Wo Führungskräfte andere Blickwinkel kennenlernen
13.8.2013, 00:00 UhrDas Schloss Reichenschwand am Tor der Hersbrucker Schweiz hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. In den über 700 Jahren seit es gebaut wurde, residierten hier Raubritter und Kaufleute, im Zweiten Weltkrieg auch amerikanische Soldaten.
1984 kaufte die Nürnberger Unternehmerfamilie Wöhrl das Anwesen — seit 1988 ist das Gelände des Schlosses Sitz der Wöhrl-Akademie. Die ist ein von Hans Rudolf Wöhrl initiiertes, ursprünglich betriebsinternes Weiterbildungsinstitut. Nach seinen Worten suchten zur Gründungszeit vor allem Menschen mit niedrigerem Bildungsabschluss im Textilhandel ihr Glück. Ihnen den Aufstieg in höhere Positionen zu ermöglichen, war eines der Gründungsziele.
Nicht nur die Karriere im Fokus
Etwa 1500 Mitarbeiter, darunter viele Führungskräfte, durchlaufen inzwischen pro Jahr die über 120 Seminare, die das Programm der Akademie umfasst. Darunter sind Themen wie Teamfähigkeit oder Zeitmanagement, aber auch Modetrends und Warenkunde. Etliche der Dozenten stammen aus dem Unternehmen selbst. „Rund 20 Prozent unserer Seminare sind hierarchieübergreifend“, sagt Sebastian Gradinger, der Leiter der Wöhrl-Akademie. Das heißt, die Teilnehmer stammen aus unterschiedlichen Personalebenen des Modehauses.
In der Akademie sollen jedoch nicht nur Mitarbeiter auf eine Führungsposition vorbereitet oder für die nächste Stufe auf der Karriereleiter fit gemacht werden. „Ein Problem des Einzelhandels sind die flachen Hierarchien. Man kann hier extrem schnell Karriere machen und mit 22 viel Verantwortung haben. Aber irgendwann gibt es einen Punkt, an dem es nicht mehr weitergeht“, erklärt Gradinger.
Auch für solche Führungskräfte, die schon mit Anfang 40 voraussichtlich keinen weiteren Schritt in ihrer Laufbahn mehr machen werden, gibt es bei der Wöhrl-Akademie ein Entwicklungsprogramm. „Es geht um Wertschätzung und darum, neue Horizonte zu eröffnen“, sagt Gradinger. Dabei sollen die langjährigen Führungskräfte auch neue Perspektiven kennenlernen. Die Modemanager schuften dann etwa drei Tage lang in der Landwirtschaft, malochen auf dem Feld und schlafen im Heu. Oder sie arbeiten in einer Behindertenwerkstatt an der Werkbank.
„Wir haben heute viele unterschiedliche Kulturen und zunehmend schneller werdende Kommunikationstechnologien. Die Führungskräfte der Zukunft brauchen nicht nur Fachwissen, sie müssen sich auch ständig in andere Perspektiven hineinversetzen können“, erklärt Gradinger das Konzept. Nicht dazu gehört ein betriebsinterner Rollentausch: Dass etwa Führungskräfte einmal die Aufgabe eines Verkäufers in einer Filiale übernehmen, ist bisher noch nicht vorgesehen.
Öffnung für externe Firmen
Für die Verkäufer in den Filialen hat die Akademie 2011 ein eigenes Konzept entwickelt, das sich „Akademie vor Ort“ nennt. In jedem der Modehäuser wurde seitdem ein Mitarbeiter als Trainer geschult, um Workshops und Schulungen abzuhalten.
Seit Gradinger 2010 die Leitung der Akademie übernommen hat, hat sich die Institution für andere Firmen geöffnet. Dazu gehört ein Programm namens iMEP (Interaktives Management-Entwicklungsprogramm), an dem sich mehrere große Textilunternehmen beteiligen. Jede Firma wählt dabei zwei Nachwuchsführungskräfte aus, die sich ein bestimmtes Ziel setzen müssen. „Das sind zum Beispiel Dinge wie besser präsentieren können oder die Angst vor Konflikten mit Mitarbeitern zu verlieren. Es geht nicht unbedingt um die Karriere“, erklärt Gradinger. Begleitet werden die Talente von den obersten Vertretern der Unternehmen. Dreimal im Jahr reisen sie selbst nach Reichenschwand, um Verantwortung für „ihre“ Führungskräfte zu übernehmen. Abends schließt sich für die Chefs eine vertrauliche Gesprächsrunde im Schloss an. „Das ist ein Raum zum Austauschen, wo man auch offen über Schwächen reden kann“, sagt Gradinger. Denn auch das ist Teil davon, Führungskraft zu sein: Man wird einsam.
Das Geschäft mit externen Unternehmen will der Akademieleiter ausbauen — gleichzeitig sieht er einen „Seminartourismus“ kritisch, ihm gehe es um Nachhaltigkeit: Personalentwicklung sei viel zu komplex, zu theoretisch geworden. „Oft dient sie als Outsorcing von Problemen. In Seminaren wird vielfach Verantwortung weggegeben, obwohl das Problem beim Chef und den Mitarbeitern liegt.“ Gradinger schwebt stattdessen ein Konzept vor, bei dem die Personalentwicklung wieder stärker in den Berufsalltag integriert wird.
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