Integrationsklasse statt Gastronomie: Pegnitzerin unterrichtete drei Jahre lang Geflüchtete
20.10.2019, 09:55 UhrDeshalb setzte sich Regn für einen Tag in die Flüchtlingsklasse der Berufsschule 1 in Bayreuth. Vorne stand Lehrer Karl-Heinz Dechert und erklärte einem Mädchen, wie ein Taschenrechner funktioniert. So ein Gerät hatte das Mädchen in ihrem Leben noch nicht gesehen. "Er hat die Schüler mit einer unglaublichen Ruhe und Würde unterrichtet", sagt Regn.
Karl-Heinz Dechert war eine Inspiration für Regn und ein erster Anhaltspunkt, wie Unterricht in einer Flüchtlingsklasse aussehen kann. Genaue Vorgaben des Kultusministeriums, insbesondere einen Lehrplan, gab es zu diesem Zeitpunkt nicht. Am 22. Juli 2015, wenige Tage vor Regns Besuch an der Bayreuther Berufsschule, war die Regierung von Oberfranken an die Berufsschule Pegnitz herangetreten: Kann die Schule sich vorstellen, eine Integrationsklasse anzubieten?
Katrin Regn sagte: ja. Und fand im Kollegium fächerübergreifend Mitstreiter, die diese Herausforderung annehmen wollten. "Es war ein Kraftakt, alleine schon die Stundenplanung", sagt Regn, "aber vielleicht habe ich einfach eine neue Herausforderung gesucht." Also war sie gemeinsam mit Kollegin Stefanie Schmidt ab sofort für die Integrationsklasse zuständig.
Faible für "herausfordernde Schüler"
Regns Lebensweg hätte bis dahin auch ganz anders verlaufen können. Die 46-Jährige stammt aus Kirchenbirkig, wo ihre Eltern den Landgasthof Bauernschmitt betreiben. Katrin Regn besuchte das Pegnitzer Gymnasium und machte danach eine Ausbildung in der Gastronomie. Sie zog nach Wiesbaden und arbeitete in einem Schloss, das aus einer Sektwerbung bekannt ist. Sie genoss die Zeit als Gastronomin, "es ist ein toller Beruf, der einem viele Freiheiten lässt. Und man kann ohne Studium schnell aufsteigen".
Das wollte sie aber nicht mehr, der Lehrberuf reizte sie. Deswegen studierte sie in München Lehramt und verbrachte bereits als Referendarin ein Jahr an der Pegnitzer Berufsschule. Und blieb. "Von den angehenden Lehrern wollte keiner nach Nordbayern. Ich schon."
Regn entwickelte schnell ein Faible für die Arbeit mit schwierigen beziehungsweise "herausfordernden Schülern", wie sie selbst sagt. Deshalb gab sie sechs Wochen vor Schuljahresbeginn 2015/2016 die Zusage, sich um die Integrationsklasse zu kümmern. In der ersten Woche waren die Schüler noch zu viert, zwei aus Pakistan und Afghanistan.
Doch als sich die Flüchtlingsunterkünfte in Pegnitz und Betzenstein füllten, wuchs die Schülerzahl schnell an, die Nationalitäten ebenfalls. In Erinnerung blieb Regn, dass "die Schüler anfangs nie ihre Jacken abgelegt haben, als wären sie immer noch auf der Flucht." Endlich in Sicherheit leben zu dürfen, schien ein Gefühl zu sein, an das sich die Schüler erst gewöhnen mussten. Dass vorne an der Tafel eine weibliche Autorität steht, war ebenfalls neu. "Ich wurde aber von Anfang an mit Respekt behandelt", sagt Regn.
Bei manchen Schülern war das Gefühl, weiter auf der Flucht zu sein, nicht bloß Einbildung. Mehrmals kam es vor, dass Schüler im Laufe des Vormittags plötzlich verschwanden und nie mehr zurückkamen. Der Grund: drohende Abschiebung. "In solchen Fällen haben wir bei den Betreuern der Schüler angerufen, aber die meinten, dass der Schüler bestimmt schon nach München unterwegs ist. Für Afghanen war meistens Frankreich das nächste Ziel."
Bewegende Geschichten
Wer blieb, lernte auch, wie man Müll trennt und in welcher Kultur die Deutschen leben. Und Katrin Regn lernte, fast täglich schreckliche Geschichten zu hören und trotzdem Distanz zu bewahren. "Ich habe mich auf die Schule konzentriert, für die Arbeit mit den Schülern außerhalb der Schule gab und gibt es andere Personen." Die Integrationsbeauftragte Veronika Kobert zum Beispiel und Susanne Bauer vom Unterstützerkreis. Anteil nahm Regn trotzdem an den ihr anvertrauten Schicksalen.
"Mein Umfeld hat stark leiden müssen. Ich habe drei Jahre lang fast ständig über meine Schüler gesprochen." Natürlich nie mit Nennung des Namens. Den Schülern erzählte sie dagegen, was über "die Flüchtlinge" gesagt wird. Sie brachte Zeitungsausschnitte mit ins Klassenzimmer und klebte sie an die Wände. Positive Beispiele von Integration, aber auch Berichte über junge Syrer, die in Bayreuth im größeren Stil Hasch verkauften. "Wollt ihr, dass die Leute so über euch denken?", fragte sie dann die Schüler.
Sie sprachen auch über Mamdoh A., der sich Unterlagen für den Bau einer Bombe besorgt hatte und unter ihnen in einer Pegnitzer Flüchtlingsunterkunft lebte. "Das war ein schlimmer Tag", erinnert sich Regn. "Manche kannten Mamdoh und meinten, dass sie ihm so etwas nie zugetraut hätten."
Nach drei Jahren endete die Zeit der Flüchtlingsklassen an der Pegnitzer Berufsschule. Nach dem ersten Jahr gab es einen Lehrplan vom Kultusministerium, fast jeder Schüler, der bis zum Ende blieb, habe einen Abschluss erreicht, der mit dem mittleren Bildungsabschluss gleichzusetzen ist, sagt Regn. "Das erste Jahr ohne die Klassen war sehr komisch. Aber es war logisch, dass wir sie nicht mehr anbieten konnten. Es waren ja nur noch sechs Schüler da."
Die wechselten an die Berufsschule 3 nach Bayreuth, haben aber die Pegnitzer nicht vergessen. Und Katrin Regn die ehemaligen Schützlinge auch nicht: "Wenn jemand kommt und uns besucht, dann immer mit Umarmung."
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