Fort aus Kasachstan, Sibirien — und dann?

4.11.2011, 12:34 Uhr
Fort aus Kasachstan, Sibirien — und dann?

© Privat

Gegründet wurde der Aussiedlerkreis im Jahr 2001 von Karin Weiss und Dorina Bauer. Karin Weiss machte mit, weil sie „immer schon großes Interesse an Menschen und anderen Ländern“ hat. Dorina Bauer ist Betroffene, aus Siebenbürgen. Eine Tante von ihr landete zum Beispiel im rheinischen Siegen, wo sich niemand um Fremde kümmert, wo keine Kirche anklopft.

Diese Tante war einmal bei ihr in Pegnitz und bewunderte die gute Integration. „Da hab ich mich dran erinnert, wie schwer es bei mir war, in Mainbernheim“, sagt Dorina Bauer. „Ich sagte zu meiner Tante: ,Das können wir hier in Pegnitz besser als bei euch in Siegen.‘ Und Karin Weiss war die erste Person, die ich hier getroffen hatte.“ Zusammen packten sie an.

Ihr Aussiedler-Treff besichtigte Ämter und machte mit Mülltrennung vertraut. Er erklärte das Schulsystem und die Stadt, die Kirche und alle Feste. Es gab Ausflüge bis nach Coburg und Dresden.

Auch der Bürgermeister sah vorbei. Er war genau wie Karin Weiss von den Biographien dieser Frauen beeindruckt, die zum Beispiel 27 Jahre in einem Lager waren, nur weil sie deutschstämmig sind. „Daheim“, sagt Dorina Bauer, „wurden wir als Hitler-Anhänger beschimpft.“

Helene Dippel weiß noch, wie heimlich ihre Oma die deutschen Bräuche weitergeben musste, wie zu Weihnachten und Ostern die Fenster zugehängt wurden. „Diese Feste durfte keiner sehen.“ In ihrem Dorf gab es auch keine Kirche. Niemand konnte laut sagen, dass er zuhause in der Bibel las.

Sie hatte in Omsk für das Lehramt in Deutsch und Englisch studiert. Dann kam das große Glück, dass ihre Eltern und zwei Geschwisterfamilien, alle mit wolgadeutschem Ursprung, gleichzeitig an einem Tag ausreisen konnten. Heute ist sie immer noch an jener Stelle, die sie dann im Buchauer Kindergarten fand, und ist glücklich dort. Ihre Tochter schloss inzwischen mit besten Noten ein Arztstudium ab und ihr Sohn arbeitet als Optiker in Bayreuth.

Bei den zwei Kindern von Dorina Bauer war der Weg schwieriger, weil die verwitwete Lebensmitteltechnikerin bei ihrer ersten Anlaufstelle in Würzburg, einem psychiatrischen Dienst, zwar vier Monate lang „wie von innen durchleuchtet“ wurde („es war furchtbar“), aber keinen praktischen Hinweis bekam: Welche Schulsysteme gibt es? Muss ich auf Sozialhilfe sitzen bleiben?

Glücklich in Pegnitz

Dorina Bauer kam dann durch einen zufälligen Tipp „Mesner gesucht“ nach Pegnitz. Erst hier sortierten sich die Wege ihrer Töchter, sechs und zwölf Jahre alt. Die jüngere hat inzwischen drei Ausbildungen und arbeitet jetzt im Krankenhaus in der Dialyse. Die ältere wurde von ihrer Hauptschullehrerin dringend an die Realschule empfohlen und ist jetzt Schwester im Brigittenheim. „Wir sind für alles, wie es gekommen ist, sehr dankbar“, sagt die Mutter.

Sie selbst war zehn Jahre Mesnerin und ist jetzt Pfarrfrau in Lindenhardt. Sie schult sich gerade, um in Pegnitz wieder Meditationsabende einzuführen.

Noch einen Lebensweg aus diesem Aussiedlerkreis stellt Karin Weiss vor: Den von Elena Drotleff. Sie kommt fast aus dem gleichen Eck in Siebenbürgen wie Dorina Bauer. Beide besuchten die gleiche Schule, nur um zehn Jahre versetzt. Und sie erlebten, wie vage geduldet ihr Christentum unter Ceaucescu war, welches die Nachfahren der 50 Familien von Rhein und Mosel hier seit 850 Jahren aufrecht hielten.

Elena Drotleff kam vor knapp 20 Jahren nach Bayern, in die Nähe von Schwandorf. Irgendwie hörte ihr Mann von einer Stelle in der Buchauer Bäckerei. Im Kleinbus nach Pegnitz saßen dann auch ihre beiden Kinder, zwei Monate alt und knapp zwei Jahre. Der ältere studiert jetzt an der Hofer Fachhochschule Betriebswirtschaft, der jüngere begann gerade nach der FOS eine Kaufmannslehre in Pegnitz.

Beste Nachbarn

„Es war anfangs schwer, aber man kannte es nicht anders“, blickt Elena Drotleff zurück. Sie preist auch das große Glück mit den Nachbarn: Die Karaseks wurden zu „top“ Oma und Opa für ihre Kinder.

Karin Weiss hört viele solcher Schicksale. „Ich bewundere es, wie die Frauen diesen ganz neuen Lebensabschnitt wagen. Hier in unserem Kreis haben sie dafür Freundinnen gewonnen.“

Helene Dippel bestätigt die herzliche, geschwisterliche Atmosphäre. „Wir dachten ja nach diesen zehn Jahren: ,Ziel erreicht!‘ Aber alle wünschen, dass wir weiter machen. Vor allem die Alleinstehenden kommen gern. Sie ziehen sich extra schick an für diesen Abend, sagen sie.“

Der Treff ist bewusst auch eine Sprachschule. Karin Weiss hat sowieso eine kleine „Trainingsgruppe“ ausgekoppelt für besseres Deutsch. Aber sie achtet beim Treff auch auf Spiele, wo jeder etwas sagen muss. Oder sie lässt sich von Zuhause Dinge mitbringen, die dann in der Gruppe erklärt werden müssen.

Jüngst ging der ganze Kreis in den Wald, um die deutschen Forst- und Pflanzennamen zu lernen. „Viele sind so schüchtern. Aber bei uns müssen sie deutsch sprechen.“

Der Aussiedlerkreis trifft sich an jedem dritten Mittwoch eines Monats (19 Uhr) im evangelischen Gemeindehaus. Willkommen sind alle Nationalitäten, auch aus Thailand oder Kosovo.

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