des Tages gereinigt. Jetzt stehen sie in einer Reihe auf dem roten Gebetsteppich, die Augen Richtung Mekka gerichtet. Es folgt eine Vielzahl feststehender Bewegungen und Lobpreisungen.
Meditativ wiederholen die Männer Verse (Suren) aus dem Koran und beten: „Gott ist am größten.“ Ein intensiver Dialog zwischen Allah und dem Gläubigen, der beginnt, sobald der Betende die Arme vor dem Körper verschränkt. Canlı steht jetzt selbst in der Reihe der Gläubigen, kniet nieder und senkt sein Haupt zu Boden. In dieser Haltung fühlt sich der Muslim im Gebet seinem Schöpfer am nächsten.
Das Abendgebet endet nach wenigen Minuten. Die Männer schütteln sich die Hände, plaudern angeregt und gehen in die Stube, wo sie die Zeit bis zum Nachtgebet mit Gesprächen und süßem Tee überbrücken. Ein alter Mann schlurft durch die schummrigen Gänge, nimmt sich seine Schuhe aus dem langen Regal und verlässt entspannt den Gebetsraum. Mit einem befreiten Lächeln wünscht er „Selâmünaleyküm“. „Friede sei mit dir“.
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