Nürnbergs vergessene Opfer: Stolpersteine gegen Rassenwahn

Ulrike Löw

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21.2.2021, 19:28 Uhr
Nürnbergs vergessene Opfer: Stolpersteine gegen Rassenwahn

© Eduard Weigert, NNZ

Die Akten sind in altdeutscher Schrift verfasst, schon deshalb waren die Dokumente aus dem Staatsarchiv Nürnberg, dem Bundesarchiv Berlin und dem Zentralarchiv Diakoneo Neuendettelsau nicht leicht zu lesen. Leicht zu ertragen war wie Recherche schon gar nicht.

Weltweit erinnern mehr als 75.000 Stolpersteine an jene Männer und Frauen, die in der Zeit des Nationalsozialismus aus unterschiedlichen Gründen deportiert wurden und meist dem Holocaust zum Opfer fielen. In Nürnberg wurden bislang 112 Stolpersteine verlegt – doch bislang wurde noch kein Stein in den Gehweg eingelassen, der an jene Opfer erinnert, die aufgrund einer psychischen Erkrankung zwangssterilisiert oder ermordet wurden.

Ausstellung geplant

Die Schülerinnen und Schüler des Hermann-Kesten-Kollegs wollen dies nun nachholen und die Erinnerung mit den Stolpersteinen wachhalten und mit einer Ausstellung begleiten: Unter dem Druck der Pandemie ging im vergangenen Jahr beinahe unter, dass das städtische Gesundheitsamt seit 100 Jahren besteht, und zu den Aufgaben des Amts in der NS-Zeit auch die "Sicherstellung der Rassenhygiene" gehörte. Auch die Charité in Berlin wurde 100 Jahre und plant aus diesem Anlass eine begleitende Ausstellung.

In den Akten des Staatsarchivs stießen die Schüler beispielsweise auf die Lebensgeschichte einer künstlerisch begabten Gymnastiklehrerin, die immer wieder in Kuranstalten eingewiesen wurde, um sich von einer seelischen Erkrankung zu erholen. Ihre Diagnose "Schizophrenie" war gleichzeitig ein Urteil: Sie sollte sich einer Zwangssterilisation unterziehen, doch dazu kam es nicht. Die Frau wurde Opfer der so genannten Aktion T4, jener systematischen Ermordung von Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen unter der Leitung der Zentraldienststelle T4. Schließlich wurde im "Dritten Reich" das Ziel verfolgt, eine "gesunde Rasse" zu schaffen – ohne Rücksicht auf die Menschenwürde.

Ihr Schicksal ist eines der vielen, das die Schülerinnen und Schüler aus den historischen Akten akribisch recherchierten, der Anstoß kam von zwei promovierten Historikern, der Lehrerin für Geschichte, Maren Janetzko, sowie von Pascal Metzger. Er leitet beim Nürnberger Verein "Geschichte Für Alle" das Referat der NS-Zeit und unterstützt das Projekt der Schule. Denn aus der Arbeit der Schüler sollen Ausstellungseinheiten entstehen, um die Wanderausstellung der Berliner Charité um lokale Informationen zu ergänzen. Zu sehen soll die Ausstellung auch im Memorium Nürnberger Prozesse sein.

Schüler bitten um Mithilfe

Um die Biografien der von Zwangssterilisation und der so genannten Euthanasie betroffenen Menschen zu zeigen, und auch um vor deren früheren Wohnungen in Nürnberg Stolpersteine zu verlegen, ist behutsames Vorgehen gefragt: Um ihre Persönlichkeitsrechte zu wahren, bitten die Schülerinnen und Schüler um Mithilfe.

Wer sich an Arthur Brunner (geb. 04.01.1919), Johanna Deinzer (geb. 25.02.1896), Grete Gräbner (geb. 21.07.1912), Fritz Kissinger (08.05.1905), Margarete, genannt Grete Müller (geb. 30.09.1898) und Wilhelm Stellwag (geb. 31.12.1894) erinnern kann, oder sogar Verwandte von den Betroffenen kennt, soll sich bitte unter 0911/216-2582 (Nürnberger Nachrichten) oder unter 0911/3073615 (Geschichte Für Alle) melden.

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