„Wulff hat wenig dazu beigetragen, die Dinge aufzuklären“

7.1.2012, 01:00 Uhr
„Wulff hat wenig dazu beigetragen, die Dinge aufzuklären“

© Hippel

Herr Gloser, war der TV-Auftritt von Herrn Wulff der große Befreiungsschlag und somit das Ende der Affäre?

Günter Gloser: Es war ein Versuch, mehr Licht ins Dunkel zu bringen, aber ich glaube, dass er sich in vielen Passagen wieder mehr als Opfer gesehen hat und somit wenig dazu beigetragen hat, die Dinge aufzuklären.

Was raten Sie Herrn Wulff — soll er zurücktreten?

Gloser: Ich werde keine Rücktrittsforderung stellen, nur so viel: Herr Wulff muss sich überlegen, was das Amt des Bundespräsidenten an Aufgaben und Erwartungen mit sich bringt, und sich dann die Frage stellen: Bin ich überhaupt in der Lage, diesen Anforderungen gerecht zu werden?

Ist der Bundespräsident wirklich so naiv, wie er uns glauben machen will, oder hatte er während der vergangenen Wochen einfach nur schlechte Berater?

Gloser: Die Fehler hat man zuerst bei sich zu suchen. Aber natürlich ist auch die Auswahl der Berater entscheidend. Es stellt sich die Frage, ob man sich Berater aussucht, die immer nur das bestätigen, was der Chef hören will, oder ob man sich kritische Menschen in sein Umfeld holt, die vor Fettnäpfchen warnen.

Sie waren als Teil einer Bundestags-Delegation dabei, als Herr Wulff von Kuwait aus den „Bild“-Chefredakteur via Mailbox zu einer anderen Berichterstattung animieren wollte. Wie haben Sie den Präsidenten während dieser Reise erlebt?

Gloser: Ich habe natürlich die Nachrichten aus Deutschland bekommen. Und nicht nur ich hatte den Eindruck, dass ihn das Thema sehr beschäftigt hat. Aber wir haben darüber nicht offen gesprochen.

Hand aufs Herz: Standen Sie auch schon mal kurz davor, den Verlockungen des Amtes zu erliegen? Als Staatsminister im Auswärtigen Amt gab es doch sicher die ein oder andere Gelegenheit...

Gloser: ... es gab tatsächlich einmal eine Einladung zu einer großen Konzertveranstaltung in Berlin, die einen bestimmten Wert überschritten hat, da habe ich mir die Genehmigung geholt — auch wenn einige darüber gelächelt haben. Und noch ein zweites Beispiel fällt mir ein: Auf einer früheren Reise, an der ich als Abgeordneter teilgenommen habe, lag plötzlich im Flugzeug eine sehr teure Uhr auf den Plätzen der Delegationsmitglieder. Wir haben das dem damaligen Bundespräsidenten angezeigt und die Uhren übergeben. Andererseits: Ich finde, man muss nicht jede Einladung zu einem Mittagessen ausschlagen.

Haben Sie jemals versucht, auf Medienvertreter im Vorfeld einer Berichterstattung Einfluss zu nehmen?

Gloser: Was die Vorberichterstattung angeht, in keiner Weise. Natürlich tauscht man sich gelegentlich mit Journalisten aus. Ich kann mich daran erinnern, dass Journalisten während meiner Zeit als Staatsminister im Auswärtigen Amt häufig von mir die Herausgabe von internen Berichten gewünscht haben — auch da habe ich mich konsequent geweigert.

Haben Sie für das Verhalten von Herrn Wulff Verständnis — sind die Maßstäbe, die wir an Politiker anlegen, vielleicht zu hoch?

Gloser: Manche seiner Argumente und seiner Handlungen kann ich nicht nachvollziehen. Eine offenere Vorgehensweise wäre hilfreicher gewesen. Natürlich braucht es Maßstäbe. Aber vielleicht haben wir als Politiker auch selbst zu hohe Erwartungen geweckt, die so gar nicht zu erfüllen sind.

Hier ein Präsident, der von einem befreundeten Unternehmer-Ehepaar einen günstigen Kredit aufnimmt, dort ein Verteidigungsminister, der seine Doktorarbeit in Teilen abgekupfert hat. Ist es um die Moral in der Politik generell schlecht bestellt?

Gloser: In einer Zeitung habe ich dieser Tage eine Umfrage über das Ansehen von Politikern gelesen, da hieß es, die haben ja doch alle Dreck am Stecken — das ist ein unzutreffendes Pauschalurteil. Wir müssen aber aufpassen, in einer Zeit, in der es schwierige Entscheidungen zu treffen gilt, nicht nach dem alten biblischen Spruch zu handeln — Wasser predigen und selbst Wein trinken.

Sie treten bei der nächsten Bundestagswahl 2014 nicht mehr an. Über zwei Jahrzehnte hatten Sie Gelegenheit, aus der ersten Reihe so manchen Skandal zu verfolgen. Welche Bilanz ziehen Sie aus Ihren politischen Beobachtungen?

Gloser: Meine Bilanz lautet, dass wir manchmal viel zu wenig innehalten, um unsere eigene Arbeit kritisch zu überprüfen. Die Politik hat sich seit der Bonner Republik sehr gewandelt, dabei spielt die veränderte Medienlandschaft auch eine große Rolle. Wir müssten in diesem Umfeld deutlich machen, was wir imstande sind zu leisten, denn die Bürger hinterfragen zu Recht, was ihnen die Politiker versprochen haben. Unsere Arbeit bräuchte in gewissen Punkten eine Entschleunigung. Das bedeutet nicht, dass wir uns auf die faule Haut legen sollten, aber vor so mancher Entscheidung wären 24 Stunden mehr Nachdenken hilfreich.
 

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