Haikus und Kulinarisches

Zwei Schmankerl zum Finale der Schwabacher LesArt

14.11.2018, 13:10 Uhr
Zwei Schmankerl zum Finale der Schwabacher LesArt

© Fotos: Robert Schmitt

Eine Kriminalgeschichte, in dem ein Schinken die Hauptrolle spielt. Ein Buch, dessen Titel einem das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt. Originalrezepte aus Spanien, die Tapas und Paella auf den heimischen Tisch bringen: Mit "Spanische Delikatessen" hat Catalina Ferrara einen Roman geschaffen, der zweierlei vereint: Eine perfekte Grundlage für die kulinarische Lesung der LesArt und eine individuelle Stadtführung durch Barcelona.

Die Autorin ist zwar nicht dort geboren, was ihr Name durchaus nahelegen könnte. Er ist indes ein Pseudonym. Eva Siegmund ist 1983 in Bad Soden geboren, lebt hauptsächlich in Berlin, kennt Barcelona aber dennoch bestens. Immerhin hat sie dort 15 Monate gewohnt und verbringt heute noch jedes Jahr viel Zeit in der Hauptstadt Kataloniens.

"Heiß und fußläufig", so charakterisiere sie ihre zweite Heimat, erklärte Moderator Emil Heinlein, der die Autorin und das im März erschienene Buch vorstellte. "Ein Barcelona-Krimi bester Güte, ein feiner Genuss nicht nur wegen des Delikatessengeschäfts, das zu einem der Zentralorte der Geschichte wird", erklärte das CSU-Stadtratsmitglied.

Menschlicher Schinken

In der Tat. Denn dort wird ein Schinken mit einer irritierenden Aufschrift entdeckt. "100 % Carne humana" verkündet das Brandsiegel auf der Schwarte, was nichts anderes bedeutet als "100 Prozent Menschenfleisch" und ein außergewöhnliches Kommissaren-Duo auf den Plan ruft.

Karl Lindberg hat bei der Berliner Kriminalpolizei gearbeitet. Seiner spanischen Frau zuliebe lebt er nun in Barcelona. Ihr Bruder Alex Diaz ist ebenfalls Gesetzeshüter. Den deutschen Schwager stellt er kurzerhand als seinen Praktikanten vor. Schon ist das Paar mittendrin in spannenden Ermittlungen, die zunächst ins Labor der Kriminaltechnik führen. Dort stoßen sie auf skurriles Personal mit seltsamen Riten. Der Chef heißt wie ein berühmter Fußballtrainer: Guardiola.

Seine beste Mitarbeiterin ist Luisa. Per Gen-Analyse kann sie die Richtigkeit der Aufschrift bestätigen. Was nun? Der Schinken landet folgerichtig auf dem Seziertisch. Leiterin der Gerichtsmedizin ist eine winzige Chinesin, in die sich Alex sofort unsterblich verliebt.

Fleißig und diszipliniert

Eva Siegmund ist im Goldenen Stern stark gefragt. Sie signiert zahlreiche Bücher und erzählt aus ihrem Leben. Nach dem Abitur hat sie in München eine Ausbildung zur Kirchenmalerin absolviert, danach Jura studiert und als Lektorin gearbeitet. Sie kennt den Literaturbetrieb also schon von der anderen Seite.

Als Autorin ist sie fleißig und diszipliniert. "Drei bis vier Bücher pro Jahr muss ich schaffen", sagt sie. Das deutsch-spanische Kriminalisten-Paar will sie zu einer Reihe ausbauen. Der zweite Teil ist bereits fertig und kommt im März auf den Markt. Den dritten will Eva Siegmund bald beginnen. "Ich war die letzten Wochen etwas faul", sagt sie selbstkritisch. Siegmund gilt als Meisterin kriminalistischer Spannungsbögen, deren Ausgangspunkte sie bei den Lesungen zwischen den Gängen des Menüs von Küchenmeister Dieter Trutschel liest. Der Chef des "Goldenen Sterns" hatte sich beim Urlaub auf Ibiza mit der spanischen Küche vertraut gemacht. Paella mit Gambas, Muscheln, Hähnchen und Safranreis bilden den Hauptteil. Tapas und Aioli gibt es vorneweg. Höhepunkt ist das Dessert. Bei der Crema Catalana, einer Süßspeise aus Milch und Eigelb mit fester Karamellschicht, sowie den Paneletts, hellbraunen Bällchen aus Mandeln und Süßkartoffeln, hat sich Trutschel wahrlich selbst übertroffen. Eine Speisenfolge als stimmige Komposition. Schließlich hätte das Publikum Teile vom großen Iberico, wie man die überdimensionalen Schinkenteile in Barcelona nennt, an diesem Abend gewiss nicht als spanische Delikatesse empfunden.

Jazz und Lyrik

Ein "Grande Finale" wie es die LesArt in Schwabach selten erlebt hat: Jazz und Lyrik haben am Montag im Stadtmuseum den Schlusspunkt hinter ein erneut äußerst erfolgreiches Lesefestival gesetzt. Ingo Cesaro, fränkischer Spezialist der japanischen Gedichtform "Haiku", und das Alfred-Hertrich-Trio haben sich zu einem Gesamtkunstwerk höchster Güte vereinigt.

