Zeuge der Nürnberger Prozesse: Ein Leben für Frieden und Gerechtigkeit

2.3.2020, 14:25 Uhr
Ben Ferencz, der letzte noch lebende Chefankläger, 2010 bei der Eröffnung des Memorium Nürnberger Prozesse. Kurz vor seinem 100. Geburtstag erscheint jetzt ein Buch über sein bewegtes Leben und seinen unermüdlichen Kampf für Gerechtigkeit und Frieden in der Welt.

© Armin Weigel, dpa Ben Ferencz, der letzte noch lebende Chefankläger, 2010 bei der Eröffnung des Memorium Nürnberger Prozesse. Kurz vor seinem 100. Geburtstag erscheint jetzt ein Buch über sein bewegtes Leben und seinen unermüdlichen Kampf für Gerechtigkeit und Frieden in der Welt.

Gleich mit seinem ersten Fall schrieb der Jurist Ben Ferencz Geschichte. Mit gerade mal 27 Jahren brachte er 1947 als Chefankläger hochrangige SS-Offiziere wegen Mordes an Hunderttausenden Menschen vor Gericht. Heute ist der US-Amerikaner der letzte Zeitzeuge der Nürnberger Prozesse. Am 11. März wird er 100 Jahre – und setzt sich immer noch für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt ein.


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„Er hat eine unglaubliche Energie“, sagt der Schweizer Historiker Philipp Gut über Benjamin Ferencz, der sich selbst Ben nennt. Für sein Buch „Jahrhundertzeuge Ben Ferencz“ hat er den Sohn jüdischer Einwanderer aus Rumänien im vergangenen Jahr mehrere Tage lang in Florida interviewt. „Das Faszinierendste ist seine Lebendigkeit bis ins hohe Alter, seine Lebensfreude trotz dessen, was er gesehen hat.“

Leichen ausgegraben

Zum Ende des Zweiten Weltkriegs arbeitet der Harvard-Absolvent Ferencz in einer Einheit der US-Armee, die deutsche Kriegsverbrechen verfolgt. Er gräbt die Leichen von alliierten Piloten aus, die gelyncht wurden, und sucht in Buchenwald, Mauthausen und anderen deutschen Konzentrationslagern Beweise für die grauenhaften Taten.


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Dann der Sensationsfund: Im ausgebombten Berlin stößt er mit seinem Ermittler-Team auf mehrere Ordner mit Geheimberichten, in denen die SS minuziös alle getöteten Juden, Roma, Kommunisten und Kriegsgefangenen in der Sowjetunion dokumentierte. „Auf einer kleinen Rechenmaschine addierte ich die Zahl derer, die ermordet wurden. Als ich eine Million erreichte, hörte ich auf zu zählen“, schreibt Ferencz in den Erinnerungen auf seiner Homepage, die Gut auch als Quelle für sein Buch nutzt, das nun beim Piper Verlag erschienen ist.

Ferencz wird Chefankläger in einem der zwölf sogenannten Nachfolgeprozesse, die von 1946 bis 1949 auf das Verfahren gegen die Hauptkriegsverbrecher wie Hermann Göring und Rudolf Heß folgten. 24 führende SS-Leute klagt er unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen an. Darunter sind die vier Kommandeure der SS-Einsatzgruppen, die in den eroberten Gebieten im Osten praktisch jeden Tag wehrlose Frauen, Männer und Kinder umgebracht hatten. Prozessbeobachter sprechen damals vom größten Mordprozess der Geschichte.

Am Ende 14 Todesurteile

„Ohne ihn hätte es den Prozess nicht gegeben“, sagt die Politikwissenschaftlerin Sophia Brostean-Kaiser vom Memorium Nürnberger Prozesse. Auf einer Schautafel des Museums im geschichtsträchtigen Gericht ist Ferencz für immer verewigt. Das Schwarz-Weiß-Foto zeigt den kleinen schmalen Mann, als er die Anklage verliest. „Ich hätte 3000 Täter überführen können“, sagt Ferencz in dem Buch rückblickend. Doch er wählte 24 Verdächtige aus. „Es war eine Auswahl, ein Muster, um der Welt zu zeigen, was geschehen war, und um ein paar Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen.“ 14 Todesurteile verhängten die Richter am Ende.

„Es ging darum, ein Zeichen zu setzen“, beschreibt Gut die Beweggründe von Ferencz. So etwas wie der Zweite Weltkrieg und die Verbrechen der Nazis sollten nie wieder passieren. „Das hat ihn angetrieben. Er hat sein ganzes Leben diesem Ziel untergeordnet“, sagt Gut. In den Jahrzehnten danach kämpft Ferencz unermüdlich für die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. „Ich muss zugeben, dass nie sicher war, ob ich diesen Tag erleben würde“, wird er im Buch zitiert. 2002 war es dann doch so weit.

Interviews gibt Ferencz mittlerweile nicht mehr. Auch Fragen per E-Mail möchte er nicht beantworten und verweist auf seine Homepage. Auf Twitter und Facebook hat er lange nichts Neues geschrieben. Die Besucher im Memorium Nürnberger Prozesse können ihn jedoch noch voll in seinem Element erleben. In einem Raum läuft in Dauerschleife ein Video vom einen Vortrag, den er vor Studenten gehalten hat - eloquent, humorvoll, mitreißend. Sein großer Wunsch sei, sagt er darin: Krieg müsse illegal sein.