Corona-Statistik

Pandemie der Ungeimpften: Warum sich aus der Inzidenz nicht alles ableiten lässt

André Ammer

Region und Bayern

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6.9.2021, 06:00 Uhr
Pandemie der Ungeimpften: Warum sich aus der Inzidenz nicht alles ableiten lässt

© Blatterspiel/imago images

Seit Kurzem werden in Bayern und in einigen anderen Bundesländern die aktuellen Infektionszahlen auch getrennt aufgeschlüsselt - in die Sieben-Tage-Inzidenz der Ungeimpften und in die Inzidenz der vollständig Geimpften. Vor drei Wochen machte das bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) diese Statistik erstmals publik, die nun einmal pro Woche aktualisiert wird.

Und es ist wenig überraschend, dass die präsentierten Werte gewaltig auseinanderklaffen. So lagen die Inzidenzen zum Stichtag 25. August bei 110,55 (Ungeimpfte) und 9,18 (Geimpfte), eine Woche später waren diese Werte auf 158,75 und 11,27 gestiegen.

"Mathematisch komplett falsch"

Kritiker wenden jedoch ein, dass man diese Werte unmöglich eins zu eins ins Verhältnis zueinander setzen könne. Schließlich würden Menschen mit vollständigem Impfschutz deutlich seltener getestet als Menschen ohne Immunisierung. "Das ist mathematisch komplett falsch dargestellt", kritisiert ein Leser, und in den sozialen Netzwerken meldeten sich in den vergangenen Tagen zahlreiche User zu Wort. Unter anderem von einer Stigmatisierung von Ungeimpften war da die Rede und von Fake-Statistiken, die für eine Impfpflicht durch die Hintertür instrumentalisiert werden würden.


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Diesen Vorwurf weist das bayerische Gesundheitsministerium entschieden zurück. "Es gibt keine Covid-19-Impfpflicht", betont eine Ministeriumssprecherin, weist in diesem Zusammenhang aber auch auf die Tatsache hin, dass aktuell rund 85 Prozent der Covid-19-Patienten in den bayerischen Krankenhäusern ungeimpft sind. Und laut dem Wochenbericht des Robert Koch-Instituts vom 26. August seien in ganz Deutschland im Zeitraum 26. Juli bis 22. August 91,2 Prozent der Covid-19-Intensivpatienten nicht oder nicht vollständig geimpft gewesen. "Wer sich gegen eine Impfung entscheidet, muss auch wissen, dass Epidemiologen davor warnen, dass sich die meisten Ungeimpften infizieren werden - mit allen möglichen Konsequenzen", heißt es in einer Stellungnahme des Gesundheitsministeriums.

Mit der Gegenüberstellung der beiden Inzidenzen wollen die Verantwortlichen "den Bürgerinnen und Bürgern eine klare Vorstellung der Wirksamkeit der Impfung geben". Für eine Entscheidung für oder gegen eine Impfung hätten diese Zahlen sicher mehr Gewicht "als eine allgemeine Inzidenz, die ungleich niedriger ausfällt".

LGL räumt "Limitationen" ein

Gleichwohl räumt das LGL auf seiner Homepage ein, dass "die Auswertungen verschiedenen Limitationen unterliegen, die bei der Interpretation dieser Inzidenzwerte zu berücksichtigen sind". So würden Informationen zu Impfungen möglicherweise nicht schon zum Zeitpunkt der ersten Fallmeldung vorliegen, sondern erst im Rahmen weiterer Fallermittlungen erhoben und dann nachgetragen beziehungsweise aktualisiert. Dennoch ermöglichen die erhobenen Daten laut LGL generelle Aussagen "zum Verhältnis der Betroffenheit zwischen der geimpften und der ungeimpften Bevölkerung".

Die getrennt aufgeschlüsselten Sieben-Tage-Inzidenzen belegen aber auch, dass selbst eine vollständige Impfung keinen hundertprozentigen Schutz vor Covid-19 bietet. Zum Stichtag 3.September hatte das bayerische Gesundheitsministerium von insgesamt 3537 sogenannten Impfdurchbrüchen Kenntnis - also von Personen, die sich trotz vollständigem Impfschutz nicht nur mit Sars-CoV-2 infiziert haben, sondern auch Krankheitssymptome zeigten. 215 dieser Opfer von Impfdurchbrüchen wurden in ein Krankenhaus eingeliefert, bei zwölf Personen war und ist eine intensivmedizinische Behandlung nötig.


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In der Regel sind die Krankheitsverläufe bei Menschen mit komplettem Impfschutz jedoch milde. "Wenn jemand in so einem Fall behandelt werden musste, dann waren das Patienten mit Immunschwäche", berichtet Julia Peter vom Klinikum Nürnberg. Die meisten anderen Opfer von Impfdurchbrüchen hätten aufgrund der vergleichsweise milden Symptome ambulant versorgt werden können.

Durchbruchinfektionen sind unter anderem bei Krebs- oder Transplantationspatienten möglich, aber auch bei älteren Menschen mit einem geschwächten Immunsystem. Von den erwähnten 215 geimpften Menschen in Bayern, die bislang wegen Covid-19 stationär im Krankenhaus behandelt werden mussten und müssen, sind 133 über 80 Jahre.

Hohe Dunkelziffer

Im Vergleich zu den Impfdurchbrüchen ist die Quote der von einer Covid-19-Erkrankung genesenen Personen, die Opfer einer bestätigten Reinfektion wurden, deutlich niedriger. Von bislang über 700 Fällen hatte das LGL vergangene Woche Kenntnis, doch hier muss man von einer ziemlich hohen Dunkelziffer ausgehen. Wer nicht unter irgendwelchen Krankheitssymptomen leidet, lässt sich im Regelfall nur testen, wenn er muss. Und das ist - wie eingangs erwähnt - im Vergleich zu Ungeimpften deutlich seltener der Fall.

Unter anderem bei vielen ungeimpften Reiserückkehrern wurden in den vergangenen Wochen Corona-Infektionen festgestellt, doch dem LGL wurde auch eine ganze Reihe von Reinfektionen gemeldet. Insgesamt rund 140 bestätigte Fälle waren es Ende vergangener Woche.

Alles in allem ist laut dem Gesundheitsministerium eine Untererfassung von Infektionen und Reinfektionen bei Geimpften und Genesenen denkbar, quantifizieren lasse sich das jedoch nicht. Dennoch würden die Inzidenzen eine klare Sprache sprechen: "In Bayern herrscht eine Pandemie der Ungeimpften", heißt es abschließend in der Stellungnahme des Ministeriums.

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