Wo Umarmungen und Gefangenenkunst winken

16.10.2017, 20:07 Uhr
Wo Umarmungen und Gefangenenkunst winken

© Foto: Jo Seuß

Wohin soll man zuerst? Ingo Brodbeck, der die Veranstaltung im Jahr 1998 mitgegründet hat, rät zum Besuch der Übersichtsausstellung, die sich im roten Gebäude in der Rosenaustraße 10 befindet, wo auch Wolfgang Walter sein Atelier hat. "Da sieht man Exponate von fast allen Teilnehmern und kann entscheiden, für welche Kunst man sich interessiert", sagt der Fotokünstler, der dort den Griff zum handlichen GOHO 2017-Flyer empfiehlt: "Die entsprechenden Ateliers kann man dann gezielt anlaufen."

Wer nicht auf eigene Faust losziehen will, kann an einer der Führungen mit unterschiedlichen Routen teilnehmen, die am 22. Oktober wieder um 12 und 15 Uhr im Nachbarschaftshaus Gostenhof in der Adam-Klein-Straße beginnen.

Dann folgt man beispielsweise den Wegen von Jörg Knapp. Da die Führungen zu Fuß stattfinden, verwundert es zuerst, warum Knapp mit dem Fahrrad unterwegs ist. Er schiebt zwar den Drahtesel, aber Warnweste und Fahrradhelm legt er nicht ab. Nachdem er mehrmals kurz vorausgefahren ist, um nachzuschauen, ob ein Atelier wirklich offen hat, wird klar: Das Fahrrad ist Erfahrungssache!

Wo Umarmungen und Gefangenenkunst winken

© Martin Schülbe

"Hier kann man sich zeigen"

"2007 habe ich die Atelier- und Werkstatttage besucht, seit 2009 biete ich Führungen an", sagt Knapp und räumt gleich ein, dass er ein echter Fan der Veranstaltung ist. Tatsächlich steht später an einer Tür geschrieben, dass das Atelier wegen Krankheit geschlossen ist. Anderswo hat ein Künstler verschlafen — doch das sind nur Ausnahmen. Denn durchweg nehmen die Künstler die Veranstaltung ernst: "Hier kann man sich zeigen", sagt Barbara Geist-Leupold, die zum ersten Mal teilnimmt und ihre Collagen und Gedichte präsentiert. Sechs Jahre lang übt sie ihre Kunstform bereits aus, in diesem Jahr hat sie sich endlich angemeldet.

Wo Umarmungen und Gefangenenkunst winken

© Martin Schülbe

Extra aufgeräumt hat sein Atelier Maler Joachim Kersten, dem die Veranstaltung vor allem interessante Gespräche bringt. Am Morgen haben Besucher etwa mit ihm diskutiert, ob ein Bilderpaar besser wirkt, wenn man es andersherum aufhängt. "Es ist spannend, was die Menschen in zwei bis drei Minuten in meiner Kunst erkennen."

Extra nicht aufgeräumt hat dagegen Andreas Lehmeyer: "Ich finde es wichtig, dass die Leute ein authentisches Atelier vorfinden." Er betont, dass man ihn immer besuchen kann, freut sich aber über die vielen Interessierten am ersten offenen Atelier-Sonntag. "Und für mich gibt es auch keine Laien. Man muss ja nicht Kunst studiert haben, um Bilder schön zu finden."

Weniger eine nicht aufgeräumte als vielmehr Abbruchstimmung herrscht in den Räumen des Vereins Edel Extra, einer ehemaligen Bäckerei. Und das ganz bewusst: Hier sind Objekte in Lebensgröße zu sehen, inspiriert von "Madame Tussauds", nach der auch die Ausstellung benannt ist. Zwei Arme ragen aus einer Wand, darüber ein Kissen mit einem aufgedruckten Gesicht. "Das ist Shia LaBeouf, ein amerikanischer Schauspieler und Performance-Künstler", sagt Lara Sielmann vom Vereinsvorstand, schlüpft zwischen die Arme und legt ihren Kopf an das Kissen, "so kann man sich von ihm umarmen lassen."

Wo Umarmungen und Gefangenenkunst winken

© Martin Schülbe

Führung heißt natürlich Eiltempo, aber auch Vielfalt. Immer, wenn Führungsteilnehmer einen Ort besonders interessant finden, wird die Gruppe kleiner. Und Vielfalt insofern, als man Dinge zu sehen bekommt, mit denen man nicht rechnet. Im evangelischen Gemeindehaus in der Müllnerstraße etwa zeigt Gefängnispfarrer Frank Baumeister die Werke von Gostenhofer Untersuchungshäftlingen.

Auf einem sieht man einen Zweig, auf dem ein Vogel sitzt, gehalten von zwei Händen vor vergittertem Fenster. "Die Insassen kommen in der Gruppe zusammen und zeigen sich die Bilder", erklärt Baumeister und betont zugleich: "Dafür kriegen sie hier vielleicht zum ersten Mal echte Anerkennung."

Fahrt mit Mini-Longboards

Eine Art Konzeptkunst macht Phil Würzberger von der ‚LoBo Kids Crew‘, der auf dem Longboard ausgedehnte Charity-Ausfahrten macht und dabei Geld für Kinder einsammelt – normalerweise. "Den Tag heute nutzen wir, um bekannter zu werden", sagt er. Selbst fahren kann jeder Besucher in seinem Büro – mit den Fingern auf Mini-Longboards.

"Es gibt keine Jury", erklärt Ingo Brodbeck, der in der Ateliergemeinschaft MK6 ausstellt, das Besondere an der GOHO. Sie sei eine Veranstaltung für den Stadtteil, "also kann jeder Künstler, der in Gostenhof sein Atelier hat, mitmachen". Schließlich sind aus der anfangs großen Gruppe um Knapp nur noch zwei Teilnehmer übrig geblieben. "Für jeden war was dabei", lautet sein Fazit. Und dann schwingt er sich auf sein Fahrrad und düst wenige Minuten vor der nächsten Führung zurück zum Nachbarschaftshaus. Dort warten die nächsten Kunstinteressierten schon auf ihn.

Die GOHO ist auch bei der elften Auflage ein schönes Entdeckungsspiel. Bei einer Tasse Kaffee kann man später im Salon Regina in der Fürther Straße nachsinnen, was einen die aufgehängten Bilder sagen. Ein paar Meter stadteinwärts lockt die "Glücksboutique" Fachmarie mit schönen Geschenken und kunstvollen Dingen für den Alltag: von der Wärmflasche über Mützen und Buttons bis zum Kuschel-Flamingo — besonders dekorativ angesichts des zehnjährigen Bestehens.

Eine Querstraße südlicher, in der Eberhardshofstraße, präsentiert derweil der "Heimat"-Verein Gemälde und beleuchtete Stein-Kunst in seinem Gasthausdomizil. Und wer genug von der Kunst hat, darf sich im Biergarten ein Päuschen gönnen.

Weitere Infos über www.goho-ateliertage.de

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