Zwei Schmankerl zum Finale der Schwabacher LesArt

Ingo Cesaro ist 1941 in Kronach geboren, wo er seit 1975 ununterbrochen lebt. Insbesondere aus seiner Frankfurter Studienzeit ist er von der 68er-Bewegung.

Das zeigt er auch in Schwabach, ehe er sein LesArt-Werk zur Hand nimmt. "Jetzt les’ ich drei politische Gedichte", kündigt er an und wird sofort grundsätzlich. "Eigentlich dürfte man heutzutage nur politische Texte lesen. Denn wir leben in einer Art Wendezeit", ist Cesaro überzeugt. Etwa wie 1968? Jedenfalls bewegt ihn die Selbsttötung eines tschechischen Studenten zur Zeit des Prager Frühlings immer noch. "Ein 19-Jähriger verbrennt sich für die Demokratie in seinem Land." Erschütternd, findet Cesaro. Ebenso erschüttert ist er vom Tod vieler Flüchtlinge im Mittelmeer. "Vor Malta" hat er sein Gedicht dazu genannt. Vor Malta fangen die Fischer Leichen.

Nach einem phantastischen Gitarren-Solo zum Abschluss des ersten Teils erklärt Alfred Hertrich die Grundausrichtung der Musik seines Trios. "Die Texte vertragen nicht zu viel Harmonisches, sondern brauchen ein bisschen Aggressivität, damit Gedanken für bessere Dinge entstehen", so der Jazz-Pionier aus der Oberpfalz, der sich für diesen Auftritt zwei weitere exzellente Musiker an die Seite geholt hat. Der Nürnberger Schlagzeug-Professor Hans-Günter Brodmann zeigt sich als kreativer Klangzauberer. Frantisek Uhlir aus Prag ist für eine melodiöse und abwechslungsreiche Bass-Linie verantwortlich. Hertrich selbst breitet mittels perfekter Improvisationskunst ein Klangspektrum der Superlative aus. Oft ist der Jazz verwoben in die Texte, so dass eine fast meditative Atmosphäre entsteht.

"Eine schöne Leich’": So hat Ingo Cesaro seinen jüngsten Haiku-Gedichtband genannt. "96 Kriminalromane in einem kleinen Bändchen", stellt er sein Werk vor. Jeweils Mord und Totschlag in drei Zeilen zu je fünf und sieben Silben. "Wer soll uns noch lesen?", hätten ihn drei Krimiautoren mit wesentlich umfangreicheren Werken auf der Frankfurter Buchmesse gefragt. 300 Seiten sind für Cesaro ohnehin ein Graus. "Was soll das, wenn sie auf Seite 298 erfahren, was sie bereits seit Seite 30 ahnen?"

Vielen seiner Kriminal-Haikus sitzt der Schalk im Nacken. "Niemals gefunden, – Opfer zwischen den Zeilen. – Lacht Haiku-Mörder." Andere kritisieren das Justiz-System oder nehmen die Polizei und ihre Methoden aufs Korn. Ganz seiner eigenen Maxime folgend, hat er zur Neonazi-Mordserie der jüngeren Vergangenheit einen politischen Haiku kreiert: "NSU-Prozess. – Beweismittel vernichtet. – Nur ein Versehen."

Freund von Günter Grass

Ingo Cesaro ist eine beeindruckende Persönlichkeit. Sein strahlend weißer Pferdeschwanz ist schon fast so etwas wie ein Statement. Mit Günter Grass war er gut befreundet. Der Nobelpreisträger nannte ihn den "wunderbaren Ingo" und "Bruder im Geiste". Er sei "einer der wenige kreativen Verrückten, auf die wir angewiesen sind!, so Grass, der 1977 eigens die Premierenlesung des Romans "Der Butt" nach Kronach gelegt hat, um einem Wunsch Cesaros zu entsprechen. Nicht die einzige Kunstaktion von Rang, die der Dichter, Publizist und Kunstvermittler für seine Heimat auf die Beine gestellt hat.

Er organisiert den "Internationalen Lucas-Cranach-Preis", das Kunstprojekt "HolzART" und hat das Literaturprojekt "Kronach/Bayern – Hauptstadt der Poesie – tausend Gedichte für eine Stadt" angestoßen. Neben Haiku schreibt er auch Gedichte in anderer Form sowie Kurzprosa, Satiren, Szenen und Stücke. Für die Sendung mit der Maus arbeitet er als Autor von Bildergeschichten. Zum Werk Cesaros zählen mittlerweile über 200 Einzelpublikationen.

Selbst in Schwabach ist er kein Unbekannter sein. Zum Stadtjubiläum hat er die Haiku-Schreibwerkstatt "900 Jahre Schwabach – und kein bisschen alt" initiiert. Mittels seiner mobilen Handpresse, wie sie aus der Zeit Gutenbergs bekannt ist, hat er aus den Gedichten der Teilnehmer eine Jubiläumsedition gedruckt.

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