Zwangsversteigerung: Die einen leiden, andere freut's

14.5.2013, 13:00 Uhr
Zwangsversteigerung: Die einen leiden, andere freut's

© Sabine Göb

Kurz nach halb 11, ein schmuckloser, schlichter Raum mit türkisgrünen Metallfenstern und blauen Stühlen an der Flaschenhofstraße. Wer eintritt, mustert offen oder verstohlen die anderen, die schon sitzen und sich – betont lässig – flüsternd miteinander unterhalten. Vor der erhöhten Richterbank ist seitlich ein Platz mit zwei Stühlen für den Gläubiger. Meistens besetzt durch die kreditgebende Bank und deren Anwalt.

Eine junge Frau stürzt aufgeregt auf den dort sitzenden graumelierten Herrn zu und wedelt mit einem Kontoauszug. „Ich habe gestern die Sicherheitsleistung überwiesen, hier, sehen Sie!“ Der Herr blickt kurz darauf, dann schüttelt er den Kopf. Der Anwalt fordert eine gültige Sicherheitsleistung ein.

„Die Sicherheitsleistung beträgt zehn Prozent des festgesetzten Verkehrswerts, man kann sie entweder mit Bürgschaft einer Bank oder Sparkasse, einer Überweisung zur Justizkasse oder einem erst vor kurzem von einer Bank ausgestellten Bundesbank- oder Verrechnungsscheck nachweisen“, erklärt Rechtspfleger Uwe Fleischmann, der seit fast 20 Jahren in diesem Geschäft ist.

„Die Überweisung sollte aber etwa drei Wochen vor der Versteigerung erfolgen, denn die Justizkasse muss jede genau zuweisen.“ Eine eingebaute Hürde, um Spaßbieter von ernsthaften Interessenten zu unterscheiden und spontane Käufe zu verhindern. Denn Zwangsversteigerungen sind Auktionen und dabei heizen sich Bieter gern gegenseitig an. Durchaus erwünscht, denn für den bisherigen Eigentümer geht es um viel, er soll möglichst einen ordentlichen Erlös für sein Haus oder die Wohnung bekommen, damit er die aufgelaufenen Schulden bezahlen kann.

„Zur Zwangsversteigerung führt ein langer Weg, da kommen meistens mehrere Probleme zusammen, damit es soweit kommt“, ist die Erfahrung von Michael Kopper, Projektmanager beim Baukonzern Schultheiß. „Normalerweise bettelt ein Gläubiger darum, dass der Schuldner ihm irgendwas gibt und es nicht zur Vollstreckung kommt, denn dabei verliert auch die Bank meistens viel Geld.“

Die Rechtspflegerin mit ihren beiden Assistentinnen betritt Saal 109 an der Flaschenhofstraße. In schwarzer Robe verliest sie, dass eine Zweizimmer-Wohnung zum Aufruf kommt, festgesetzter Verkehrswert 39500 Euro. Nach etlichen rechtlichen Hinweisen schaut sie auf die große Uhr an der Wand. „Es ist 10.49 Uhr, die Bietzeit endet um 11.20 Uhr.“ Im Raum sehen sich alle verstohlen an, die junge Frau mit der verspäteten Überweisung läuft noch mal zum Anwalt der Gläubigerbank. Eine Gerichtsassistentin macht sich auf und schaut den aktuellen Posteingang nach, ob das Geld doch noch eingegangen ist.

Eine ältere Dame geht ruhigen Schrittes nach vorn, 25000 Euro lautet ihr Gebot. Sie hat den beglaubigten Scheck ihrer Bank dabei, gelassen gibt sie ihre persönlichen Daten der Schriftführerin zu Protokoll. Zwei Frauen lassen sich das Gutachten über die Wohnung zeigen, es macht die Runde unter einigen der 15 Besucher. Ein ältere Herr erzählt laut flüsternd von den Schnäppchen, die seine Bekannten hier angeblich schon gemacht haben.

„Man muss sich vorher sehr genau informieren, welche Nebenkosten und Belastungen auf der Immobilie liegen“, widerspricht Anwältin Iris Harff energisch dem Schnäppchenjäger. „Was im ersten Moment billig aussieht, kann sich wie ein lumpiges T-Shirt nach zwei Wäschen als Mist entpuppen. Die Wohnung kann verwahrlost sein, kann Schrott sein, in den Sie erst mal viel Geld investieren müssen.“ Denn das Gutachten ist meistens schon einige Monate alt, bis es zum Versteigerungstermin kommt. Und etliche Eigentümer lassen den Gutachter auch gar nicht mehr hinein, machen auch keinem Interessenten die Tür auf und den Vertretern der Bank schon gar nicht. „Kein Kontakt zum Eigentümer möglich, Eigentümer abgetaucht, trotz eines vereinbarten Termins war niemand am Objekt anzutreffen“, heißt es dann lapidar.

