Glücklich unterm blauen Himmel im kleinen Lehnershof
7.2.2016, 07:28 Uhr„Ich bin zwar in Auerbach geboren“, sagt Betty Regn, „aber ich möcht nimmer auf Auerbach.“ Und Kunigunda Graf, die Dorfälteste und „Bürgermeisterin“, wie sie von Ludwig Regn bezeichnet wird, heiratete von Mosenberg her und sagt rigoros: „Ich will dau nemmer weg. Dau hat mer sei Rouh! In Nürmberch rumpelt einen ja dauernd wer aa. Därfst dich dauernd entschuldigen.“
Die „Kuni“ ist Mitte 70 und gradan, immer mit Schalk in den Augen. Mit ihrem Auto düst sie hierhin und dorthin, voll im Vereinsleben integriert, oder schaut gern beim neuen „Grenzzoigl“ in Ranna vorbei, wo sich die Gäste stauen, wenn Musik ist. Sie hat drei Kinder und acht Enkel. Zwei dieser Enkel wohnen mit am Hof. „Wir sind die vierte Generation Graf!“
Ihre Mutter und der Vater von Ludwig Regn waren Geschwister. Insgesamt waren es vier Kinder. Ihr Großvater Johann Georg Regn hatte eine Barbara Kleppmann aus Höfen vom „Schmiebauern“ geheiratet. Sein Vater Andreas war sogar einmal der Bürgermeister. Mit seiner Frau, die aus Hagenohe stammte, hatte er sieben Kinder. Der Vater von Andreas, Joseph, hatte sich hier in Lehnershof als Erster der Familie angesiedelt.
1909 übernahmen Großvater Regn und sein Bruder Friedrich den Hof. Aber mit Friedrich wurde es dramatisch, wie Kuni Graf erzählt. Denn er heiratete zunächst nach Höfen, wo die Familie seiner Frau Margarete Lederer einen Bauernhof hatte. Dann wurde er zurückgeholt und baute neben dem Elternhaus neu. Doch ein Jahr später starb er und ein Jahr später auch der kleine Sohn.
„Was das für die Margarete bedeutet hat“, sagt Kuni Graf voller Mitgefühl. „Als junge Frau mit den Kindern so allein dastehen!“ Zwar halfen ihr die Geschwister, aber es war ein hartes Leben. Ihre ältere Tochter Anna heiratete später Franz Graf aus Hannesreuth und bewirtschaftete mit ihm den Bauernhof. Die zweite Tochter Katharina heiratete den Landwirt Georg Strobl aus Unterbrand.
Verwandt mit Reagan?
Von all den Kindern dieser Epoche nach 1920 ist heute ungefähr bekannt, wie sie sich später im Umland und bis nach Nürnberg ansiedelten. Aber es gab einen Jungen, genannt „der Pächter“, von dem nie gesprochen wurde und der in Amerika verschollen ist. Kuni Graf und Ludwig Regn scherzen, dass er dort die Familie von Ronald Reagan (= Regn) begründet haben könnte, denn die Mutter von Kuni erzählte immer, dass er genau wie ein „Regn“ aussieht.
Kuni Graf forscht gern in der Historie. Sie ist froh, dass Joseph Köstler in seiner Geschichte von Auerbach ein Kapitel dem Lehnershof widmete. Er fand zum Beispiel heraus, dass der Ortsname von einem Ulrich Lehner stammt, der 1475 das Recht bekam, Wald zu roden und ein Haus zu bauen. Dafür musste er aber viel ans Auerbacher Steueramt zahlen, darunter jährlich eine Fasnachthenne, 30 Ostereier und sechs Pfingstkäse.
1618 ist der Weiler im Auerbacher Salbuch detailliert beschrieben, und zwar mit einem großen und einem kleinen Hof, dem „Kronachergütl“. Dieses bestand noch bis vor ein paar Jahrzehnten, quasi als Austragstüberl der Ur-Großmutter von Ludwig Regn.
Der 30-jährige Krieg brachte dann die völlige Zerstörung. Über zwei Jahrzehnte verödeten die Felder. Von 1657 bis 1851 folgte eine Familie Krieger als Pächter des Lehnershofs. Anschließend kaufte die Familie Regn alles. Sie baute 1881 neu, eventuell wegen einer Feuersbrunst.
