Wo der Faust im Untergrund lauert

28.9.2005, 00:00 Uhr
Wo der Faust im Untergrund lauert

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Er ist es, unverkennbar: Auf der einen Seite mit Hut und entblößtem Knie in der Campagna fläzend; gegenüber eher ernst stehend, im schwarzen Rock und mit Skriptum in der Rechten. Kein Zweifel, Johann Wolfgang von Goethe, der große deutsche Dichter und Denker, ist im Nürnberger Norden im Untergrund gelandet. Was aber keinen Schöngeist beunruhigen muss. An der Bahnsteigkante der U3-Station „Maxfeld“, gut zehn Meter unter der Goethestraße, wird der Klassiker (1749—1832) nicht in den Schmutz gezogen. In Bild und Wort regiert Goethe. Unangefochten.

Das ist kein Zufall, sondern Konzeptsache. Der renommierte Nürnberger Architekt Hans Peter Haid, der sein Büro keine zwei Kilometer entfernt in der Krelingstraße hat, bekam den Zuschlag für die Gestaltung dieses U-Bahnhofs. „Etwas Besonderes“, sagt Haid, habe er schaffen, dem Dichterviertel so etwas wie „Identität“ geben wollen. Deshalb war für ihn klar, dass nicht Herzog Max den U-Bahnhof prägen muss, sondern Goethe, der Schriftsteller, der in seinem Leben immerhin drei Mal Nürnberg besuchte — und durchaus Hintersinniges über die Stadt geschrieben hat. Auszüge kann man nachlesen im Maxfelder U-Bahnhof, wo auf Tafeln insgesamt 74 Zitate und Bonmots aus Leben und Werk Goethes zu finden sind.

Anno 1999 machte sich Haid erste Gedanken über den U-Bahnhof in Maxfeld — den ersten übrigens, den er je gestaltet hat. „Ein heller, mit Licht durchströmter Raum“ sollte es werden. Und das ist er auch geworden, verblüffend hell sogar, obwohl gar kein Tageslicht reinfällt.

Viel Raffinesse ist da im Spiel. Glänzende Edelstahlplatten hängen, derzeit noch mit blauer Schutzfolie überzogen, an der Decke, die mächtig reflektieren. Auch den hellen Farbton des Steinbodens, in dem dezente Grüntöne enthalten sind, die allerdings erst auffallen werden, wenn das große Reinemachen stattgefunden hat. Das wird noch ein bisschen dauern, denn die Eröffnung ist von den weiteren Tests der vollautomatisierten U-Bahnzüge abhängig; die VAG peilt momentan September 2006 an.

Bauleiter Rudolf Friedrich verspricht aber für den Maxfelder U-Bahnhof: „Wir werden heuer noch fix und fertig.“ Soll heißen, dass nach fünf Jahren Baustelle und Parkplatznot rund um das Hans-Sachs-Gymnasium wieder Ruhe einkehrt und dort Bäume wachsen, wo jetzt noch rot-weiße Bauzäune stehen. Schon beim „Tag der offenen Tür“ können sich Neugierige am 16. Oktober selbst ein Bild von der neuen Unterwelt in der Goethestraße machen. Werner Schuster, Leiter der U-Bahnplanung, ist überzeugt, dass dann auch alle Glasplatten mit dem kräftigen Grünstich an den mehr oder weniger schrägen Zugängen montiert sind.

Farbenlehre inspirierte

Goethe hat Haid auch zum Griff ins Grüne inspiriert, denn erst seit dessen Farbenlehre gilt Grün als Grundfarbe. Prägend im U-Bahnhof ist neben Goethe auch die enorme Dynamik der Linien, die sich von den Schienen über die Zitat-Tafeln an den Seitenwänden nach oben zu den drei lang gezogenen Kunststoff-Lamellen erstreckt, die im Interesse des Lärmschutzes unterschiedlich gedreht sind.

Ein stromlinienförmiges Spannungsfeld ist das. Man darf gespannt sein, ob Wartende hier nervös werden oder sich dankbar in Dichter-Worte versenken. Wie „Das wahre Glück ist die Genügsamkeit“ oder „Im Deutschen lügt man nicht, wenn man höflich ist“, was aus dem „Faust“ stammt, der im Maxfelder Untergrund natürlich auch bruchstückhaft lauert.

Haid hat sich bei der Auswahl der Zitate von Eva Homrighausen, Leiterin der Stadtbibliothek, beraten lassen. Und gern hätte er via Digitaltechnik ein literarisch-akustisches Kulturprojekt kreiert, bei dem die Texte mehrsprachig zu genießen gewesen wären. Doch der Kostenrahmen von zwei Millionen Euro für den U-Bahnhof beendete solche Extras. „Die Kunst des Architekten ist es, mit begrenztem Geld etwas Schönes zu machen“, definiert U-Bahnplaner Schuster, der aber sehr zufrieden mit dem Ergebnis wirkt: „Die U-Bahnhöfe werden immer schöner.“

Während Haid genau darauf achtet, dass beim Feinschliff nichts von seiner Philosophie verloren geht, plant er längst seinen zweiten U-Bahnhof: Am Kaulbachplatz setzt er auf minimalistische Bionik-Formen. Hier wie dort hofft der Baumeister, der gerade den Rostocker Architekturpreis erhielt, auf „möglichst hohe Akzeptanz“ bei der Bevölkerung. Sein Arbeitsmotto korrespondiert dabei mit einem Bonmot aus dem „Faust“: „Die Tat ist alles, nichts ist der Ruhm.“ Ebenfalls zu lesen im U-Bahnhof Maxfeld.