„Liliputaner gibt es nicht!“

03.09.2011, 00:00 Uhr
„Liliputaner gibt es nicht!“

© Lena Keller

Die 1,30 Meter große Powerfrau hat gerade ihren Führerschein bestanden. Zwar hat es eine Weile gedauert, das Auto an ihre Größe anzupassen, aber letztendlich gab es dank der Sonderanfertigungen keine weiteren Probleme. Auf die Pedale wurden zusätzlich Verlängerungen geschraubt und ihr Sitz ist mit mehreren Sitzkissen verstärkt.

Auf die Frage, ob sie im Alltag mit vielen Einschränkungen leben muss, antwortet Janina Nagel: „Mit keinen, die man nicht lösen könnte.“

Als nächstes Ziel hat sie sich ihr Abitur an der Fachoberschule gesetzt. Wenn sie das geschafft hat, möchte sie gerne zum Radio gehen. In ihrer Freizeit betreibt Janina Nagel viel Sport, trifft sich so oft wie möglich mit ihren Freunden und geht „wie jedes Mädchen“ gerne shoppen.

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Speziell angefertigte Kleidung braucht sie nicht. In Läden wie H&M findet sie alles, was ihr Herz begehrt. Nur bei der Auswahl der Schuhe hat Janina mit Schuhgröße 33 Probleme. „Ich laufe sicher nicht in rosa Glitzer-Plüsch-Schühchen durch die Gegend. Da kauf ich mir lieber Chucks. Die gibt es in dieser Größe nämlich zum halben Preis“, erzählt sie lachend. Janina hat auch viele ebenfalls kleinwüchsige Freunde, wobei nicht alle an derselben Art von Kleinwuchs leiden. Heute sind 450 verschiedene Kleinwuchsformen bekannt. Janina zum Beispiel lebt mit der sogenannten „Achondroplasie“, die durch einen Gendefekt hervorgerufen wird. Ihre Familie ist nämlich normal groß.

Janina würde sich wünschen, Kleinwüchsige nicht zu verallgemeinern. Denn es gibt gravierende Unterschiede. Sie ist Mitglied im „Bundesverband für kleinwüchsige Menschen und ihre Familien“, in dem sie sich mit rund 400 anderen austauschen kann. Diesen Verein kann sie jedem kleinwüchsigen Menschen ans Herz legen.

„Viele waren noch nie in so einem Verein und wissen gar nicht, dass es andere Kleinwüchsige gibt.“ So ist es auch schon vorgekommen, dass ihr ein Mädchen mit dem gleichen Schicksal über den Weg gelaufen ist und sie verwundert anstarrte, als käme sie von einer anderen Welt. Und trotz (oder genau wegen) einiger schräger Blicke hat sich Janina Nagel einen gewissen Kampfgeist entwickelt und ihren Humor nicht verloren.

Als sie einmal beim Einkaufen von einem Kind aufdringlich mit einem Handy gefilmt wurde, das ihr dabei immer näher kam, hörte sie, wie das Mädchen seine Mutter fragte, warum Janina denn so klein ist. Da antwortete sie selbst: „Das kommt davon, wenn man sein Gemüse nicht aufisst.“

Treffen in Amerika

Von vielen Menschen werden Kleinwüchsige auch als „Liliputaner“ bezeichnet. „Für uns ist das ein Schimpfwort. Die meisten Leute wissen gar nicht, dass dieser Begriff aus dem Buch ,Gullivers Reisen‘ stammt. Dort gibt es nämlich eine Insel namens Liliput, deren Bewohner winzig klein sind.“

Als Janina einmal nach Amerika reiste, um ein Treffen extra für kleinwüchsige Menschen zu besuchen, gab es ihr Kraft, Tausende verschiedenster „kleiner Menschen“ zu sehen, unter anderem auch den kleinwüchsigen Schauspieler Martin Klebba aus „Fluch der Karibik“. „Und wenn man mal so viele andere mit ihren Problemen sieht, wird mir erst bewusst, wie gut es mir selbst geht. Ich bin froh, dass ich eine Familie hab, die mich so unterstützt.“LENA KELLER

 

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