Konfirmationsfeier unter heftigem Kanonendonner
15.4.2015, 18:31 UhrDer Bayreuther Journalist Peter Engelbrecht (55) entreißt die beiden Schicksale in seinem Buch „Der Krieg ist aus“ dem Vergessen. Frühjahr 1945 in Oberfranken lautet der Untertitel des 143 Seiten starken Werks mit 80 historischen Bildern.
In 18 Kapiteln schildert Engelbrecht die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs in Oberfranken, wobei er die Schwerpunkte auf den Raum Bayreuth, Creußen, Schnabelwaid und die Fränkische Schweiz legt. Aber auch Geschehnisse aus Coburg, Kronach und dem Fichtelgebirge werden in dem Band aufgegriffen.
Das erste Kapitel ist mit „Der Anfang vom Ende“ überschrieben. Am 30. Januar 1933, dem Tag der nationalsozialistischen Machtergreifung, war Adolf Hitler mit der Bildung einer neue Reichsregierung beauftragt worden.
Unmenschliche Herrschaft
Zwölf Jahre, bis zum 8. Mai 1945, sollte die Schreckensherrschaft dauern. Doch diese Diktatur, die sich auf Unmenschlichkeit, Rassenhass, Kriegslust, Gewalt und Eroberungswillen gründete, war zum Scheitern verurteilt. Dies meint Engelbrecht, wenn er vom „Anfang vom Ende“ schreibt.
Ein Ende, das auch in Oberfranken viel Leid über die Bevölkerung brachte. Auch kleinere Städte und Dörfer wurden nun Schauplätze von Kampfhandlungen. Bis dahin bekamen meist nur die größeren Städte die Wucht der alliierten Bombenangriffe zu spüren, bei denen etwa Bayreuth und Hof schwer zerstört wurden.
Peter Engelbrecht berichtet über die Kriegshandlungen im Frühjahr 1945 sehr detailliert. Er hat eine Vielzahl von Quellen und Literatur ausgewertet und mit Augenzeugen gesprochen. Schreckliche Ereignisse wie die „acht Leichen am Waldrand“ zeugen von der Brutalität des Kriegs. Acht durch Kopfschuss getötete Menschen wurden nach Kriegsende nahe der Einöde Ruspen bei Engelmannsreuth am Waldrand gefunden, darunter eine Frau.
Wer die sieben deutschen Soldaten und die Frau aus Nürnberg ermordet hat, ist nicht geklärt. Der Preunersfelder Gastwirt Gräf ist der letzte noch lebende Zeitzeuge, der die Toten gesehen hat. Er hatte als 13-jähriger Bub nach dem Einmarsch der Amerikaner in Preunersfeld die Leichen „von einem Pferdewagen mit abgeladen.“ Gräf erinnerte sich, dass die Opfer allesamt durch Kopfschüsse aus nächster Nähe getötet wurden. Die Opfer seien vor Ort begraben und 1951 auf den Friedhof in Bayreuth-Sankt Georgen umgebettet worden. Aus einem der Umbettungsprotokolle ging hervor, dass die deutschen Soldaten „nach aufgegebenem Widerstand von americ. Soldaten durch Genickschuss erschossen“ worden waren.
Schwere Kämpfe um Creußen
Ausführlich werden von Engelbrecht die schweren Kämpfe rund um Creußen beschrieben, die fünf Tage anhielten. Der Autor stützt sich dabei auf die Erinnerungen des Creußener Nachkriegsbürgermeisters Hans Mehl (SPD). Am Nachmittag des 14. April, einem Samstag, seien die ersten amerikanischen Panzer von Gottsfeld her in Creußen eingerückt, ohne dass es vorher zu einem besonderen Feuergefecht gekommen sei.
Mehl: „Mit der Besetzung unseres Städtchens durch die Amerikaner kam auch die Befreiung für die hiesigen Strafgefangenen und die ausländischen Arbeiter, die im jetzigen Flüchtlingslager und in den Steinbaracken im Rosenthal untergebracht waren. Von diesen Lagerinsassen ist der Einzug der Amerikaner begreiflicherweise mit großer Begeisterung aufgenommen worden, dagegen löste diese Befreiung bei der Bevölkerung doch eine starke Beängstigung aus, zumal die Befreiten von der Besatzungsmacht sofort mit Waffen versehen worden sind und die Polizeigewalt in Creußen übernommen haben.“
Mit der vermeintlichen Ruhe war es am Tag darauf vorbei, denn gegen 9.30 Uhr starteten deutsche Panzer einen Gegenangriff. „Der zeitweise heftige Feuerkampf dauerte bis zum Donnerstag, dem 19. April 1945, als die Amerikaner von Bayreuth her starke motorisierte Verstärkungen erhielten und die deutschen Panzer zum Rückzug zwangen“, schreibt Hans Mehl. Obwohl die deutschen Einheiten Creußen von drei Seiten umstellt hatten, sei Creußen vollkommen wohlbehalten aus diesem Kampf herausgekommen, abgesehen von einzelnen Einschlägen, die keinen besonderen Schaden verursacht hätten.
