Mit dem Ballon in die Freiheit: DDR-Flüchtling erzählt
22.10.2018, 12:55 UhrWetzel, ein freundlicher, älterer Herr mit einem leicht kehligen Thüringer Singsang, ist ein wenig lebendige Zeitgeschichte. Er berichtet über die Flucht so detailliert, dass man das Gefühl bekommen kann, dabei gewesen zu sein. Er spricht von der Ungewissheit nach der Landung: War das der Westen oder noch die DDR? "Die Felder, durch die wir liefen, waren recht klein und von Büschen umgeben. Das gab es ja in der DDR durch die Kollektivierung nicht mehr. Als wir dann bei einem Bauern in der Scheune einen Fendt gesehen haben, da war klar: Das ist der Westen", sagt Wetzel.
Angst vor Überwachung
Das Bild, das er von der DDR zeichnet, ist kein freundliches: Angst vor Überwachung, Zwangskollektivierung von Betrieben und Landwirtschaft, schreiende Ungerechtigkeiten – Wetzels Vater war, als er fünf Jahre alt war, in den Westen geflohen. Doch obwohl kein Kontakt bestand, durfte der Sohn des Republikflüchtlings selbst nicht studieren – die DDR bekommt bei ihm ihr Fett weg.
Dabei wendet er die Waffe an, die dem machtlos Geschurigelten Größe verleiht: den Humor. Er bedankt sich bei der Stasi zum Beispiel dafür, dass sie "netterweise die Fotos meiner Ausrüstungsgegenstände in meiner Akte so schön verwahrt haben." Denn das Gebläse, das Wetzel aus seinem Motorrad baute, oder Strelzyks Wartburg: All das musste bei der Flucht zurückgelassen werden. Ohne Überwachungsstaat, ohne seine Stasi-Akte gäbe es also keine Fotos davon für seinen Dia-Vortrag. Die Organisation der Flucht beschreibt Wetzel so: "Strelzyk und ich wollten unbedingt zusammenarbeiten, aber das ging ja nicht, weil Selbstständigkeit nicht gern gesehen wurde. Aber man durfte Feierabend-Arbeit machen. Nur stand nicht im Gesetz, ab wann Feierabend ist – also machten wir den ganzen Tag ,Feierabend-Arbeit‘."
Schnippchen geschlagen
Dem System ein Schnippchen geschlagen haben Wetzel und Strelzyk auch bei der Materialbeschaffung: "Honecker sagte, aus unseren Volkseigenen Betrieben (VEBs) sei noch viel mehr herauszuholen", berichtet Wetzel. Das hätten sie dann wörtlich genommen und ganze Bahnen von Stoff in einer Ledertaschenfabrik "besorgt".
Am Ende, nach drei Versuchen und der geglückten Flucht und nach dem Fall des Systems, da hatte Wetzel die Lacher auf seiner Seite. Das gilt auch für seinen Vortrag, bei dem das Publikum lacht und mitfiebert, immer gespannt. Zum Schluss applaudieren die Besucher im Gasthof Herbst. Die Vorsitzende des Heimatvereins Betzenstein, Christa Plischka, meint: "Wir vom Heimatverein finden es bemerkenswert, dass jemand seine Heimat verlässt."
Karl Heinz Fietta, Kulturreferent des Heimatvereins, schätzt, dass rund 300 Zuhörer gekommen sind – und zwar aus ganz Nordbayern. Vor der Tür der Gastwirtschaft seien noch etwa 30 Leute gestanden, die nicht hinein konnten. Im Saal stritten sich Menschen um Plätze, oder darum, dass einem die Sicht versperrt wurde und man doch früher hätte kommen sollen. Auf die Frage an Wetzel, ob das immer so sei, grinst er: "Na ja. Das hat natürlich viel mit dem Film, der jetzt in den Kinos angelaufen ist, zu tun."
Kurz nach Kinostart
Wetzel ist inzwischen sehr gefragt und bekannt. Fietta hatte ihn im März bei einem Vortrag erlebt. "Damals beschloss ich, ihn nach Betzenstein zu holen. Dass er kurz nach dem Kinostart zu uns kommt, ist natürlich fantastisch. Ich hatte mich mit Leuten unterhalten, die meinten, dass sie nach dem Vortrag ins Kino gehen wollen, um sich den Film anzuschauen."
Den Streifen "Ballon" von Michael "Bully" Herbig findet Günter Wetzel sehr gut. Zwar seien einige Details dramatischer dargestellt, als sie in Wirklichkeit waren, aber im Gesamten sei der Film sehr nah an der Wirklichkeit, befindet der DDR-Flüchtling.
Wer mehr erfahren will, kann auf Günter Wetzels Homepage www.ballonflucht.de schauen. Dort findet sich sogar ein Ballonrechner, mit dessen Hilfe man seinen eigenen Ballon konstruieren kann. Der Film "Ballon" läuft noch bis 29. Oktober im Kintopp in Hollfeld und von 25. bis 31. Oktober täglich um 20 Uhr im Regina-Kino in Pegnitz.
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