Häuser wegen dreistelliger Summen versteigert


„Viele stecken den Kopf in den Sand, wenn Briefe von der Bank oder anderen Gläubigern kommen und sie eigentlich reagieren und kooperieren müssten“, sagt Michael Kopper. Am Anfang stehen meist ein, zwei unbezahlte Kreditraten, die ersten Mahnungen. Auch unbezahlte Rechnungen aus anderen Kreditkäufen können sich auftürmen, wenn der Job weg ist oder die Ehe in die Brüche geht. „Wir haben schon wegen dreistelliger Eurobeträge versteigern müssen“, erinnert sich Rechtspfleger Fleischmann.

Die Justiz versucht in diesen Fällen, im Vorfeld den Schuldnern die Konsequenzen klarzumachen und die Versteigerung wegen Kleinbeträgen zu verhindern. „Wir sind nicht der Büttel der Banken“, betont der Rechtspfleger. Aber wenn ein sogenannter vollstreckbarer Titel vorliegt, dann darf der Gläubiger sich aus dem Vermögen seines Schuldners „befriedigen“, wie es im Juristendeutsch heißt. Der Gläubiger ist der „Herr des Verfahrens“. Dabei mahlen die Mühlen der Justiz hier bewusst langsam, im Regelfall dauert es in der Region etwa ein Jahr von den ersten Mahnungen bis zur Zwangsversteigerung.

Denn bei dieser Ultima Ratio verlieren fast alle Beteiligten. Der Schuldner hat danach oft noch hohe Schulden, weil das Häuschen weniger einbringt, als er vorher ausgegeben hat. Die Bank bleibt auf etlichen der Schulden sitzen, weil nach der Versteigerung nichts mehr zu holen ist.

Und der neue Eigentümer kann zwar unter Umständen zu 60 oder 70 Prozent des festgelegten Verkehrswertes kaufen, aber er weiß nicht, was er da kauft, und muss noch sehen, dass er die bisherigen Bewohner losbekommt – denn Kauf bricht Miete nicht. „Derzeit ist die Zahl der Versteigerungen rückläufig, sehr viel wird vorher noch frei verkauft“, beobachtet Gerhard Tiefenthaler, dessen Firma Kataloge über Auktionen zusammenstellt und an Interessierte wie Makler verkauft. „Viele Versteigerungen werden gerade kurzfristig abgesagt, weil sich doch noch ein Interessent gefunden hat.“ Er rät, auf jeden Fall zu versuchen, in das Objekt vorher  hineinzugehen und es sich anzuschauen.

Auch die Nachbarschaft zu befragen, lohne sich – und, sich ein Bild der derzeitigen Verhältnisse zu machen. Ein Rat, den auch Michael Kopper mehrfach wiederholt. „Sie wissen ja nicht, ob der gefrustete Eigentümer noch mit dem Baseballschläger durch die Wohnung geht, bevor er raus muss.“ Denn für ihn endet meistens der ganz große Traum vom eigenen Heim, in das er einst mit großen Hoffnungen und einer vermeintlich gesicherten Finanzierung eingezogen war.

„Sie kaufen schon die Katze im Sack“, warnt auch Rechtspfleger Fleischmann. Die ältere Dame in Zimmer 109 lässt sich davon nicht abhalten. Fünf Minuten vor Ende der Bieterstunde erhöht sie mit ruhiger Stimme ihr Gebot auf 30000 Euro. Der Anwalt der Gläubigerbank nickt leise, die Rechtspflegerin fragt nach, ob noch jemand mitbieten möchte. Um 11 Uhr und 21 Minuten verkündet sie den Zuschlag: zum Ersten, zum Zweiten – und zum Dritten. Kein Hammer fällt, als die Zweizimmer-Wohnung in dieser Sekunde eine neue Eigentümerin bekommt. Und in diesem Augenblick kann noch niemand wissen, ob es ein Schnäppchen war oder ob sie Schrott ersteigert hat, mit dem sie sich herumärgern wird.
 

 

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