Zwangsprostitution in Nürnberg: Betroffene fallen auf Loverboy-Methode herein
5.4.2019, 16:20 UhrWer an die Ausbeutung von Menschen denkt, landet oft in der Vergangenheit: Sklaverei fällt dann als Stichwort. Dass auch mitten in Nürnberg wohl etliche Dutzend Fälle von Menschenhandel über die Bühne gehen, ist den wenigsten bekannt. Auch Oberbürgermeister Ulrich Maly zeigte sich im Kuratorium für Integration und Menschenrechte überrascht, nachdem er über die Situation in der Stadt aufgeklärt worden war: "Das ist eine schonungslose Analyse."
Noch dazu ein Lagebericht, der depressiv machen könne, wie Maly anmerkte. Und dabei dachte er an die Aufklärungsquote: Diese liegt beim Delikt Menschenhandel nahe null. Philip Engl, Gruppenleiter bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, erläuterte sehr anschaulich, warum das so ist — und wohl auch so bleiben werde: Paradoxerweise sei dies den Opfern selbst zuzuschreiben.
Voodoo-Schwur in Nigeria
"Die Frauen offenbaren sich in der Regel nicht", so Engl. Eine Einschätzung, die von den Expertinnen der Beratungsstelle Jadwiga bestätigt wird. Bezüglich immer häufiger auftretender Fälle von Zwangsprostituierten aus Nigeria liege das an einem "Voodoo-Schwur, den die Frauen noch in ihrer Heimat leisten", so Sabine Weimert von Jadwiga.
Zudem, darin sind sich der Staatsanwalt und die Beraterinnen einig, haben die Frauen häufig kein Opfer-Bewusstsein, "sondern glauben, an den falschen Mann geraten zu sein". Philip Engl ergänzt, dass etliche Betroffene auf die "Loverboy-Methode" hereinfielen: "Der zunächst so liebevolle Partner ist in Deutschland dann plötzlich ein Drecksack."
Scham und Angst vor Repressalien
Weiterhin erschwert wird die Aufklärung durch die Angst der Opfer um die eigenen Familien. Nicht selten liege dem Menschenhandel eine finanzielle Notlage zugrunde: Die Frauen wollen ihren Kindern und Angehörigen in der Heimat Geld zukommen lassen, dafür seien sie auch bereit, ihre Körper im Ausland zu verkaufen. Nachdem die Menschenhändler häufig aus demselben Dorf oder sogar aus dem unmittelbaren familiären Umfeld stammten, seien Scham und Angst vor Repressalien in der Heimat sehr groß.
Eine äußerst unerfreuliche Lage, für die Strafverfolger Engl keinerlei Ausweg skizzieren konnte: "Ein wirklich wirksames Bekämpfen des Menschenhandels mit den bestehenden Maßnahmen kann ich nicht versprechen." Engl betonte die gute Zusammenarbeit aller Beteiligten — von der Polizei über die Fachberatung bis zur Kommune und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die organisiert seit zwei Jahren den Arbeitskreis Menschenhandel, vor allem, um den Opfern zu helfen.
Christine Burmann, Frauenbeauftragte der Stadt und zuständig für die Koordination des Arbeitskreises, berichtete von "35 Frauen, die im Jahr 2018 in Nürnberg ausgebeutet wurden". Was diese Ausbeutung bedeuten kann, machte sie ebenfalls deutlich: Wenn etwa Prostituierte ihren Lohn nicht behalten dürften, kein Handy zur Verfügung hätten und es ihnen verboten werde, ihre Unterkunft zu verlassen, seien das Indizien für Ausbeutung.
20 Fälle, 20 Mal eingestellt
Dass seit Anfang des Jahres auffällig viele junge Nigerianerinnen ihre Dienste als Prostituierte anbieten, liege an einem veränderten Zuteilungsschlüssel für Flüchtlinge. Seit Jahresbeginn werden auch Nigerianerinnen in die nordbayerischen Aufnahmestellen, etwa nach Zirndorf, vermittelt, vorher waren diese Frauen ausnahmslos in München untergebracht.
Von "20 Fällen seit Jahresbeginn" berichtete Staatsanwalt Engl, "alle nach demselben Muster". Die Afrikanerinnen reisen über Italien oder Spanien nach Europa, kommen dann Jahre später nach Deutschland. Übrigens: Alle 20 Verfahren mussten mittlerweile wieder eingestellt werden. Mangels Beweisen.
Schon länger seien Frauen aus Osteuropa als Zwangsprostituierte in Nürnberg anzutreffen, sie stammen vor allem aus Bulgarien, Ungarn und Rumänien. Neben der Zwangsprostitution gebe es auch immer wieder Fälle von Zwangsverheiratung, ergänzte Tabea Doll von Jadwiga. In Nordbayern seien 2018 rund 80 Fälle registriert worden. Dabei handele es sich aber nur "um die Spitze des Eisbergs", verwies Ermittler Engl auf die hohe Dunkelziffer.
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