Es folgten die beiden Weltkriege. Ludwig Regn erzählt, wie sein Vater immer gespannte Zuhörer am Tisch hatte, wenn er von seinen Erlebnissen in Russland, Italien und Frankreich berichtete. Er selbst fand beim Abriss des alten Elternhauses, dessen brüchiger Giebel schon schwankte, die Hülse einer Fliegerbombe.
Ludwig Regn konnte den Bauernhof lange halten, aber irgendwann waren die 14 Hektar zu wenig. „Da hast du überhaupt keine Überlebenschance.“ Der letzte Bulle wurde abgegeben und 2000 die letzte Kuh aus dem Stall getrieben. Damit endete jene lange Zeit, in welcher der „Lennertshuuf“ noch voller Tiere war, mit Rindern, Schweinen, Enten, Gänsen.
Dreimal im Jahr war geschlachtet worden. „Auf den Sommer wurde da keine Rücksicht genommen“, so Ludwig Regn, „da haben sie einfach alles gesalzen.“
Kuni Graf weiß noch, wie sie als Kind weiße Socken über die Füße gestreift bekam, um das Kraut in den Fässern zu stampfen. „Jeden Samstag ist es abgeschöpft worden. Das hat gestunken! Aber des woarn halt noch schöne Zeitn. Etzert rumpeln s’ alle zum Zug.“
Sie zieht ein Blatt Papier hervor, auf dem sie wie eine begabte Karikaturistin den „Krauthubelkaspar“ und den „Hausschlächter“ verewigte, mitsamt ihren Frauen. Die beiden wohnten bloß ein paar Hundert Meter entfernt auf dem Pechhof. Ein kleines Marterl mitten im Wald zeugt von dieser vergangenen Ansiedlung. Diese Männer zogen im Winter oft über die Höfe und boten ihre Dienste an.
Ludwig Regn musste seinen Hof irgendwann auch zum Nebenerwerb machen. In den letzten zehn Jahren vor der Rente arbeitete er in Ottensoos. Seitdem hilft er ab und zu seinem Sohn Joachim, der auf das Anlegen von Gärten spezialisiert ist, neben seiner Beschäftigung in der Gärtnerei von Regens Wagner in Michelfeld. Seine Frau Melanie arbeitet dort in der Pflege. Ihr Sohn Korbinian (5) ist momentan der zweitjüngste Bewohner von Lehnershof, nachdem Anfang Dezember sein Schwesterchen Theresa auf die Welt kam.
Auch Melanie Regn, die aus Krottensee stammt, ist mit ihrem Leben in diesem Weiler glücklich: „Ich bin froh, dass ich hier nicht so viele Nachbarn hab.“ Ihr Ehemann Joachim ergänzt: „Da schaut wenigstens keiner zum Fenster rein.“
Melanie Regn betont aber, dass es für Korbinian nicht so leicht ist. Denn ihm fehlen die Spielgefährten. Doch oft lädt sie seine Freunde aus dem Auerbacher Kindergarten ein. „Da können sie dann rennen.“
„Man braucht halt immer ein Auto“, sagt sie, „das ist der Nachteil.“
Weitere kleine Nachteile von Lehnershof sind die Raser auf der Straße unterhalb. Deswegen ist es immer ein bisschen Harakiri, sicher aus dem Weiler herauszukommen. Die Bewohner wünschen sich sehnlich eine Radarkontrolle, vor allem wegen der schnellen Motorradfahrer.
Die Post braucht oft lang
Der nächste Wunsch ist ein Gehsteig hinüber zur Magdalenenkapelle. Und der dritte Wunsch betrifft die Telefonvorwahl. Denn obwohl der Weiler zu Auerbach gehört, wird er im Neuhauser Telefonbuch geführt. „Wir sind irgendwie Grenzgänger“, lacht Melanie Regn. Sie berichtet, wie lang Briefe unterwegs sind, die jemand mit der Neuhauser Postleitzahl versieht, weil ihn die Vorwahl von Neuhaus dazu verführt. „Das dauert dann zwei Wochen.“
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