Zwei Gewerkschafter machten Politik
16.9.2010, 11:01 UhrIhre Gewerkschaft hatte große Zeiten in Nürnberg, im Wirtschaftswunderjahr 1961 etwa, als 94000 Menschen in der Metallindustrie malochten. Und harte Zeiten, als der Strukturwandel alte Traditionsbetriebe dahinzuraffen begann. Victoria, Ardie, Camerawerke Braun, Herkules, Zipp oder Steib, diese Namen stehen für den Niedergang der Branche. Auch das Lubeca-Werk am Schleifweg, in dem Blechdosen hergestellt wurden und in dem Paul Ruppert seine Ausbildung zum Werkzeugmacher absolvierte, ist längst verblichen.
Eigene Kapitel sind der Nürnberger Zweirad-Industrie und dem Motto "Nürnberger Tand" gewidmet; die Passagen über die gewerkschaftliche Bildungsarbeit, die Jugendarbeit, die Entwicklung der Betriebsratswahlen und der Vertrauensleute-Arbeit sind so trocken wie umfassend beschrieben. Zeitgeschichte ist das allemal, wer am Thema wissenschaftlich forscht, der findet hervorragende Quellen, Fotos und Diagramme. Im "selbstverständlichen Gleichklang" sei das 300-Seiten-Werk über die Zeit von 1945 bis 1983 entstanden, sagen die Autoren bei der Buchvorstellung vor Betriebsräten im Museum Industriekultur - und wirken so harmonisch wie ein gemeinsam alt gewordenes Ehepaar.
Für Gewerkschaftsarbeit sei das leider nicht der Normalfall, deuten sie an. Da gehöre Auseinandersetzung leider zum Geschäft. Beide haben viel zu erzählen. Horst Klaus war von 1974 bis 1983 1. Bevollmächtigter der IG Metall, Paul Ruppert leitete die Organisation von 1978 bis 1992. Dass es in dieser Zeit bei weitem nicht nur um Lohngruppen, um Arbeitszeiten und Ausbildungsgesetze ging, wird klar, wenn Klaus vom Ostermarsch nach London berichtet, an dem er als einer von sechs deutschen Jung-Metallern teilnahm. Schon bald nach dem Krieg hatte der Kampf gegen die Remilitarisierung der Bundesrepublik begonnen. Die Kampf-dem-Atomtod-Bewegung, die Notstandsgesetze, der Einsatz gegen Rechtsextremismus und die Friedensbewegung fanden auch in der Nürnberger Gewerkschaft Unterstützung.
Das Podium schwankte
Im ebenfalls dem Strukturwandel zum Opfer gefallenen ehemaligen Tafelwerk, das heute das Industriekulturmuseum beherbergt, berichtete Horst Klaus von recht originellen Störfällen. 1968, als die Studentenrevolte losbrach, hätten Chaoten eine IG-Metall-Veranstaltung zum Berufsausbildungsgesetz aufgemischt. Nicht nur, dass den Funktionären aus Wassereimern gerissene Blumensträuße um die Ohren flogen: "Plötzlich merkte ich, wie das Podium unter meinen Füßen zu schwanken begann", erinnert sich Klaus. Die Protestler hatten sich schon vor Beginn unter den hölzernen Gestellen versteckt, die sie dann unvermutet anhoben. Kurze Porträts erinnern an prominente Nürnberger Gewerkschaftsakteure. Jean Inselsberger, Otto Kraus, Hans Perl, Karl Schmidbauer und Walter Ranzenberger gehören dazu.
Ausführlicher kommen die beiden Autoren zu Wort, deren politische Lebensläufe die Nachkriegs-Arbeiterbewegung spiegeln. Spannend, wenn Paul Ruppert schildert, wie ein Autohaus prompt die Lackiererei schloss, als dort ein Betriebsrat aktiv wurde. Oder wie ein Elektronikkonzern eine Betriebsversammlung in einem angemieteten Kino partout auf Band aufnehmen wollte und am Widerstand der Beschäftigten scheiterte.
(Klaus Ruppert und Horst Klaus, "Frieden - Arbeit - Menschenwürde: Leben für die Zukunft", VSA-Verlag Hamburg)