Nicht so gut kamen laut Mehl die umliegenden Ortschaften davon. Gottsfeld, Engelmannsreuth, Neuhof, Althaidhof, Preußling, Seidwitz, Letten, Schönfeld bei Zips, die Neumühle bei Craimoos und die Bahnhofsrestauration in Schnabelwaid wurden schwer getroffen. „Die beiden Letzteren sind total zerstört gewesen.“ Ein Dutzend Zivilisten sind bei den Kämpfen ums Leben gekommen.
Kommandatur eingerichtet
Die US-Armee richtete eine Kommandatur ein, mit dem befreiten tschechischen Strafgefangenen Zadka an der Spitze. Den Aufzeichnungen Mehls ist weiter zu entnehmen, das am 24. April Polen gegen die zu geringe Brotration aufbegehrten. Sie konnten zwar beruhigt werden, doch einzelne Stadträte wurden von ihnen verprügelt und misshandelt.
Als zweiter Brennpunkt der Kämpfe war die Gegend um Schnabelwaid, das damals 480 Einwohner zählte. Hier stützt sich Peter Engelbrecht auf die Aufzeichnungen von Forstmeister Hans Götz. Das Fahren sei lebensgefährlich geworden, denn ununterbrochen hätten zahlreiche Tiefflieger die Züge und den Straßenverkehr angegriffen.
Sonntag, 15. April: „Das Feuer steigerte sich gegen Morgen zu größerer Heftigkeit rings um die Talsohle. Die Konfirmationsfeier der Kinder fand unter heftigem Kanonendonner statt. Die meisten Leute verließen den Gottesdienst.“ Er berichtet, dass der Gefechtslärm immer näher an das Dorf herangerückt sei. „Das amerikanische Geschützfeuer, dessen Schwerpunkt bisher in Richtung Gottsfeld lag, lebte nun auch auf den Höhen von Lindenhardt auf und rückte näher.“
Die Kämpfe forderten Opfer auf beiden Seiten. Wie heftig die Gefechte waren, geht aus dem Lagebericht der 94th Cavalry der 14. US-Panzerdivision hervor. Die Deutschen hätten eine Einheit mit 50 Panzern aus Grafenwöhr in Marsch gesetzt, um Creußen und Bayreuth zurückzuerobern. „Am Ende des Tages hatte die Schwadron 17 feindliche Panzer zerstört, 43 Kriegsgefangene genommen und eine unbekannte Zahl von Feinden getötet und vier Orte, die von Feinden als Aufmarschgebiete genutzt wurden, zerstört. Creußen war weiterhin in Händen der US-Armee und der feindliche Gegenangriff auf Bayreuth.“ Allein 30 gefallene deutsche Soldaten wurden auf dem Friedhof in Creußen beerdigt, auch die US-Armee hatte Verluste zu beklagen.
Auf das Metallwerk Tabel in Creußen, in dem 1200 Zwangsarbeiter arbeiten mussten, wird ausführlich eingegangen. Der Betrieb gehörte Carl Tabel, dem NSDAP-Ortsgruppenleiter und Bürgermeister.
Beschrieben wird das erschütternde Schicksal von Kindersoldaten die durch die Wälder der Fränkischen Schweiz irrten. Der Autor stützt sich auf die Erlebnisse von Hans Engelbrecht aus Lankenreuth bei Creußen. Die Jugendlichen versuchten unter Lebensgefahr, nach Hause zu kommen, immer darauf bedacht, nicht den Amerikanern oder der SS in die Hände zu fallen.
„Nervöse Bestie“
In einem weiteren Kapitel geht es um die Befreiung der 390 KZ-Häftlinge in Pottenstein. Josef Vavra war einer von ihnen. Die letzten Stunden vor der Befreiung gerieten zum Nervenspiel. Denn Lagerkommandant Wenzel Wodak war „eine nervöse, gefährliche Bestie, die Angst hatte und um sich schlug“, so Vavra.
Die Bezeichnung Bestie trifft auch auf Wolfram Sievers zu, der als Reichsgeschäftsführer des „Ahnenerbe“, das 1943 von Berlin nach Waischenfeld umgezogen war und für grausame Menschenversuche in Konzentrationslagern mit verantwortlich war. Sievers leitete grausige Experimente und ging buchstäblich über Leichen. Sievers wurde 1947 zum Tode verurteilt und in Landsberg hingerichtet.
Peter Engelbrecht: Der Krieg ist aus, Verlag Heinz Späthling, Weißenstadt 2015, 143 Seiten, 14,95 Euro.
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