Zeuge im "Reichsbürger"-Prozess: Erste Schüsse trafen Polizisten
30.8.2017, 15:06 UhrAuch am zweiten Prozesstag um den getöteten Polizisten von Georgensgmünd sind die Zuschauerbänke im Schwurgerichtssaal bis auf den letzten Platz besetzt. Der Angeklagte Wolfgang P. (49) schweigt weiterhin, doch zeigt er deutlich, was er von dem Verfahren hält: Als die drei Richter der Schwurgerichtskammer und die beiden Schöffen den Saal betreten, erheben sich die Prozessbeteiligten und das Publikum - allein Wolfgang P. (49) bleibt sitzen.
Nacheinander treten die SEK-Beamten, die bei dem Einsatz in Georgensgmünd am 19. Oktober 2016 beteiligt waren, in den Zeugenstand: Die Polizisten äußern sich nur zum Einsatz selbst. Wie die Razzia im Vorfeld geplant wurde, wird am Donnerstag Gegenstand der Beweisaufnahme sein. Doch deutlich wird: Es waren wohl bereits die ersten Schüsse, die einen Polizisten getötet und zwei weitere Beamte verletzt haben.
Die SEK-Beamten treten hintereinander in den Zeugenstand, neben jedem der Zeugen nimmt Rechtsanwalt Harald Straßner als Zeugenbeistand Platz. Ihre Personalien und ihre Heimatadresse nennen die SEK-Beamten nicht, diese Daten werden, gestattet vom Gericht, geheimgehalten. Zur Identifizierung haben die Beamten eigens eine Kennziffer.
Keine Auskunft zur Polizeitaktik
Um den Einsatz zu besprechen trafen sich die Einsatzkräfte bereits um fünf Uhr morgens in Georgensgmünd. Die Ausrüstung wurde überprüft, dann ging es in "Richtung Zielobjekt". Wie viele Beamte an dem Einsatz beteiligt waren, ist nicht exakt zu sagen - auch die Personenstärke, in der das SEK auftrat, ist Teil der Polizeitaktik, über die im Detail keine Auskunft gegeben werden darf. Zu erfahren ist jedoch, dass ein Team mit acht Leuten über den Keller in das Anwesen eindrang, ein weiteres Team in ähnlicher Größenordnung ging über den Hauseingang und das Treppenhaus hoch in den ersten Stock.
Bereits weit vor sechs Uhr morgens hatten versteckt positionierte Beamte kontrolliert und beobachtet, was in dem Haus vor sich ging - ob Rollos geöffnet wurden oder Lampen angeschaltet. Erst als diese Kräfte meldeten, dass alles ruhig sei, wurde gestürmt. Etwa 27 Polizeibeamte seien in das Haus eingedrungen, auf die genaue Anzahl der Personen will sich der erste Zeuge nicht festlegen. Auch ein Notarzt und Sanitätsbeamte waren im Team und auch hier gilt: Die Anzahl der Beamten unterliegt der Geheimhaltung. Im Gepäck waren auch Schutzschilder für die vorderen Trupps.
Vor dem Anwesen positionierten die Beamten keinen Streifenwagen, sondern einen weißen Mercedes Sprinter, ausgerüstet mit Blaulicht und Martinshorn. Mindestens acht bis zwölf Töne Martinshorn habe er laufen lassen, als Schüsse zu hören waren, erinnert sich der Beamte, der das Martinshorn damals bediente. Als er hörte, dass im Anwesen Schüsse fielen und sich der Leiter des Acht-Mann-Trupps im ersten Stockwerk über Funk meldete, schaltete er das Martinshorn ab, schließlich stört dessen Lautstärke auch die Einsatzkräfte und deren Kommunikation.
Einsatzleiter mit acht Männern im Keller
"In dem Moment, in dem es Probleme gibt, hat sich die Erkennbarkeit der Polizei erübrigt", so der Zeuge. Das Martinshorn, so erinnert sich jener Einsatzleiter, der mit acht Männern im Keller war, sei auch dort zu hören gewesen, ebenso wie die permanenten Rufe "Achtung Polizei". Nur die Schüsse selbst habe er im Keller nicht gehört. Den Einsatzleiter überrascht dies nicht: Bei Einsätzen tragen die Beamten eine Kombination aus Gehörschutz und Funkgerät.
Der nächste Zeuge, "Kollege Nummer 26" , führte eine acht Mann starke Gruppe, die eingeteilt war, den 1. Stock zu besetzen. Mit seinem Kollegen, es ist der Polizist, der diesen Einsatz nicht überlebte, stand er ganz vorne an der Haupteingangstür im Erdgeschoss, mit schwerem technischen Gerät hatten sie die Tür aufgestemmt und warteten auf das Signal zum Einsatz. Sie drangen ins Treppenhaus ein, orientierten sich gleich nach oben. Plötzlich fielen Schüsse.
"Durch die Türe, damit habe ich nicht gerechnet"
"Durch die Türe, damit habe ich nicht gerechnet" kommentiert heute der Polizeibeamte, der schwer verletzt wurde und einen Durchschuss seines Armes erlitt. Als durch die teilverglaste Tür gefeuert wurde, ging im Hauseingang ging eine Art Splitterregen nieder, beschreibt der Einsatzleiter - und ringt um seine Fassung, als er sich an den Dampf im Treppenhaus erinnert und schildert, wie sein Kollege getroffen wurde. "Er taumelte schwer."
Die Kollegen hätten das Feuer erwidert, von innen wurde immer weiter gefeuert. Nach einem kurzen Moment des Innehaltens hätten alle versucht, sich zu orientieren. Die verletzten Kollegen meldeten "Treffer", dann sei der Angeklagte, bekleidet mit Unterhosen und einer weißen Schutzweste, aus der Tür marschiert. Wann er sich die Schutzweste überstreifte, ist bislang unklar: Er selbst behauptet über seine Verteidiger, sie erst im Laufe der Schießerei angezogen zu haben, die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass er, verschanzt in einem Hinterhalt seines Hauses, bereits mit angelegter Schutzweste auf die Polizeikräfte gewartet hat.
Mehrere Polizisten führten den Angeklagten nach unten ins Erdgeschoss, "zogen in die Treppen hinab" und fixierten ihn vor dem Gebäude auf dem Boden. Wieviel Zeit zwischen dem letzten Schuss und dem Moment, in dem der Angeklagte das Haus verließ, verstrich, vermag der Polizist nicht mehr zu sagen.
Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.